Die glorreichen 6 – Frauenpower auf dem Regiestuhl (Teil V)
Die Gleichberechtigung ist im Showgeschäft noch immer nur ein ferner Traum: Frauen erhalten zum Beispiel deutlich weniger Chancen, sich auf dem Regieposten zu beweisen, als Männer. Wir rücken starke Frauenwerke wie «American Psycho» in den Fokus, um dies anzuklagen.
Der Inhalt
Filmfacts: «American Psycho»
Regie: Mary Harron
Produktion: Edward R. Pressman, Chris Hanley, Christian Halsey Solomon
Drehbuch: Mary Harron, Guinevere Turner; nach dem Roman von Bret Easton Ellis
Darsteller: Christian Bale, Willem Dafoe, Jared Leto, Josh Lucas, Samantha Mathis, Matt Ross, Bill Sage, Chloë Sevigny, Cara Seymour, Justin Theroux, Guinevere Turner, Reese Witherspoon
Musik: John Cale
Kamera: Andrzej Sekuła
Schnitt: Andrew Marcus
Veröffentlichungsjahr: 2000
Laufzeit: 101 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Patrick Bateman (Christian Bale) ist ein New Yorker Yuppie, wie er im Buche steht: Er lebt in einer Designerwohnung, hat einen durchtrainierten Körper, den er manisch pflegt, er trägt Designermode, die ihm perfekt sitzt, und er drückt sich überaus gewählt aus. Doch hinter der minutiös aufrecht erhaltenen Fassade steckt ein gefühlskalter, rücksichtsloser Mann, dessen Reden vom Kampf für Gerechtigkeit durch seine wahre Haltung negiert werden. So befiehlt er seiner Sekretärin (Chloë Sevigny), sich gefälligst sexy anzuziehen. Und seine Beziehung zur blassen Evelyn (Reese Witherspoon) verrät er durch ständige Affären.
Doch wie sich zeigt, ist Bateman ein noch deutlich schlimmerer Mensch, als man vor diesem Hintergrund eh denken würde: Er führt ein mörderisches Doppelleben!
Die Regisseurin
Die 1953 geborene Kanadierin Mary Harron lebte in den 70er-Jahren in New York City und war dort Teil der Punk-Bewegung. Unter anderem half sie dabei, das 'Punk'-Magazin aus der Taufe zu heben und machte als Musikjournalistin die Sex Pistols in den USA bekannt. Später zog sie nach London, wo sie als Theater- und Musikkritikerin tätig war, ehe sie in den 90er-Jahren nach New York City zurückkehrte. Dort produzierte sie das PBS-Popkulturmagazin «Edge». Während dieser Tätigkeit stieß sie auf die Lebensgeschichte der Beinahemörderin des Künstlers Andy Warhol – Valerie Solanas. Über sie drehte Harron ihren ersten Film, die mit Fakt und Fiktion spielende Dokumentation «I Shot Andy Warhol».
2000 folgte ihr erster fiktionaler Film, die Romanadaption «American Psycho», ein Gig, an den sie herankam, weil die Produzenten gezielt nach einer Regisseurin gesucht haben: Sie fürchteten eine Kontroverse gegen den brutalen Film, und hofften, mit einer Frau auf dem Regieposten diese mildern zu können. Der Film erhielt durchaus positive Kritiken, dennoch sorgte er auch für Aufruhr. Harrons nächste Regiearbeit, «The Nototious Bettie Page» über ein umstrittenes Aktmodell, und der Horrorfilm «Die Sehnsucht der Falter» sorgten in den Jahren danach für weniger Aufmerksamkeit. Harron wählte, wie viele Regisseurinnen, den Weg zum Fernsehen, wo sie für Serien wie «Oz», «Six Feet Under» und «The L Word» respektierte Arbeiteten leistete.
Die 6 glorreichen Aspekte von «American Psycho»
Regisseurin Mary Harron erläuterte, dass sie den Auftrag, «American Psycho» zu adaptieren, unter anderem aus selbsttherapeutischen Gründen angenommen hat: Sie wollte sich durch die Auseinandersetzung mit der kontroversen Romanvorlage und ihren aggressiven Figuren die Angst vor bestimmten Männertypen nehmen. Dieser Ansatz ist nicht extrem offensichtlich, aber subtil im Film spürbar: Harron nimmt den expliziten Schrecken, der in der Romanvorlage die Welt reicher Schnösel durchzieht, und zieht ihn ganz leise ins Lächerliche. Die Täter sind in Harrons Sicht keine schrecklichen Gestalten, sondern zum Stirnrunzeln einladende Witzfiguren – das macht ihr Handeln nicht weniger gefährlich, aber es nimmt den bedrohlichen Männern etwas ihrer einschüchternden Macht.
Die von atmosphärischen Longtakes durchzogene Inszenierung ist konsequent stilsicher und eiskalt. Manche Filmfreunde nehmen dies als Kritikpunkt, sorgte die Romanvorlage doch wegen ihrer expliziten Gewalt für Aufsehen – Harrons «American Psycho» geht da in den Gewaltspitzen längst nicht so weit. Aber es ergibt im Gesamtkontext des Films Sinn: Harron entführt ihr Publikum in die Perspektive der gefühlskalten, distanzierten Yuppies, die sich nur für akkurates Design interessieren. Da sind gewollt erzielte Blutspritzer nicht ekelhaft, sondern der neuste modische Touch. Christian Bale, Willem Dafoe, Jared Leto – sie alle spielen passenderweise ihre moralisch fragwürdigen Figuren nahezu parodistisch, doch mit genügend Gravitas, um dieser schwarzen Thrillerkomödie nicht vollends die Spannung zu rauben.
Dieser gesellschaftskritische Aspekt zieht sich auch dahingehend weiter, dass das Skript diverse, halbseidene Erklärungsversuche für Mordlust gibt – und so den Finger in die Wunde legt: Es lässt sich ewig rationalisieren, wieso reiche, behütet aufgewachsene Männer mit stabiler Lebenssituation zu Monstern werden, doch man darf es mit dem Mitleid nicht übertreiben. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt des Films: Harron spielt hervorragend mit der Erwartungshaltung, indem sie Gewalt in der Vorstellungskraft des Publikums erzeugt, wo Harmloses folgt, und auf Gags vorbereitet, wenn keine anstehen. So erschafft Harron einen fesselnden Genrehybriden, der durch diesen erzählerischen Kniff die Zeit überdauert, selbst wenn sein Yuppie-Feindbild in unserem Alltag verblasst.
«American Psycho» ist auf DVD erschienen und via Amazon, iTunes, Google Play, Microsoft, Sony und Chili als Stream verfügbar. Am 25. Januar 2018 erscheint zudem ein Mediabook mit DVD und Blu-ray.
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