In einer Zeit, in der ein immer stärkeres Umdenken im Hinblick auf Tierwohl und Ernährung stattfindet, kommt ein Film wie «Die Spur» gerade recht. Doch was kann der polnische Oscarbeitrag noch, außer Bekanntes unterstreichen?
Filmfacts: «Die Spur»
- Kinostart: 4. Januar 2018
- Genre: Thriller
- FSK: 12
- Laufzeit: 129 Min.
- Kamera: Jolanta Dylewska, Rafal Paradowski
- Musik: Antoni Lazarkiewicz
- Buch: Olga Tokarczuk, Agnieszka Holland
- Regie: Agnieszka Holland, Kasia Adamik
- Schauspieler: Agnieszka Mandat-Grabka , Jakub Gierszal, Miroslav Krobot, Wiktor Zborowski
- OT: Pokot (POL/DE/CZ/SWE/SK/FR 2017)
Im Jahr 2017 bezeichnen sich hierzulande 5,7 Millionen Menschen als Vegetarier. Damit befindet sich Deutschland im Mittelfeld weltweiter Essgewohnheiten; an der Spitze liegt Indien, wo knapp 40 Prozent der Bevölkerung auf den Verzehr von Fisch und Fleisch verzichten. In Polen dagegen sind es noch nicht einmal ein Prozent. Auch das Thema Jagd ist bei unseren osteuropäischen Nachbarn noch fest in den Köpfen verwurzelt. Vor allem auf dem Land gehört es „zum guten Ton“, sich das Fleisch noch selbst zu schießen. Eine Tradition, die die Regisseurin Agnieska Holland («House of Cards») dazu führte, den aufrüttelnden Roman «Die Spur» von Olga Tokarczuk als düsteren Thriller zu verfilmen. Gemeinsam mit ihrer Kollegin und Tochter Kasia Adamik («Amok») inszeniert sie eine beklemmende Geschichte über die tierische Ausbeutung des Menschen und scheut dabei keine Kontroverse. In «Die Spur» geht es Füchsen an den Kragen und Hirschen ans Geweih, doch im Laufe der 128 Minuten entfernen sich die Macher nach und nach von der komplexen Auseinandersetzung mit polnischen Traditionen und gehen klar in einen Angriffsmodus über. Als Anklage funktioniert ihr Film somit immer noch, doch für einen ausdifferenzierten Kommentar halten sie sich zu sehr an nur einer Position fest.
Vierbeinige Mörder gehen um
Janina Duszejko (Agnieska Mandat-Grabka), eine pensionierte Brückenbauingenieurin, lebt mit ihren Hunden zurückgezogen in einem Bergdorf an der polnisch-tschechischen Grenze. Die Dorflehrerin für Englisch ist charismatisch, exzentrisch, eine leidenschaftliche Astrologin und strikte Vegetarierin. Eines Tages sind ihre geliebten Hunde verschwunden. Wenig später entdeckt sie in einer verschneiten Winternacht ihren toten Nachbarn und bei dessen Leiche eine Hirschfährte. Weitere Männer sterben auf mysteriöse Weise. Alle hatten ihren festen Platz in der dörflichen Gemeinschaft, alle waren passionierte Jäger. Duszejko, die allgemein als Verrückte angesehen wird, macht sich ihre eigenen Gedanken über die Verbrechen und ist der Polizei immer einen Schritt voraus. Dabei weiß sie das unauffällige Erscheinungsbild einer „wirren alten Frau mit Plastiktüte in der Hand“ geschickt zu nutzen. In ihrem einsamen Kampf für die Sache der Tiere legt sie sich mit den Honoratioren der Umgebung, mit der Polizei und sogar mit der Kirche an – und begibt sich dabei in große Gefahr.
In der aller ersten Szene gehen Holland und Adamik bereits ein großes Wagnis ein: Aus dem Off erklärt Protagonistin Janina den Zusammenhang zwischen Geburts- und Todesdatum und etabliert die alternde Englischlehrerin somit als kaum einschätzbarer Faktor. Steckt hinter der Fassade der hundeliebenden Frau nur eine harmlose Spirituelle, oder sollte man die Aussagen der bei ihren Schülern beliebten, von der Dorfgemeinschaft gemiedenen Englischlehrerin nicht unbedingt für bare Münze nehmen? Offenbaren wird sich das alles später; zunächst legt «Die Spur» allerdings das Hauptaugenmerk auf den Konflikt zwischen ihr und der Bevölkerung. Die strikte Vegetarierin sucht immer wieder die Diskussion mit ihren jagenden Nachbarn, die spätestens dann eskaliert, als sie ebenjene im Verdacht hat, aus Versehen ihre beiden Hunde niedergeschossen zu haben. Schon früh sprechen sich die Regisseurinnen von einer objektiven Betrachtung los und nehmen deutlich die Position ihrer Protagonistin ein. Kaum einer der Dorfbewohner erhält so etwas wie ein Profil; stattdessen werden sie alle auf ihre zu verachtende Funktion als Jäger und Tierquäler reduziert.
Bei manch einem Zeitgenossen reicht das – erst recht unter Zuhilfenahme erschütternder Aufnahmen aus einem Pelztierlager (nie zuvor ist uns ein Fuchs mit derart traurigen Augen begegnet!). «Die Spur» präsentiert das Tierleid in all seinen schwer ertragbaren Formen. Doch auch, wenn es bei diesem Thema keine zwei Meinungen geben kann, verlässt sich der Film doch zu sehr darauf, dass Hauptfigur Janina Recht und ihre Kontrahenten Unrecht haben. Ein vertretbarer, wenngleich jedwede Konfrontation scheuender Erzählansatz.
Anklage gegen Auseinandersetzung
Zum Glück verlagert sich der Fokus nach rund einer halben Stunde in eine Richtung, die sich irgendwo zwischen düsterem Kriminalfall und Mysterythriller verorten lässt (um an dieser Stelle nicht bereits auf den Ausgang der Geschichte hindeuten zu wollen, lassen wir es an dieser Stelle unkommentiert, ob die Geschehnisse im Film nun irdischen, oder eher übernatürlichen Ursprungs sind). Es kommt zu Morden, die alle mit verschiedenen Tierarten in Verbindung gebracht werden können – und die Frage steht im Raum, ob aus den Jägern Gejagte ihrer eigenen Opfer werden. Nach Hufspuren am Tatort und einem Knochen in der Luftröhre als Todesursachen, schafft das Kamerateam aus Jolanta Dylewska («In Darkness») und Rafal Paradowski («Burning Bush – Die Helden von Prag») eine unheilvolle Atmosphäre. Mithilfe von Aufnahmen das Geschehen von Weitem beobachtender Rehe oder diversen Andeutungen, die dazu beitragen, hinter den Mordfällen in erster Linie vierbeinige Killer zu vermuten, entwickelt sich in «Die Spur» das unbehagliche Gefühl des Kontrollverlusts, den nur all jene nicht zu fürchten brauchen, die – wie Hauptfigur Janina – ohnehin auf Seiten der Tiere stehen.
Das ist weder subtil, noch realistisch und befindet sich bisweilen scharf an der Grenze zum Glaubwürdigen, unterstreicht allerdings das Dasein von «Die Spur» als versuchte Satire, auch wenn hierfür letztlich die vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt.
Lässt man den misslungenen Part der Systemkritik (und erst recht der misslungene Einbezug einer Liebesgeschichte) einmal außer Acht und begibt sich stattdessen mitten hinein in die Thrilleratmosphäre von «Die Spur», erkennt man, dass es Agnieska Holland und Kasia Adamik vor allem an einer Anklage gelegen ist. Hierfür brauchen sie dann auch kein ausgeklügeltes Argumentationskonzept. Stattdessen setzen sie ganz auf für sich stehende Bilder und das Entwerfen einer fast schon dystopischen Zukunft. Das mag dem einen oder anderen zu viel sein; vor allem leidenschaftliche Fleischesser werden sich wohl kaum mit dem Vorschlaghammer eintrichtern lassen wollen, weshalb aus ihnen doch besser ein Vegetarier werden sollte. Doch gerade mit dem melancholischen Ende, das die allgegenwertige Effekthascherei im letzten Drittel prompt vergessend macht, setzen die Macher ein starkes Ausrufezeichen hinter die Message ihres Films. Sie appellieren darin an das Gewissen des Zuschauers und geben erstmals die Möglichkeit, das Gezeigte zu reflektieren. Das war zuvor kaum möglich; auch weil die kühle, an skandinavische Krimis erinnernde Bildsprache immer auch ein wenig wie ein Korsett wirkt, in dessen eingeschnürt man kaum in der Lage ist, sich abseits der Mordermittlungen Gedanken über das Gezeigte zu machen.
Agnieska Mandat-Grabka («Sanctuary») als unkonventionelle (Vielleicht-)Heldin hinterlässt mit ihrer gebetsmühlenartig wiederholten Tierliebe allerdings einen solch leidenschaftlichen Eindruck, dass man den Film kaum verlassen wird, ohne anschließend noch eine Weile über sich und seine Ernährungsgewohnheiten nachzudenken. Und genau das kann ja nur im Sinne der Geschichte sein.
Fazit
Der polnische Thriller «Die Spur» über Jäger, die zu Gejagten der Tiere werden, besitzt eine spannende Grundlage, die Hauptdarstellerin Agnieska Mandat-Grabka zum Leben erweckt. Doch für eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik ist der Film zu einseitig.
«Die Spur» ist ab dem 4. Januar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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