Da ist sie also, die lang geplante, überaus aufwändige, vorab viel diskutierte deutsche Historienserie «Babylon Berlin». Aber hält sie nun, was sich die Branche von ihr versprochen hat?
Cast und Crew
- Regie und Drehbuch: Tom Tykwer, Achim von Borries, Hendrik Handloegten
- Darsteller: Volker Bruch, Liv Lisa Fries, Peter Kurth, Leonie Benesch, Mišel Matičević, Benno Fürmann, Hannah Herzsprung, Matthias Brandt, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Sebastian Urzendowsky, Karl Markovics, Christian Friedel
- Produktion: Stefan Arndt, Uwe Schott, Michael Polle
- Kamera: Frank Griebe, Philipp Haberlandt, Bernd Fischer
- Musik: Tom Tykwer, Johnny Klimek
- Schnitt: Alexander Berner, Claus Wehlisch, Antje Zynga
- Szenenbild: Uli Hanisch
- Produktionsfirmen: X Filme Creative Pool, ARD Degeto, Sky, Beta Film
Es hat schon seinen Grund, weshalb Sky der Presse die ersten beiden Episoden von «Babylon Berlin» nicht einzeln zugänglich gemacht hat, sondern als 90-minütigen Film mit nahtlosem Übergang zwischen Folge eins und zwei. Denn das Prestige-Serienprojekt der deutschen Fernsehlandschaft braucht seine Zeit, um in Gang zu kommen – es allein anhand der ersten 45 Minuten zu bewerten, wäre eine Ungerechtigkeit gegenüber dem Big-Budget-Unterfangen. Es braucht schon die ersten beiden Episoden, um einen Eindruck davon zu gewinnen, was sich die Regisseure und Autoren Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries mit dieser Serie vorgenommen haben.
Die Folgen drei und vier, die ebenfalls (aber getrennt voneinander) schon vorab der Presse zugänglich gemacht wurden, bestätigen dann glücklicherweise das Bild, das «Babylon Berlin» gegen Schluss der zweiten Episode von sich aufbaut. Nun müssen die Serienverantwortlichen bloß hoffen, dass sich das Gelegenheitspublikum ebenfalls mindestens bis zum Ende von Folge zwei geduldet, bis es ein Urteil über «Babylon Berlin» fällt. Oder dass es alternativ den Vorschusslorbeeren der Fachpresse vertraut und fest daran glaubt, dass die aufwändige Dramaserie über die Roaring Twenties in Berlin die umwerfenden Wege einschlagen wird, die in den vergangenen Jahren von den Serienmachern vollmundig heraufbeschworen wurden.
Denn die Serie braucht viel Anlauf, bis sie ihre diversen Handlungsbögen griffig umrissen hat und daraufhin stimmig zusammenbringt. Da wäre der Handlungsfaden um Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) von der Sittenpolizei. Er stammt eigentlich aus Köln, war im Ersten Weltkrieg an der Front, hat damals ein Nervenleiden davongetragen und ist nun in Berlin tätig. Aktuell ermittelt der Morphiumsüchtige in einem Erpressungsfall – jemand will eine wichtige Persönlichkeit in Verruf bringen. Nebenher lernt er die bettelarme Stenotypistin Lotte (Liv Lisa Fries) kennen, die mit großem Eifer Aufgaben für die Mordkommission übernimmt, wo sie allerdings regelmäßig mit den Grenzen dessen zu kämpfen hat, welche Möglichkeiten Frauen geboten werden.
Raths Vorgesetzter Bruno Wolter (Peter Kurth) wiederum versteckt hinter seiner bärbeißigen Wärme eine skrupellose, korrupte Ader und darüber hinaus gibt es eine finanzschwere, blutige Verschwörung aus dem Osten, ein von der Polizei brutal niedergeknüppeltes Aufbegehren der politischen Linken und eine schleichende, blindlinks ignorierte Bewegung nach rechts. All dies wird von den Bürgern der sich für ihre kulturellen Errungenschaften der vergangenen Jahre feiernden Stadt jedoch nur beiläufig bemerkt – wenn überhaupt. Denn ob beinahe verhungert oder wohlhabend: Alle eint, dass sie bei Nacht ihren Alltag ablegen und ihr Leben während rauschenden, ausgelassenen Partys feiern, auf denen Standesgrenzen und verstaubte gesellschaftliche Vorstellungen in Vergessenheit geraten.
Obwohl die lose auf einer Romanreihe von Volker Kutscher basierende Serie Kriminalelemente beinhaltet, ist sie nicht einfach nur der zigtausendste deutsche Fernsehkrimi. Und das liegt nicht allein am stattlichen Aufwand, der hier betrieben wurde. Ja, «Babylon Berlin» sind die 38 Millionen Euro Budget durchweg anzusehen: Szenenbildner Uli Hanisch ließ im Studio Babelsberg eine vor liebevollen Details platzende, glanzhaft-verlebte Mini-Version des Berlin 1929 wieder auferstehen, was der Serie bereits optisch eine intensive Atmosphäre des Zeitkolorits verleiht. Doch es ist der Fokus (oder der Mangel dessen), den die Serienmacher setzen, der diesem Format sein Alleinstellungsmerkmal verleihen.
Denn die Krimiplots sind bloß kleine, rote Fäden in einem dichten Erzählteppich aus interpersonellen Dramen, historischer Dramatik, subtiler Situationskomik und bestechend scharfen, zeitgenössischen Beobachtungen. Genau das sorgt für einen schleichenden Einstieg in die Serie, aber während Folge zwei finden diese Teile fabelhaft zueinander. «Babylon Berlin» ist in allererster Linie eine Serie über ein höchst zwiegespaltenes Lebensgefühl und Zeitgeschehen: Das Berlin in den späten Atemzügen der Weimarer Republik ist eine pulsierende, vitale Stadt, in der eine androgyne Sängerin ein Massenpublikum in Bann hält, in der die Reichen dekadent ihren Status feiern – gemeinsam mit den Armen, die auf den Partys bis zum Morgengrauen ihre Sorgen hinwegtanzen. Gleichzeitig greifen Sittenpolizei und Moralwächter hart durch. Eine der ersten Szenen von «Babylon Berlin» zeigt etwa, wie die Macher eines Jesus-Pornos von den Gesetzeshütern aufgegriffen werden.
Das Regie-Trio, das die Serie fast schon wie ein Kollektiv gemeinsam umsetzte, statt sich gegenseitig einzelne Episoden zuzuordnen, brilliert vor allen in Sequenzen, in denen Widersprüche kollidieren. Die Parts, die im Moka Efti spielen, einem legendären Berliner Tanztempel, bestechen mit glühender Schnittarbeit, bebender Inszenierung und losgelöstem Schauspiel. Und wenn die Diskrepanz aufgezeigt wird, mit der in den Roaring Twenties gegen Linksextremismus einerseits und dem Rechtsruck andererseits vorgegangen wurde, so erzeugt «Babylon Berlin» einen beunruhigenden Nachhall – die 1920er sind der Gegenwart viel näher als einem lieb sein dürfte.
Sobald der Ball rollt, überzeugen aber ebenso die "ruhigeren" Momente. Der heimliche Star der durch die Bank weg toll besetzten Serie ist Liv Lisa Fries, die Charlotte als ebenso empathisch-muntere wie abgebrühte Sympathieträgerin mit Kanten spielt. Doch auch Volker Bruchs gebrochener Antiheld, Mišel Matičević als faszinierender Mafiapate, Lars Eidinger als magnetischer Schmierlappen und Fritzi Haberlandt als durchsetzungsfähige Witwe verpassen dem von den Kameramännern Frank Griebe, Philipp Haberlandt und Bernd Fischer leinwandreif eingefangenen Format gelungen Akzente.
Fazit: Große Ambitionen, starke Umsetzung, bemühter Einstieg – «Babylon Berlin» setzt neue Maßstäbe für die deutsche Serienunterhaltung, ist aber von der Geduld des Publikums abhängig.
«Babylon Berlin» ist ab Freitag, 13. Oktober 2017, um 20.15 Uhr bei Sky1 zu sehen. Außerdem können die Folgen auf Sky on Demand angesehen werden.
Es gibt 8 Kommentare zum Artikel
11.10.2017 14:21 Uhr 6
Was bitte hat Qualität mit Quoten zu tun?
Noch ein Wort zum an sich guten Kommentar:
Was bitte sind die "Roaring Twenties"?
Meines Wissens werden die 1920er-Jahre hierzulande auch heute noch "Die goldenen 20er" genannt.
Wobei das "golden" heute natürlich hauptsächlich ironisch gemeint ist.
23.10.2017 16:51 Uhr 7
23.10.2017 18:53 Uhr 8
Danke für das Lob.
Den Begriff für die 1920er habe ich mir nicht ausgedacht, er wird gerne mal für das Partyjahrzehnt vor der Wende zum Miesen genutzt.