Die Marvel Studios beenden ihr juxendes Kinojahr mit einer fast schon selbstparodistischen Weltallsause, die jedoch in unausgegorener Form auf die Leinwand gelangt.
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Gestalterisch nimmt sich der «Wo die wilden Menschen jagen»-Regisseur die Freiheit raus, ein kreatives Kuddelmuddel an Einflüssen zusammenzuführen. So scheppert Led Zepplins markiger 1970er-Hit "Immigrant Song" aus den Lautsprechern. Das Design von außerirdischen Randfiguren sowie der Mode auf dem Planeten Skaar erweckt indes die Zeichnungen der Marvel-Comic-Legende Jack Kirby zum Leben, die er in den 60er-Jahren für die «Thor»-Comics zu Papier brachte. Die Gesamtästhetik des Films, mit martialischen Posen in Weichzeichner-Optik einerseits und der retrofuturistischen Innenarchitektur und Vehikelgestaltung andererseits, mutet letztlich so an, als hätte Waititi den Look von Super-Nintendo-Weltallgames mit Heavy-Metal-Albencovern verschmolzen – all dies, während Komponist Mark Mothersbaugh («The LEGO Movie») einen launigen Synthie-Score im 80er-Jahre-Style abliefert.
Dieser gewaltige Clash aus popkulturellem Zeitkolorit und sich beißenden Gestaltungsschulen hat Methode, trägt er doch zur schmissigen Grundstimmung des Films bei: Die Marvel-Version einer nordischen Gottheit will ihre Heimat, die wie ein Mittelerde-Disneyland aussieht, beschützen, hängt aber auf einem Space-Metal-90er-Jahre-Videospiel-Planeten mit 60er-Jahre-Comicgestalten fest. Das soll gaga sein. Waititi weiß, diese Gegensätze mit amüsierter Pointiertheit gegeneinander auszuspielen und mit ironisch unterwanderten Rückgriffen auf vergangene Marvel-Filme klar komödiantisch zu positionieren.
Dass die nostalgische Vorstellung, wie ein Space-Fantasy-Film auszusehen hat, auch in einige detailarme, sehr künstlich aussehende Kostüme resultiert, ist ebenso klar Geschmacksfrage wie Waititis sich wiederholende Witz-Kombination: Es sind Cosplay-Stunden im Marvel Cinematic Universe, während sich die Figuren in einer "Subtile Ironie, launige Situationskomik, fesche Selbstironie, verbaler Schlagabtausch, ZOTE!"-Kombo üben. Das setzt eine entsprechende Erwartungshaltung voraus – «Thor – Tag der Entscheidung» ist ein Marvel-Lachfest, kein spaßig aufgelockertes Abenteuer.
Damit sind Waititi und die Autoren immerhin ehrlich zu ihrem Publikum: Als hätte irgendjemand erwartet, dass die Marvel Studios wenige Monate vor «Avengers: Infinity War» Thor in einem düsteren Weltallactiondrama über die Klinge gehen lassen … Wer braucht also das Vortäuschen drastischer Sequenzen für den Titelhelden, wenn ein Gros des Publikums eh weiß, dass es ihm gut genug gehen wird, um noch mindestens ein Crossover zu absolvieren?
Doch neben dieser Spaßigkeit hat «Thor – Tag der Entscheidung» auch eine weitere prägende Charakteristik aufzuweisen: Thors dritter Soloausflug ist der womöglich am wenigsten ausgegorene Film im 'Marvel Cinematic Universe'. Dies betrifft einerseits das Storytelling: Das eigentliche Abenteuer, das den Gott des Donners nach Sakaar führt, beginnt erst nach einem ausgiebigen, jegliche Stringenz missen lassenden Filmeinstieg. Da wird Loki auch mal wiedergefunden, um verloren zu gehen, und direkt danach wiedergefunden zu werden und erneut verloren zu gehen. Als narrativ untermotivierte Sketchparade lassen sich die Pre-Sakaar-Szenen amüsiert weggucken. Doch erzählerisch ist der Beginn von «Thor – Tag der Entscheidung» ein heilloses Durcheinander, bei dem die böse Vermutung aufkommt, dass sich das Autorenquartett mehrfach in eine Ecke manövriert hat, was in sehr behelfsmäßige Mini-Plotfäden resultierte.
Und dann wäre da der zweite, unausgegorene Aspekt an «Thor – Tag der Entscheidung»: Für einen mutmaßlich 180 Millionen Dollar teuren Kinofilm eines etablierten Hollywood-Studios hat Taika Waititis Actionspaß allerhand blamabel-miese Chromakey-Szenen zu bieten. Immer wieder kommt es zu statischen Bildeinstellungen, in denen es extrem offensichtlich ist, dass der Cast nicht am gezeigten Schauplatz zugegen war. Da werden mit digitaler Anfängertrickserei klinisch saubere, leblose Küstenaufnahmen hinter die Schauspieler gelegt oder auch Mal Chris Hemsworth und Co. für eine Handvoll Einstellungen in ein Foto eines der Filmsets gebeamt. Aufnahmen mit Green- oder Bluescreen sind im Filmgeschäft längst Alltag und gerade die effektlastigen, einen enormen Cast jonglierenden Marvel-Filme sind voll von ihnen – umso erschütternder, wie provisorisch die grellen, keinerlei glaubwürdigen Schattenwurf aufweisenden, steifen Schummeleien hier ausfallen. Als wäre «Thor – Tag der Entscheidung» in den letzten Produktionswochen mit der ganz heißen Nadel gestrickt worden ...
«Thor – Tag der Entscheidung» ist somit ein sonderbares Biest im Marvel-Filmkanon. Dieser Film hat den mutigsten Look, aber auch die eklatantesten Effektpatzer des Franchises. Und das Drehbuch ist voller Leerlauf, über all das Nichts und die ganzen sketchartigen Eskapaden verteilt, macht der Held aber tatsächlich eine nennenswerte Wandlung durch. Als Fortführung der ersten beiden «Thor»-Filme taugt er kaum etwas (es fehlt nicht viel, und man würde mit einem "Ach, was bisher geschah, das ist nicht weiter von Bedeutung, vergesst es einfach!"-Spruch rechnen), und dennoch fühlt er sich dank der intensiven Spielfreunde Hemsworths wie die Vollendung der Titelfigur an. Kurzum: Für Drehbuch- oder Effektpreise empfiehlt sich «Thor – Tag der Entscheidung» kein Stück, aber wer ein Herz für das Ensemble hat, wird sich schwer tun, nicht mehrmals herzlich zu lachen.
Fazit: «Thor – Tag der Entscheidung» ist der Klassenclown des Marvel Cinematic Universe, der sich nach einer hochdramatischen Trennung einer radikalen Typenänderung unterzogen hat, woraufhin er sein Umfeld zu einem Wochenendtrip mit sonderbarem Ziel einlädt: Auffällig, aufgekratzt, aufgedreht sowie hoch motiviert, sich neu zu erfinden und gefälligst Freude daran zu haben. Da werden auch mal unnötige Umwege in Kauf genommen und mit Anspruch ist auch nicht zu rechnen. Aber: "Alles so schön bunt hier!" Tapetenwechsel ist ja auch mal fein und eine gute Zeit mit gut aufgelegten, lustigen Leuten sowieso. Selbst wenn leider der eine oder andere gepfefferte Fremdschammoment nicht ausbleibt …
«Thor – Tag der Entscheidung» ist ab dem 31. Oktober 2017 in vielen deutschen Kinos in 3D und 2D zu sehen.
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