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Die Kritiker: «Über die Grenze - Gesetzlos»

Der Eindruck der Premierenfolge bestätigt sich: «Über die Grenze» ist immer dann am gelungensten, wenn die Geschichte kein Krimi sein muss. Themaverfehlung oder ehrenwerter erzählerischer Versuch?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Thomas Sarbacher als Steffen Herold
Anke Retzlaff als Leni Herold
Philippe Caroit als Yves Kléber
Johannes Krisch als Jegor Sobolew
Christian Kuchenbuch als Diakon Junkers
Artjom Gilz als Petja Kremer
Jenny Schily als Sabine Herold

Hinter der Kamera:
Produktion: Polyphon Pictures GmbH
Drehbuch: Felice Götze, Paul J. Milbers und Sabine Radebold
Regie: Michael Rowitz
Kamera: Stefan Unterberger
Produzentin: Sabine Tettenborn
Wir erinnern uns: In der Auftaktfolge hat die junge Polizistin Leni Herold (Anke Retzlaff) sechzehn Stunden als Geisel in der Gewalt von zwei jungen Räubern verbracht. Vor ihren Augen erschoss der eine den anderen, nachdem er sie vergewaltigt hatte. Um sich zu befreien, fuhr sie das Auto, in dem er sie festhielt, gegen einen Baum. Sie kam mit überschaubaren akuten Verletzungen davon, ihr Peiniger liegt derzeit im Koma auf der Intensivstation.

Weder ihren Kollegen, noch der Polizeipsychologin und erst recht nicht ihrem Vater hat sie erzählt, dass sie während ihrer Entführung auch Opfer sexueller Gewalt geworden ist. Ihr Vater Steffen (Thomas Sarbacher), ein umsichtiger, erfahrener Mann, der seine Tochter weit über das für sie angenehme Maß hinaus beschützen will, ahnt es zwar, doch auch er sucht das Gespräch nicht: Er hat Angst vor der Antwort. Erst ganz am Schluss dieses Fortsetzungsfilms kommt es zu einer tiefergehenden Aussprache zwischen den Beiden, in einem der wenigen aufrichtig emotionalen und ernsthaft psychologischen Momente, die „Gesetzlos“ findet.

Zuvor kämpft Leni mit den Nachhallerinnerungen an ihr Trauma, mit ihrer Angst, von ihrem Vergewaltiger geschwängert worden zu sein, mit ihren Bemühungen, ihre tiefen seelischen Wunden vor ihren Kollegen und ihrer Familie zu kaschieren. Es ist wohl eher Anke Retzlaffs filigranem, feinsinnigem Spiel als der überladenen Narrative zuzuschreiben, dass diese Geschichte oftmals tatsächlich einnehmend ist. Denn während das Drehbuch eher auf Redundanzen und beliebige Wiederholungen setzt, die oft nur in vorhersehbare und abgestandene Entwicklungen münden (eine Night Out als Gegenprogramm zur emotionalen Quälerei als Zeichen der Selbstbestimmung, und kecke Sprüche zum Überspielen der kaputten Psyche), lotet Retzlaff gekonnt und mit viel Verstand Zwischentöne und variationsreiche Facetten aus.

„Gesetzlos“ bemüht sich, diese Geschichte zu einem Kern seiner Erzählung zu machen. Doch der Anspruch und die Genre-Wegweisung, dass «Über die Grenze» unbedingt eine Krimi-Reihe sein muss, sind freilich stärker, als dass sich der Stoff allein auf dieses an sich interessante Untersuchungsfeld konzentrieren dürfte.

Und so wird im deutsch-französischen Grenzgebiet der Sohn eines Anführers der Russenmafia umgelegt. Für Herold und seinen französischen Kollegen Yves Kléber (Philippe Caroit) ist der Mann ein alter Bekannter – und zunächst gehen die Beiden wohlbegründet davon aus, dass das Mafiaoberhaupt bald Rache dafür üben wird, dass bei einem missglückten Drogendeal sein eigen Fleisch und Blut niedergeschossen wurde. Noch dazu scheint es, als habe er Herold und Kléber in der Tasche: Et là, on joue sur les mots. Denn immer wieder kramt er aus seiner Jackettinnentasche einen Umschlag mit alten Fotos heraus, die er Kléber bei ihren informellen Treffen bedeutungsschwanger durchblättern lässt.

Viel zu viele Schauplätze also, die „Gesetzlos“ in seiner eineinhalbstündigen Laufzeit beackern will: frische psychische Traumata, ein diffuses Mysterium um die alte Verbindung zwischen Herold und Kléber, in die auch Herolds Frau involviert zu sein scheint (warum auch immer), und das eiserne Gesetz verschworener Gemeinschaften wie der Russenmafia, deren Anhänger nicht nur aus Angst vor viehischer Rache lieber stoisch in den Tod gehen als gegen den Ehrenkodex zu verstoßen. Es ist wenig verwunderlich, dass «Über die Grenze» auch in seiner zweiten Folge allein schon wegen dieser thematischen Überlastung im Großteil unangenehm oberflächlich bleibt. Jedes dieser Untersuchungsfelder für sich hätte mehr Zeit gebraucht, um sich wirklich sinnvoll zu entwickeln, um wirklich einnehmende Betrachtungswinkel zu finden, um wirklich eine interessante Geschichte zu erzählen. Wie in der Premiere letzte Woche gilt: Diese Reihe ist immer dann am besten, wenn sie kein Krimi sein muss. Das mag man als Themaverfehlung werten – oder als durchaus ehrenwerten Versuch, der aufgrund seiner Inkonsequenz leider unweigerlich zum Scheitern verurteilt ist.

Das Erste zeigt «Über die Grenze – Gesetzlos» am Donnerstag, den 14. Dezember um 20.15 Uhr.
14.12.2017 09:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/97760
Julian Miller

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