Eine schwedische Kunstsatire mit gemächlichem Tempo und Überlänge? Nein, keine Sorge, das ist nicht einmal halb so kantig und sperrig, wie es scheint!
Filmfacts «The Square»
- Regie und Drehbuch: Ruben Östlund
- Produktion: Erik Hemmendorff, Philippe Bober
- Darsteller: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, Terry Notary, Christopher Læssø
- Kamera: Fredrik Wenzel
- Schnitt: Jacob Secher Schulsinger
- Laufzeit: 150 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Ein Museumsleiter, der in Gedanken gerade sonst wo ist, winkt das Werbevideo eines übereifrigen Marketing-Duos durch. Dieses bewirbt eine aktuelle Ausstellung zum Thema Menschlichkeit mit einem bewusst provokanten Clip, der sinngemäß mit der Frage endet, wie viele Grenzen das Museum denn noch überschreiten muss, bis die Menschen endlich willens sind, sich mit humanitären Themen zu befassen. Kurzum: Nüchtern betrachtet ist das Schlimmste, was sich die Macher dieses effekthascherischen Werbevideos gefallen lassen sollten, der Vorwurf, eine altbackene Idee zu verfolgen – und das auf kunstlos direkte Weise.
Nüchternheit hat in der kulturellen Debatte allerdings erfahrungsgemäß kaum Platz, ganz egal, wie trocken und distanziert sich diverse Kunstschaffende und Kulturhütende in der Öffentlichkeit präsentieren. Ein Video, das mit durchschaubar-kalkulierter Tolldreistigkeit eine naheliegende Botschaft vermittelt, wird gerne Mal aufgrund seiner explosiven Herangehensweise missverstanden. Die Rezeption auf das von Jan Böhmermann vorgetragene «Neo Magazin Royale»-Schmähgedicht über Erdoğan war 2016 ein trauriges Paradebeispiel dafür. Es ließe sich zivilisiert über die mögliche Plumpheit der Grundidee "Wir erklären den Unterschied zwischen pointierter Kritik und persönlicher, haltloser Beleidigung, da Sie ihn ja offenbar nicht kennen – und das mit besonders mieser Wortwahl" streiten. Oder aber man kann die vulgären Wortschöpfungen aus dem Kontext reißen und sich im Mediendschungel brutal die Köpfe einschlagen. Da wird die kunstlose Banalität des ursprünglichen Videos durch die Stupidität und Sensationsgeilheit des medialen und politischen Diskurses einfach so überboten …
Wahnsinnig eskalierende Kleinigkeiten – das ist die Substanz, aus der sich bereits Ruben Östlunds "Du bist ein mieses Elternteil! Nein, du bist es! Brüll, ignorier, mecker!"-Drama «Höhere Gewalt» zusammensetzte. In der satirischen Dramödie «The Square» treibt der schwedische Regisseur und Autor dies auf die Spitze, erhebt es zu einer neuen Kunstform – und zu einer sehr zugänglichen noch dazu. Sein Film über Irrungen, Wirrungen und Verärgerungen im schwedischen Kunstbetrieb mag mit 150 Minuten Laufzeit und seinem hochkulturellen Setting zumindest auf dem Papier einen eher begrenzten Publikumspreis gezielt ansprechen. Aber durch die vignettenhafte Erzählweise und die ausgefeilten tonalen Schwankungen von leichtgängigem Humor über bitterem Biss hin zu gesellschaftskritischer Dramatik ist «The Square» ein universell verständlicher, gut verdauliches Stück Anspruchskino – so paradox das klingen mag.
Östlund reiht sketchartige Szenen über ein Skandal-Werbevideo, dessen Außenwirkungen im fiktiven Schweden dieses Films die reale Akte Böhmermann in den Schatten stelln, maßlos übertreibende Performancekünstler, selbstgefällige Kunsttreibende und einen unsinnig häufig replizierten Drohbrief lose aneinander. Die Kunst ist es, wie sich daraus ein zusammenhängendes Mosaik ergibt. Da kehrt nach vielen Filmminuten die Journalistin (humorvoll, charmant und gewieft: Elizabeth Moss) aus dem Prolog über platte Promointerviews zurück, um den Protagonisten dieses Films (Claes Bang) aus der sexuellen Reserve zu locken. Daraus ergibt sich eine herrlich alberne Szene der Situationskomik, die zugleich beim geneigten Publikum als Psychoanalyse der Hauptfigur herhält:
Claes Bangs Christian ist ein aus dem Modekatalog für moderne Männer im besten Alter entflohener, redegewandter Intellektueller, der hinter allerlei Bücherwissen ein seine animalische Seite nicht unter Kontrolle habendes Mannskind versteckt, das nie gelernt hat, wie Empathie in alltäglichen Situationen auszusehen hat – und sich daher nur im regulierten Kontext des Kunstbetriebs sicher fühlt. Darüber lässt sich der Kopf zerbrechen – zunächst einmal führt diese widerborstige Rolle aber zu bösem Kinospaß.
Als befände man sich in einem Kunstwelt-Remake von «A Serious Man» ist Christian ein säkularer Hiob mit Ecken, Kanten und überzeugendem Auftreten (statt der Scheu des Coen-Helden). Er ist ein Mistkerl, der bis zu gewissem Grad aber zur Identifikation einlädt. Und sobald er unwissend diese Grenze übertritt, weil er sich nicht genügend Zeit zur Selbstreflexion erlaubt und somit zum Charakterschwein und/oder zur oberpeinlichen Nummer wird, dann gönnt man ihm auf einmal das bisher so ungläubig beobachtete Leid. Zumindest, ja, bis zu einem gewissen Grad. Ein 90°Grad-Winkel wäre ideal, bedenkt man den Filmtitel, aber … wir schweifen ab!
Auch der restliche Cast, darunter der in den neuen «Planet der Affen»-Filmen aktive Terry Notary als Muskelmann des Kunstbetriebs und Dominic West als bemüht geduldiger Künstler, sorgt dafür, dass «The Square» stets diese sonderbare Linie zwischen Komödie und Dramatik einhält. Die herzlichen Lacher sind eher spärlich gesät, ebenso aber die rein dramatischen, desolaten Entwicklungen. «The Square» ist häufig in einem Status des kopfschüttelnden Amüsiertseins angesiedelt.
Dies wird zudem durch die genüssliche Länge befeuert, mit der Östlund seine Sequenzen ausplätschern lässt – sowie durch die asymmetrische, daher unterbewusst für Unbehaglichkeit sorgende Bildkomposition, der Kameramann Frederik Wenzel gleichzeitig einen sauber-wohligen Glanz verleiht. Obendrein verstecken er und Östlund zahlreiche der titelgebenden Quadrate in ihren Bildern. Dass sie in «The Square» nicht durchweg den heilsamen Ort bedeuten, den eine quadratische Kunstinstallation in diesem Film verspricht, ist ein Zeichen dafür, dass es der Kunst noch immer gestattet ist, einen Schalk im Nacken zu haben. Oder es ist ein trivialer Filmfehler, der Nasehoch Östlund als inkonsequenten Wichtigtuer enthüllt, dem die Kritikerschaft hinterhersabbert, weil … Darum. Die Wahrheit liegt im Auge der «The Square»-Betrachtenden.
«The Square» ist ab dem 19. Oktober 2017 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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