Ein neues Team ermittelt sich im Ersten ab morgen Abend durch das baden-württembergisch-elsässische Grenzgebiet. Die ersten Minuten sind blamabel: Bis sich die Story deutlich steigert.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Thomas Sarbacher als Steffen Herold
Anke Retzlaff als Leni Herold
Philippe Caroit als Yves Kléber
Sebastian Hülk als Danne Marquardt
Rick Okon als Milou Jangy
Bernhard Piesk als Tino Lohrer
Noémie Kocher als Ségolène Combass
Hinter der Kamera:
Produktion: Polyphon Pictures GmbH
Drehbuch: Felice Götze und Sabine Radebold
Regie: Michael Rowitz
Kamera: Stefan Unterberger
Produzentin: Sabine TettenbornMachen wir uns nichts vor: Der erste Eindruck ist desaströs. Die neue Reihe, eingebettet in die Europa-Krimi-Marke des Ersten, präsentiert uns eine grenzüberschreitende Einheit aus deutschen und französischen Polizisten, die zwischen Alsace und Baden-Württemburg, von Strasbourg bis Freiburg vor sich hin ermitteln.
Der emotionale
Hook beschränkt sich zunächst auf ein bekanntes, einfaches und nicht sonderlich glaubwürdiges Motiv: Der mit allen Wassern gewaschene Steffen Herold (Thomas Sarbacher) heißt in seinem Team etwas widerwillig ein neues Mitglied willkommen, das frisch von der Polizeischule bei ihm im gehobenen Dienst gelandet ist: seine Tochter Leni (Anke Retzlaff). Um jeden Preis will er sie vor den Gefahren schützen, die ihr Beruf so mit sich bringt. Deshalb darf sie auch an einem geplanten Einsatz nicht teilnehmen, bei dem zwei junge französische Räuber, Danne Marquardt (Sebastian Hülk) und Milou Jangy (Rick Okon), dingfest gemacht werden sollen, während sie eine mit Polizisten in Zivil vollgestopfte Bank überfallen.
Natürlich geht die Sache schief. Die Ganoven riechen den Braten und überfallen stattdessen ein Wettbüro ein paar Blocks weiter, wo Leni blöderweise gerade den Wettschein von gestern Abend einlöst. Ein Zugriff scheitert – und die Übeltäter nehmen ausgerechnet Leni als Geisel, um mit ihr nach Frankreich zu flüchten.
Steffen Herolds Strategie ist zunächst bemerkenswert: Ja nichts den französischen Kollegen stecken, sodass der Vorgang in seiner Hand bleibt, und er entscheiden darf, ob ein Zugriff stattfinden soll oder nicht, damit seiner Tochter nichts passiert. Das geht freilich bald nach hinten los, als die zuständige französische Kollegin Ségolène Combass (Noémie Kocher) erfährt, dass sie, nun ja, zuständig ist. Nachdem Herold seinem Nachnamen endgültig alle Ehre gemacht hat und handgreiflich geworden ist, kann sein alter Kumpel Yves Kléber (Philippe Caroit) gerade noch seine Verhaftung verhindern. Zusammen mit Herold macht er sich parallel zur offiziellen Polizeiermittlung auf die Suche nach den Entführern und Herolds verschwundener Tochter.
Von da an wird der Film deutlich besser. Denn bei Leni beginnt das Stockholm-Syndrom zu wirken – und die Premiere von «Über die Grenze» findet angenehme, unprätentiöse Betrachtungswinkel, um diese Geschichte zu erzählen. Leni will fliehen, ist aber intelligent genug, um keine Dummheiten anzustellen. Die beiden Gangster unterscheiden sich in ihrer Bereitschaft zur Empathie und ihrer Kaltschnäuzigkeit, im Zweifel alles zu tun, um davonzukommen. Aber sie unterscheiden sich darin eben nur graduell, nicht absolut. Zwischen Leni und ihren Entführern herrscht immer eine brutale Spannung, natürlich auch eine fundamentale Abneigung, aber trotzdem kann dieser Film glaubhaft Momente der Intimität zulassen, der wechselseitigen Identifizierung, vielleicht sogar Sympathie, bis wenig später der Brutalere des Duos doch wieder zum Abscheulichsten fähig ist. Und auch diese Wandlung ist so überzeugend gespielt und so nahbar geschrieben, dass man sie zweifellos als glaubhaft und in sich sinnig erleben kann.
Es ist vielleicht kein guter Vorbote für eine Krimi-Reihe, dass dieser Film immer dann seine stärksten Momente hat, wenn es nicht um die Jagd auf die Verbrecher geht, um polizeiliche Taktiererei, um klickende Handschellen und markante Sprüche. Denn all diese Punkte löst «Über die Grenze» nicht selten auch jenseits der Grenze zum Grässlichen, insbesondere zu Beginn des Films: „Überlass den Schuldspruch nie dem Richter“, raunt Herold justizskeptisch auf die (berechtigte) Frage seiner Tochter, warum man die beiden Kriminellen eine fingierte baden-württembergische Bank überfallen lassen will, anstatt sie vom Fleck weg zu verhaften. Als das binationale Team bei Telefongesprächen der Räuber mithört und dabei eine fremde, weder deutsch noch französisch klingende Sprache hört, und Leni als Antwort darauf, was das sei, von einem Kollegen „Jenisch“ erhält, antwortet sie bemüht keck mit einem schmissigen „Zick, Zack, Zigeunerpack!“. Auch Urlaubs-Krimi-Dialoge konnten den Charakter einer Figur schon geistreicher etablieren.
Später, als der Stoff zum größten Teil den
Ticking-Clock-Duktus ablegt und sich seinen Kernfiguren, den zwei Verbrechern und der entführen jungen Frau, psychologischer, menschlicher, intimer nähert, stören auch die grenzüberschreitenden Allgemeinplätze nicht mehr so: etwa dass im Autoradio unbedingt „Joe, le Taxi“ laufen muss, und das linksrheinische Team ständig mit allzu stereotyp-französischen Phrasen um sich wirft.
Bon sang!
Natürlich hat es etwas Bizarres, wenn ein Krimi immer dann am besten gelungen ist, wenn er das Krimitypische aufgibt und sich interessanteren Themen widmet. Aber wenn man sich dieser Stärke bewusst bleibt, kann das für den Donnerstagabend im Ersten eine sinnvolle, tragfähige Ergänzung sein.
Das Erste zeigt «Über die Grenze – Alles auf eine Karte» am Donnerstag, den 7. Dezember um 20.15 Uhr.
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