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Die Kritiker: «Tatort: Auge um Auge»

Im neuen «Tatort» aus Dresden fahndet das weibliche Ermittlerduo im Umfeld einer Versicherungsfirma nach dem Mörder. Während der Krimi-Plot durchaus zu überzeugen weiß, funktioniert die Sozialkritik nur bedingt.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Alwara Höfels als Henni Sieland
Karin Hanczewski als Karin Gorniak
Martin Brambach als Peter Michael Schnabel
Arnd Klawitter als Rainer Ellgast
Henny Reents als Martina Scheuring
Peter Schneider als Harald Böhlert
Marie Lauenberger als Ines Böhlert
Ramona Kunze-Libnow als Cordula Wernicke

Hinter der Kamera:
Buch: Ralf Husmann, Peter Probst, Franziska Meletzky
Regie: Franziska Meletzky
Kamera: Bella Halben
Produzenten: Nanni Erben, Quirin Berg, Max Wiedemann
Das vermutlich häufigste, weil offensichtlich bedeutsamste, Schlagwort, das in den hiesigen Fernsehspots zu Versicherungen verwendet wird, dürfte „Sicherheit“ sein. Das Leben ist nicht berechenbar, das Leben ist nicht fair – aber deine Versicherung, die ist es. Sie ist angeblich dein doppelter Boden, wenn du aufgrund eines Schicksalsschlags tief fällst. Diesen Anstrich geben sich die Behörden selbst gerne, obwohl es logischerweise nicht im Firmeninteresse liegt, die abgeschlossenen Versicherungen auszuzahlen. Auf Seite der Kunden ist Versicherungsbetrug hingegen ein häufig genutztes Mittel, um schnell an Geld zu kommen. Wie sicher kann man sich da noch sein?

Der neue Dresdner Tatort, bereits vergangenes Jahr im November und Dezember gedreht, nimmt sich dem auf den ersten Blick gähnend langweiligen Thema Versicherung an. Allerdings arbeiten Drehbuchautor Ralf Husmann und Regisseurin Franziska Meletzky viele Feinheiten aus der Thematik heraus, die das Umfeld des «Tatorts: Auge um Auge» interessant erscheinen lassen. Möglicherweise profitierten die beiden dabei von ihrer gemeinsamen Arbeit an der zum Kult avancierten Comedyserie «Stromberg», dessen Setting ebenfalls eine Versicherung darstellte. Dort wurde der Chef jedoch nicht Opfer eines Anschlags...

In der Versicherungsfirma ALVA wird der Abteilungsleiter Heiko Gebhardt am helllichten Tag vom gegenüberliegenden Gebäude aus erschossen. Ein Scharfschütze in Dresden? Die Ermittlerinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski), Henni Sieland (Alwara Höfels) und ihr Chef Schnabel (Martin Brambach) befragen die Angestellten der Versicherung und finden sich in einem Geflecht aus Mitarbeiterintrigen und knallharter Firmenpolitik wieder. Die Sachbearbeiterin Cordula Wernicke (Ramona Kunze-Libnow) verrät ihnen, dass der Versicherungskonzern von seinen Mitarbeitern erwartet, weniger Versicherungsleistungen auszuzahlen. Zugleich soll Personal abgebaut werden.

Unter firmeninternem Druck litt auch Wernickes Kollege Rainer Ellgast (Arnd Klawitter), der deswegen mit dem Mordopfer wiederholt in Streit geriet. Die Ermittlerinnen finden heraus, dass das Alibi, dass er sich selber gibt, nicht stimmt. Auch unter den ALVA-Kunden stoßen Gorniak und Sieland auf Unzufriedenheit und zerstörte Existenzen – wie Harald Böhlert (Peter Schneider), der nach einem Arbeitsunfall und jahrelangem Rechtsstreit von der ALVA um seine Entschädigung gebracht wurde. Im Kampf um sein Recht wird Böhlert von Martina Scheuring (Henny Reents) unterstützt, die die üblen Methoden der ALVA mit radikalen Mitteln entlarven will. Doch mancher Betrogene entpuppt sich auf den zweiten Blick selbst als Betrüger.

So darf Vertrauen als Leitmotiv dieses Krimis gelten. Das Vertrauen der Kunden in ihre Versicherung, die doch genau diese einfordert, wurde bitter enttäuscht. Andererseits versuchen manche der Kunden selbst, das Vertrauen der Versicherungsangestellten zu missbrauchen. Der Slogan der Firma „Ihr Partner für Ihre Sicherheit“ wird gleich mehrfach ironisch in Dialogen verarbeitet. So konnte die Versicherung weder seinen Kunden, noch ihrem Chef, dem Anschlagopfer Gebhardt, Sicherheit gewährleisten. Gleichzeitig schwindet bei Ermittlerin Sieland das Vertrauen in die Beziehung zu ihrem Freund. Das Privatleben der Polizistin ist der bedeutsamste Nebenplot. Die Weiterentwicklung des Charakters Henni Sieland wird vorangetrieben, von ihrer Kollegin erfährt der Zuschauer diesmal hingegen nur wenig Persönliches.

Zudem bekommt der Krimi eine ordentliche Portion Sozialkritik verpasst, die allerdings nur teilweise funktioniert. Auch hier nimmt Ermittlerin Henni Sieland einen bedeutsamen Part ein. Als weltoffene, tolerante Frau kümmert sie sich um Flüchtlinge und stellt einen Gegenpol zum medial oft im Kreuzfeuer stehenden Dresden dar, das seit Pegida und Flüchtlingsthematik keinen guten Ruf genießt. Dieses erzkonservative bis rechtspopulistische Weltbild wird hingegen durch Kommissariatsleiter Martin Brambach sowie den stellvertretenden Versicherungschef Rainer Ellgast symbolisiert. Beide sind sich in ihrem chauvinistischen und homophoben Weltbild weitestgehend einig und verstehen sich deshalb blendend, Behindertenwitze inklusive. Sogar der vielzitierte Satz der Kanzlerin „wir schaffen das“, wenngleich auf eine persönliche Situation bezogen, findet seinen Platz in einer Geschichte, der etwas mehr Differenzierung gut tun würde. So wichtig immer wieder Statements gegen Xenophobie auch sind, gleitet hier leider vieles in Schwarz-Weiß-Denken ab und konterkariert so die Botschaft.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Kritik an der Versicherungsbranche. Der Krimi schafft es durchaus, Sympathie für den Kampf der Opfer für Gerechtigkeit zu wecken, die Kapitalismuskritik a la „Die bösen da oben“ wirkt manchmal jedoch verkürzt. Die internen Machtkämpfe und Intrigen innerhalb der Firma werden zwar selbstverständlich auch überspitzt präsentiert, sind hier jedoch das Salz in der Suppe und dürften bei Büromitarbeitern zumindest teilweise Erinnerungen wecken.

Die zuvor erwähnten Eindrücke trüben etwas das Gesamtbild eines ansonsten absolut sehenswerten «Tatorts» mit durchweg guten schauspielerischen Leistungen und starken Frauenfiguren. Einzig Arnd Klawitter neigt in seiner Rolle des Rainer Ellgast zeitweise zur Überperformance. Die Spannung des Krimis speist sich aus einem vergleichsweise großen Kreis an Verdächtigen mit unterschiedlichen Motiven und Beziehungen untereinander. Aufgrund des clever geschriebenen Drehbuchs und guter Dialoge kommt die Geschichte fast ohne Actionszenen aus. Diese sind dafür von umso höherer Intensität.

Das Erste zeigt den «Tatort: Auge um Auge» am Sonntag, den 12. November ab 20:15 Uhr.
10.11.2017 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/96998
Christopher Schmitt

super
schade


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Auge um Auge Stromberg Tatort Tatort: Auge um Auge Tatorts Tatorts: Auge um Auge

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