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Die Kritiker: «Der mit dem Schlag»

Ein Mann wird in der Psychiatrie weggesperrt, obwohl es dafür keinen Grund gibt. So weit, so tragisch und leider auch realistisch. Ein schwieriger Stoff für eine Komödie, doch Hinnerk Schönemann lässt sie gelingen.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Hinnerk Schönemann als Felix Grünler
Lisa Maria Potthoff als Melanie Merk
Sahin Eryilmaz als Rufus
Kurt Krömer als Ingo Grünler
Marlene Morreis als Karin Grünler
Sophie Rois als Psychotherapeutin Eva Passlack
Armin Rohde als Bürgermeister

Hinter der Kamera:
Produktion: FFP New Media GmbH
Drehbuch: Christian Jeltsch
Regie: Lars Becker
Kamera: Martin Langer
Produzenten: Simone Höller und Michael Smeaton
Felix Grünler (Hinnerk Schönemann) ist mit Sicherheit exzentrisch: Seit Jahren verfolgt der Starkstromelektriker zielstrebig den Plan, die Weihnachtsbeleuchtung in seiner verschlafenen Heimatstadt, dem Tor zur Lüneburger Heide, neu zu gestalten. Seine detailliert ausgearbeiteten Pläne und die sündhaft teuren, herrlich süßen Modelle, die er auf ihrer Basis anfertigt, vermögen aber nicht den Bürgermeister (Armin Rohde) zu überzeugen. Abgeturnt von seiner mangelnden Durchsetzungskraft und fest in ihrer Gewissheit, dass er ein zu guter Mensch für sie sei, macht seine Partnerin Melanie (Lisa Maria Potthoff) daraufhin mit ihm Schluss.

Als dann seine Mutter stirbt (die ihn auch nicht sonderlich nett und rücksichtsvoll behandelt), setzt das eine erschreckende Maschinerie in Gang: Felix soll ihr gesamtes Vermögen erben, sein Bruder Ingo (Kurt Krömer) nur ihre Sammlung von Petula-Clark-Platten erhalten. Realschullehrer Ingo könnte das akzeptieren. Aber seine Frau Karin (Marlene Morreis), Oberstudienrätin am Gymnasium – diesen Standesunterschied zu ihrem Mann kostet sie genüsslich aus – lässt das nicht auf sich sitzen und will das Erbe an sich reißen. Als Felix wenig später wegen einer weitgehend belanglosen Körperverletzung vor Gericht steht, ergreift sie die Gelegenheit und stellt den Eltern zweier ihrer Schülerinnen, der mit dem Fall betrauten Richterin und einem psychologischen Gutachter, in Aussicht, den Kindern im Gegenzug für ein gewisses Wohlwollen für ihre Seite beim Prozess gute Noten zu geben. Die beißen an – und die Rechtsbeugung kann beginnen. Felix wird wegen angeblicher Suizidgefährdung zwangsweise in der forensischen Psychiatrie untergebracht.

Diese Geschichte als Komödie zu erzählen, ist ein mutiges Unterfangen. Es ist ja nicht so, als ob dieser Abriss nicht schnell an reale Begebenheiten erinnerte. Dass exzentrische, vielleicht schrullige, aber keineswegs gemeingefährliche Menschen nach Mauscheleien im Justizbetrieb jahrelang in der Psychiatrie verschwinden, passiert in Deutschland (na gut, zumindest in Bayern) ja tatsächlich. Der Fall Gustl Mollath verdeutlichte: Wer sich mit der Justiz anlegt und dabei in der allgemeinen Würdigung durch Dritte als sonderbar wahrgenommene Dokumente einreicht, riskiert, weggesperrt zu werden. Im bayerischen System ist nicht der schuldig, der Schwarzgeld wäscht, sondern der, der den Schwarzgeldwäscher mit Dreck bewirft.

Ein so ernstes Thema als – wenn auch schwarze – Komödie zu erzählen, erfordert also ein besonderes dramaturgisches Feingefühl. Um keinen Preis dürfen die Figuren vorgeführt werden, niemals darf der Eindruck entstehen, der Freiheitsentzug und die Entwürdigung der betroffenen Charaktere seien, da sie Quell von allerhand Hi-Hi-Witzeleien sind, ja gar nicht so schlimm.

Das gelingt «Der mit dem Schlag» nur teilweise – und wohl auch eher durch das würdevolle, feinsinnige Spiel von Hauptdarsteller Hinnerk Schönemann als durch die Narrative des Drehbuchs. Felix‘ Heldenreise ist dabei sehr schön angelegt: In der Psychiatrie findet er schließlich Selbstvertrauen, als er erkennt, wie leicht und nachhaltig er seinen Mitpatienten dort helfen kann. Doch das macht das Leben dort nur bedingt erträglicher.

Es mag keine Nurse Ratched auftreten, und doch ist der Klinikalltag äußerst bedrückend, geprägt von Gängelung, von Smartphone-Verbot und der Abschirmung von der Außenwelt, von Kontrollen und Überprüfungen, von Entwürdigungen und Zumutungen, wenn erwachsene Menschen vom Pflege- und Ärztepersonal wie ungehorsame Kinder behandelt werden. Der Gutachter ist ein Gott, der über das weitere Schicksal seiner Patienten, über Gehen und Bleiben frei und, wenn er will, aus niederen Beweggründen entscheiden kann.

Am Schluss – das ist ein Glück – triumphiert Felix Grünler. Das darf man vorwegnehmen; alles andere hätte auch der größte Zyniker nicht Komödie nennen können. Am Ende steht ein Film, dem es gelungen ist, seine (positiven) Figuren mit großer Warmherzigkeit zu zeichnen, sie als die Menschen anzunehmen, die sie sind. Und trotzdem ist diese Haltung manchmal allzu Von-Oben-Herab, wird das Schrullige vielleicht nicht voyeuristisch, aber doch nicht mit der gebührenden warmen Nähe gezeigt. Schon „Der mit dem Schlag“ ist eigentlich ein unangenehmer Titel für dieses Thema und Sujet. Dieser Film ist charmant und sympathisch: ja. Aber es gelingt ihm nicht so recht, in seinem komödiantischen Duktus die aufrichtige Tragik hinreichend zu betonen.

Das ZDF zeigt «Der mit dem Schlag» am Mittwoch, den 8. November um 20.15 Uhr.
07.11.2017 07:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/96919
Julian Miller

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Der mit dem Schlag

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