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Annette Hess: 'Autoren sind manchmal einfach zu nett'

In den Augen der «Ku'damm»-Schöpferin Annette Hess spielen Autoren in Deutschland ihre Position als Urheber von Filmen und Serien nicht genügend aus. Welche Macht den Senderredaktionen zukommt? Das verrät sie am Tag der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in unserem Interview und wünscht sich, dass mehr Autoren den Weg in die Öffentlichkeit suchen.

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Die Redakteure sind entscheidend dafür, welchen Weg ein Projekt einschlägt. Sie sind die Moderatoren oder Mediatoren dieses Prozesses, sie haben als Geldgeber den meisten Einfluss. Und sie sind dafür verantwortlich, ob ein konstruktives Miteinander entsteht. Sie müssen allen, die für ein Projekt von Belang sind, das berechtigte (!) Gefühl geben, dass sie wichtig sind und dass ihre Stimme berücksichtigt wird.
Annette Hess
Ich könnte mir vorstellen, dass da die Sender eine entscheidende Rolle spielen. Wenn die ein Drehbuch an einen Regisseur geben und sagen: "Mach da was draus" wird ihm ja prompt eine andere Stellung zugeschrieben, als entgegne man ihm mit der Anweisung: "Setz das bitte um" …
Zweifelsohne. Die Redakteure sind entscheidend dafür, welchen Weg ein Projekt einschlägt. Sie sind die Moderatoren oder Mediatoren dieses Prozesses, sie haben als Geldgeber den meisten Einfluss. Und sie sind dafür verantwortlich, ob ein konstruktives Miteinander entsteht. Sie müssen allen, die für ein Projekt von Belang sind, das berechtigte (!) Gefühl geben, dass sie wichtig sind und dass ihre Stimme berücksichtigt wird. Bei «Ku'damm» macht die ZDF-Redaktion um Heike Hempel da eine großartige Arbeit. Sie behandeln Regie und Autorin als künstlerisch gleichberechtigt, bei Streitfragen haben Sven Bohse und ich immer gute Kompromisse gefunden oder uns einfach vom anderen überzeugen lassen. Ich kann ja nur für mich sprechen, aber ich habe noch nie in einem Projekt gearbeitet, in dem ich die Atmosphäre als so frei und kreativ fördernd empfunden habe – und das obwohl der Sender ja auch ein weiteres Ziel vor Augen hat: ein größtmögliches Publikum zu erreichen.

Also besteht eine Korrelation oder gar Kausalität zwischen miesen Erfahrungen, die Sie mit der Regie gemacht haben und einer miese Moderation durch den Sender?
Wenn in einer Redaktion eine reine Regiehörigkeit vorherrscht, dann nehmen Regisseure konsequenterweise auch eine andere Arbeitshaltung an. Das kann man ihnen auch gar nicht verübeln: wer Macht in die Hände bekommt, will sie auch verteidigen. Aber ist es ja nicht so, als wären alle, die so regiehörig sind, Idioten oder boshaft. Das hat auch mit dem bisher üblichen Entstehungsprozess eines Films zu tun. Die Regie bekommt ja quasi drei Millionen Euro in die Hand gedrückt, um das Drehbuch umzusetzen. Dann sind natürlich alle Augen auf die Regie gerichtet. Wir Autoren sind mit Produktionsbeginn nur noch ein Name auf dem Titelblatt des Drehbuchs.

So kommt es zum Beispiel dazu, dass Schauspieler Preise für Rollen gewinnen, die ich geschrieben habe, und auf der Bühne heißt es: "Ich danke meinem Regisseur!" Ich bleibe dann ungenannt und denke mir: "Aber ich habe doch deine tolle Figur erschaffen und dir diese Worte in den Mund gelegt!" Oder Journalisten beschreiben Filminhalte und zitieren Dialoge – ohne den Autor auch nur zu erwähnen. "Regisseur xy erzählt in seinem neuen Film..." ist eine beliebte aber nicht weniger falsche Formulierung in Rezensionen. Das alles schafft Frust beim Autor. Viele meiner Kollegen wechseln deshalb zur Prosa, schreiben Romane. Und leider sind es meist die Begabtesten, die nicht mehr mitmachen wollen, weil sie die sensiblen sind, die künstlerischen Visionäre. Fakt ist: Dem deutschen Fernsehen gehen durch dieses veraltete System die besten Autoren verloren! Deshalb ist es im Interesse aller, am Ende vor allem auch des Publikums, die Position der Autoren zu stärken.

Wo können da Autoren Ihrer Meinung nach den Hebel ansetzen? Klar, bei Projekten wie «Weissensee» oder «Ku'damm» ist ja die Marschrichtung gegeben, denn wenn diese Projekte neu entstehen, schaffen Sie aus dem Nichts etwas, von dem der Sender sich von Beginn an etwas einer gewissen Größenordnung vorstellt. Aber bei fortlaufenden vorabendlichen Reihen, beispielsweise, werden sich neu hinzustoßende Autoren ja kaum so große Rechte einräumen lassen können …
Das muss natürlich immer nach Format und auch individuell betrachtet werden. Als Berufsanfänger kann man bestimmte Rechte nicht einfordern. Man muss auch gewisse Erfolge vorweisen können, um Bedingungen zu stellen. Bei neuen Serien, Mehrteilern, den sogenannten Leuchtturmproduktionen ist die Urheberschaft des Autors zudem offensichtlicher als bei fortlaufenden Reihen und Serien.

Zu einer Reihe wie «Kommissar und das Meer» habe ich mir das Format nicht ausgedacht und ordne meine künstlerische Handschrift den Vorgaben und Gesetzen der Filme unter. Dennoch erfinde ich ja eine ganz neue Krimi-Geschichte. Und ich habe ich mich da jetzt geärgert, dass die Regie nicht wollte, dass ich Muster vom Dreh sehe. Mit dem fertigen Film bin ich nun leider nur zum Teil einverstanden. Ich finde daher, auch im Tagesgeschäft muss die Position der eigentlichen Erzähler angepasst werden. Es muss selbstverständlich sein, dass Autoren Muster und Rohschnitte sehen können, um bei Bedarf korrigierend einwirken zu können.

Die Drehbuchautoren in Deutschland sind ja nicht in einer Gewerkschaft organisiert, sondern bloß in einem Verband – daher sind die Optionen, die wir haben, um gemeinschaftlich etwas zu bewegen, begrenzt. Was wir alle aber machen können, ist, mehr Informationspolitik zu betreiben.
Annette Hess
Was sind Ihre Ideen, wie lässt sich dies bewerkstelligen?
Die Drehbuchautoren in Deutschland sind ja nicht in einer Gewerkschaft organisiert, sondern bloß in einem Verband – daher sind die Optionen, die wir haben, um gemeinschaftlich etwas zu bewegen, begrenzt. Was wir alle aber machen können, ist, mehr Informationspolitik zu betreiben. In Form solcher Gespräche wie dem, das wir hier gerade führen, oder durch öffentliche Reaktionen auf Missstände wie jetzt die Einladungspolitik beim Fernsehpreis. Und nicht nur nach außen, auch innerhalb unseres Metiers ist es wichtig, Informationen weiterzugeben. Ich bin zum Beispiel mit vielen tollen Autoren vernetzt. Wir tauschen uns darüber aus, mit welchen Regisseuren und Redakteuren eine Zusammenarbeit angenehm verläuft. Wir haben eine Weiße Liste – aber eben auch eine Schwarze. Auffällig ist: Die Geschichten gleichen sich sehr oft. Wenn ein Name auftaucht, dann schreien oft mehrere Autorinnen und Autoren auf, weil sich die Erfahrungen decken. Es ist selten, dass unterschiedliche Autoren unterschiedliche Erfahrungen mit bestimmten Redaktionen, Produktionsfirmen oder Regisseuren gemacht haben.

Wir versuchen außerdem aktuell, bestimmte Standards bei den Verträgen für größere Produktionen festzulegen – ohne Gewerkschaft ist das zwar schwer, aber wenn viele Autoren ab einer gewissen "Gewichtsklasse" dieselben Forderungen äußern, besteht eine gewisse Chance, dass sich diese Standards durchsetzen. Ein Vertragsstandard ist ein Regieveto. Also das Recht, dass wir sagen können: "Ich widerspreche, dass Regisseur X mein Skript verfilmt." Wenn sich ein Regisseur beim Autor vorstellen muss, und erklären muss, was er vorhat, entsteht automatisch ein Arbeitsverhältnis auf Augenhöhe.

Außerdem sollten Autoren, die ihre Vision bis zum Schluss mitgestalten wollen, einen zusätzlichen Vertrag als Showrunner oder Creative Producer abschließen. Natürlich muss sich da jeder Autor entscheiden, ob er das will – bei «Ku’damm» habe ich jeden Tag bergeweise Mails im Postfach, weil Dinge besprochen werden müssen. Das ist Arbeit, aber ich will es so. Ein Kollege von mir, der eine sehr erfolgreiche Serie erfunden und geschrieben hat, war dagegen zu bescheiden und zurückhaltend. Das hat dazu geführt, dass nun der Produzent überall verbreitet, er hätte die Idee zu dieser Serie gehabt. Aber mein Kollege will sich nicht auflehnen. Autoren sind manchmal einfach zu nett.

So ein Regieveto wird sich nicht überall durchsetzen lassen …
Das ist klar. Und man muss ja auch immer abwägen, bei welchen Produktionen das sinnvoll ist. Wir Autoren wollen ja auch keine Projekte verhindern, sondern die Qualität der Produktionen aus Deutschland steigern. Wir sind es so leid, dass jede dritte Überschrift im Medien-Feuilleton lautet: "Warum kann Deutschland keine Serie?" Das liegt natürlich nicht daran, dass die deutschen Autoren schlechter sind als die im Rest der Welt: Das liegt an unserem veralteten System. Viele sagen, die 'doofen' Redakteure in den Sendern sind schuld, die sich inhaltlich nichts trauen. Ich glaube aber, es liegt daran, dass die künstlerischen Machtverhältnisse auf der Seite der Kreativen nicht stimmen.
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26.01.2018 13:33 Uhr Kurz-URL: qmde.de/98573
Sidney Schering

super
schade

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Tags

Breaking Bad Kommissar und das Meer Ku'damm Ku’damm Tatort Weissensee

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Familie Tschiep
26.01.2018 16:44 Uhr 1
Schade, dass sie sich mit der Besetzung Anke Engelke für die Hauptrolle bei Kudamm 56 nicht durchgesetzt hat, sie wäre die bessere Wahl für die Tanzlehrerin gewesen.



Dann sind wir mal gespannt, was sie aus den Kindern von Bahnhof Zoo macht.
Sentinel2003
26.01.2018 17:28 Uhr 2
Bei "Kudamm 56" war die Besetzung für mich zumindest voll ok!! Die strenge Mutter ist von Claudia Michelsen hervorragend umgesetzt worden und, die eine rebellierende Tochter, die Rock'n Roll Tanzen möchte und das auch tut, ist mit Sonja Gerhard auch voll gut besetzt!!



@sid: echt tolles Interview, ich weißte fast nichts von diesen Problemen der Autoren!
Familie Tschiep
26.01.2018 20:41 Uhr 3
Ich nahm ihr aber die Tanzlehrerin nicht ab. Tanzlehrer strahlen berufsbedingt Agilität und Dynamik aus, Michelsen war eher eine Schlaftablette.
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