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Die glorreichen 6 – Frauenpower auf dem Regiestuhl (Teil VI)

Die Gleichberechtigung ist im Showgeschäft noch immer nur ein ferner Traum: Frauen erhalten zum Beispiel deutlich weniger Chancen, sich auf dem Regieposten zu beweisen, als Männer. Wir rücken starke Frauenwerke wie «Mein Ein, mein Alles» in den Fokus, mit dem wir diese Staffel schließen.

Der Inhalt


Filmfacts: «Mein Ein, mein Alles»

  • Regie: Maïwenn
  • Produktion: Alain Attal
  • Drehbuch: Etienne Comar, Maïwenn
  • Darsteller: Vincent Cassel, Emmanuelle Bercot, Louis Garrel, Isild Le Besco, Chrystèle Saint Louis Augustin, Patrick Raynal
  • Musik: Stephen Warbeck
  • Kamera: Claire Mathon
  • Schnitt: Simon Jacquet
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
  • Laufzeit: 121 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Nach einem schweren Skiunfall wird Tony (Emmanuelle Bercot) in ein Reha-Zentrum gebracht. Dort muss die junge Frau aufgrund einer hartnäckigen Knieverletzung nicht nur mühsam das Gehen neu erlernen, sondern auch ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden. Zeit, um auf ihre turbulente Beziehung mit Georgio (Vincent Cassel) zurückzublicken: Warum haben sie sich geliebt? Wer ist dieser Mann, dem sie so verfallen war? Und wie konnte sie es zulassen, sich dieser erstickenden, zerstörerischen Leidenschaft auszuliefern? Vor Tony liegt ein langer Heilungsprozess, aber auch eine Chance, die Stücke ihrer zerbrochenen Persönlichkeit neu zusammenzusetzen und am Ende wieder frei zu sein. Doch dazu muss sie nicht nur ihr Leben Revue passieren lassen, sondern sich auch darauf einlassen, ihr Leben neu zu beginnen – vielleicht ohne Georgio…

Die Regisseurin


Die am 17. April 1976 im französischen Les Lilas, Seine-Saint-Daniels geborene Maïwenn Le Besco ist seit den frühen Achtzigerjahren im Filmgeschäft tätig. Zunächst arbeitete sie als Schauspielerin in kleinen Fernsehproduktionen, bis sie für «Léon - Der Profi» und «Das fünfte Element» sogar für ihren Freund und Vater ihrer ersten Tochter, Luc Besson, vor der Kamera stehen durfte. Der Regisseur sah sich für ersteres Werk sogar stark von der Liebe zu seiner halb so alten Freundin inspiriert. Ihre Aktivität in diversen französischen Produktionen (einschließlich das Terrorkinos) ließ sie eine erste Regiearbeit folgen. Mit ihrem passenderweise «I'm an Actrice» betitelten Kurzfilm, porträtierte sie sich selbst als Schauspielerin und entdeckte gleichsam ihre Fähigkeiten als Regisseurin. Sie inszenierte sowohl für die Theaterbühne, als auch später für die große Leinwand.

Zu ihren bekanntesten Werken gehören die auf Cannes vorgestellte Polizeistudie «poliezei» sowie der heute von uns vorgestellte «Mein Ein, mein Alles», ein Liebesdrama mit Vincent Cassel und Emmanuelle Bercot. Maïwenn Le Besco tritt bis heute nur noch unter ihrem Künstlernamen auf und wurde für ihre Filme - für die sie regelmäßig auch das Drehbuch schreibt und sogar vereinzelt noch selbst vor der Kamera steht - mit diversen Preisen ausgezeichnet. «Mein Ein, mein Alles» war 2015 für die Goldene Palme von Cannes nominiert.



Die 6 glorreichen Aspekte von «Mein Ein, mein Alles»


Gerade einmal 66 Kopien spendierte man dem französischen Liebesdrama «Mein Ein, mein Alles» Anfang 2016 für die deutschen Lichtspielhäuser. Kein Wunder also, dass in der Startwoche gerade einmal rund 12.000 Besucher ein Ticket für die emotional aufwühlende Charakterstudie der umjubelten Regisseurin Maïwenn lösten. Gleichsam ist das angesichts der Thematik nicht unbedingt erstaunlich; wer sich im Kino mit dem vielschichtigen Thema Liebe auseinander setzen möchte, dem steht eine ganze Palette mal mehr, mal weniger gelungener, vor allem aber auch vorzugsweise einseitig inszenierter Romanzen zur Verfügung. Der im französischen Original «Mon Roi» – zu Deutsch: „Mein König“ – betitelte Film erzählt über zwei Stunden lang von der Liebe in all ihren Erscheinungsbildern, beginnt beim überschwänglichen Jauchzen in der ersten Verliebtheitsphase, geht über in die Gewöhnung und entlädt sich in grauenvollen Momenten purer Abhängigkeit, einhergehend mit all ihrer selbstzerstörerischen Facetten. «Mein Ein, mein Alles» setzt bisweilen auf große Gesten sowie durchaus vorhersehbare Bahnen, in denen sich die Geschichte einer ebenso leidenschaftlichen wie tragischen Liebesbeziehung abspielt. Gleichwohl sind die von Maïwenn angestellten Beobachtungen dieses wankelmütigen Prozesses ebenso detailliert wie feinsinnig.

Zu sagen, «Mein Ein, mein Alles» würde lediglich das Scheitern einer Ehe nachzeichnen, würde der komplexen Beziehungsstudie nicht einmal im Ansatz gerecht werden. Eine dramaturgische Richtung wäre für einen Film wie diesen auch viel zu standardisiert. Abgesehen von den klassischen emotionalen Schwankungen innerhalb einer Ehe thematisiert Maïwenn auch die gegenseitige Abhängigkeit von Lebenspartnern, hinterfragt die Grenze zwischen Aufopferungsbereitschaft und Selbstzerstörung, durchleuchtet, wie Beziehungen funktionieren und kommt am Ende zu dem Schluss, dass Liebe und Hass ebenso wenig ohneeinander können, wie die beiden Hauptfiguren miteinander. Unter Zuhilfenahme beeindruckend authentischer Dialoge, zum Leben erweckt von phänomenal aufspielenden Akteuren und Aktricen, mal aus der Situation heraus brüllend komisch inszeniert, mal tieftraurige Regungen hervorrufend, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken, gelingt Maïwenn ein pulsierender Tour-de-Force-Ritt durch eine Liebe voller Höhen und Tiefen. Aus der Sicht der Protagonistin und obendrein in Flashbacks erzählt, verweigert die Filmemacherin trotzdem jedwede Positionierung. Mal lässt sie den Zuschauer über die scheinbare Blauäugigkeit der Figuren den Kopf schütteln, ein anderes Mal wiederum hofft man einfach nur darauf, das Paar möge doch irgendwie noch zu einem Happy End finden. Wer hier wen beeinflusst – ob Mann Frau oder Frau Mann – mag gerade aufgrund des französischen Titels lange klar sein; auch deshalb, weil Vincent Cassels Georgio so charmant und selbstverständlich mit seiner Umwelt interagiert, dass es keine bloße Behauptung ist, dass Tony sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Wenn sich die Rechtsanwältin aufgrund eines prestigeträchtigen Falls dann jedoch plötzlich schnurstracks in Richtung Unabhängigkeit begibt, zieht Maïwenn mithilfe Georgios überraschender Reaktion alle erzählerischen Register, indem sie sagt: Sie kann zwar nicht ohne ihn, aber er auch nicht ohne sie. Und auf einmal stehen die vergangenen zwei Stunden in einem völlig neuen Licht da…

«Mein Ein, mein Alles» ist eine über alle Maße ergreifende, komplex erzählte, tiefschürfende und zu jedem Zeitpunkt authentische Liebesgeschichte, deren inszenatorische Kraft so stark ist, dass man bisweilen glaubt, man würde hier Zeuge eines Liebes-Thrillers werden. So aufwühlend bekam man die Liebe selbst lange nicht mehr zu Gesicht.

«Mein Ein, mein Alles» ist auf DVD und Blu-ray Disc erschienen und via Amazon, iTunes, maxdome, Google Play, Microsoft, Sony, Rakuten TV, Videoload und Videociety als Stream verfügbar. Am 25. Januar 2018 erscheint zudem ein Mediabook mit DVD und Blu-ray.
31.12.2017 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/98075
Antje Wessels

super
schade


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