Eher «Deadwood» oder «Doctor Quinn»? So richtig kann sich die neue Netflix-Miniserie mit Jeff Daniels nicht zwischen den beiden Extremen des amerikanischen Western-Genres entscheiden – und beeindruckt eher visuell als erzählerisch.
Cast & Crew
Produktion: Netflix
Schöpfer: Scott Frank und Steven Soderbergh
Darsteller: Jack O'Connell, Jeff Daniels, Michelle Dockery, Scoot McNairy, Thomas Brodie-Sangster, Merritt Wever, Jeremy Bobb u.v.m.
Executive Producer: Scott Frank, Steven Soderberg und Casey SilverDer
Outlaw Frank Griffin (Jeff Daniels) hinterlässt mit seiner Räuber- und Mörder-Bande in der ländlichen Prärie Colorados und Wyomings in den 1880ern eine Schneise der Verwüstung. Den desillusionierten bis inkompetenten Sheriffs ist er immer ein paar Schritte voraus; doch eine Begegnung mit seinem ehemaligen Schützling Roy Goode (wohl ein sprechender Name; Jack O’Connell) hat für beide Männer Konsequenzen. Goode schießt Griffin in den Arm, der anschließend vom nahegelegenen Dorfchirurgen mit den rabiaten Methoden der Zeit amputiert wird. Goode muss, ebenfalls schwerverletzt, vor der blutrünstigen Meute fliehen.
Goode hatte freilich hehre Motive. Sagt er zumindest, als er sich am Ende der ersten Folge dem Sheriff stellt: Griffin und seine Bande hatten gerade einen Zug überfallen und gebrandschatzt, zwei besonders garstige seiner Männer eine der Reisenden geschändet. Hätte man sie gelassen, wären sie in den nächsten Ort weitergezogen und hätten ihre Morde und Plünderungen fortgesetzt.
Goode hatte unterdessen Zuflucht bei Alice Fletcher (Michelle Dockery) gefunden, einer zweifach verwitweten jungen Frau, die mit ihrem Sohn und der indianischen Mutter ihres verstorbenen Mannes in der Prärie auf einer ärmlichen
Homestead mit mehreren Dutzend Pferden lebt, die sie sich zu verkaufen weigert. Um dem vagabundierenden Gesindel gewappnet zu sein, das in verregneten Nächten dort aufkreuzen und allerhand Unheil stiften könnte, hat sie als hervorragende Schützin die Schrotflinte immer griffbereit. Als der unbekannte Goode also eines Nachts auf ihrem Hof auftaucht und sich nicht unmittelbar als harmlos zu erkennen gibt, trifft ihn Alices flinke Kugel am Hals. Immerhin lässt sie den Mann sich in ihrer Obhut auskurieren und zwischen den Beiden entsteht eine gewisse Nähe. Bis der Sheriff kommt.
Das Western-Genre kennt im amerikanischen Fernsehen der jüngeren Geschichte zwei Extreme: «Deadwood», die vielschichtige Milieustudie einer Kleinstadt in South Dakota anno 1876, ein philosophisches Traktat über einen amerikanischen Mythos, das auf zahlreichen Ebenen funktionierte und interessant war: psychologisch, dramaturgisch, nationalhistorisch. Und «Dr. Quinn, Medicine Woman», eine von CBS in den 90er Jahren heruntergekurbelte Soap um eine Ärztin, die sich in der westlichen amerikanischen Peripherie des späten neunzehnten Jahrhunderts in einer archaischen Gesellschaft behaupten musste, die intellektuellen Ambitionen von Frauen zu einem beträchtlichen Teil ablehnend gegenüberstand. Dieses Format erlaubte freilich nur eine deutlich oberflächlichere, grobschlächtig verfälschte Begegnung mit jenem Ort und jener Zeit, aus der Amerika einen entscheidenden Kern seiner nationalen Narrative bildet, und war erzählerisch nur bedingt ambitionierter als die ebenso soapigen historischen Vorläufer «Little House on the Prairie» und «Bonanza».
Wenn Frank Griffin mordend durch Colorado reitet und Alice Fletcher ihre
Homestead verteidigt, erinnert dies freilich mehr an «Deadwood» als an die älteren – und deutlich trivialeren – Formate. Dabei bleibt «Godless» zunächst recht arm an äußerer Handlung und beschäftigt sich lieber mit einer langsamen, eingehenden Introspektive in das Seelenleben der Charaktere.
Schon bald wird Antiheld Frank Griffin jedoch unangenehm fahrig geführt und die Hintergründe seiner Figur bleiben lange schwammig. Diese zu konkretisieren, wäre jedoch eine dramaturgische Goldgrube gewesen, eine sinnvolle Eintrittspforte für auch psychologisch interessante Aspekte: Wie wird der Verbrecher zum Verbrecher, zum raffgierigen Machtmenschen ohne jede Menschlichkeit?
Der opulente visuelle Eindruck, der für eine Netflix-Produktion übliche äußerst kunstvolle Vorspann, die liebevoll gestalteten, detailverliebten Sets, sicherlich das Ergebnis eingehender, umfangreicher Recherchearbeiten, das variationsreiche Panoptikum der westlichen US-Gesellschaft im
Gilded Age, das, wie die weitgehend zeitgleiche
Belle Époque in Frankreich oder der Gründerboom in Deutschland, für weite Teile der Gesellschaft alles andere als
gilded war – all das hinterlässt einen hervorragenden ersten Eindruck, aber einen etwas problematischeren zweiten: den einer eleganten, aber letztlich auch etwas unehrlichen Kaschierung der Defizite des Formats.
Denn die rücken «Godless» immer wieder weg von «Deadwood» und mehr in die Richtung von «Doctor Quinn, Medicine Woman». Trotz aller Bemühungen: Sicher gelingt es der Mini-Serie etwa mit einer Figur wie Alice Fletcher, Themen wie Sexismus und Einsamkeit von ihrem historischen Blickwinkel aus auch in unserer heutigen Gesellschaft zu kommentieren, natürlich hat der Dualismus zwischen Frank Griffin und Roy Goode auch philosophische Implikationen, selbstverständlich ist der hier weitererzählte (und teilweise konterkarierte) amerikanische Mythos eines wilden Westens, der vom
Frontier Spirit gezähmt und zivilisiert wird, auch für das heutige Selbstverständnis Amerikas relevant.
Doch das steht stellenweise zu wenig im Vordergrund, zugunsten schwammiger narrativer Effekte, worüber die opulente visuelle Ausstaffierung und die gelungene Ästhetik gerne hinwegzutäuschen versuchen. Zu oft verrennt sich das Format in opulente Sequenzen, die dramaturgisch aber keine neuen Facetten beitragen, sondern bloße Redundanzen bleiben. Die Form scheint wichtiger als der Inhalt, das Visuelle wichtiger als die Narrative. Wirklich missglückt ist an «Godless» nichts – aber eine wahrhaft große Serie hätte mit einer größeren erzählerischen Ambition glänzen müssen.
«Godless» ist ab dem 22. November 2017 exklusiv bei Netflix verfügbar.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel