Europa bleibt Netflix' Achillessehne: Auch die erste italienische Serie des Streaming-Anbieters bleibt inhaltlich und künstlerisch weit hinter ihren amerikanischen Produktionen zurück.
Cast & Crew
Produktion: Cattleya
Darsteller: Alessandro Borghi, Giacomo Ferrara, Eduardo Valdarnini, Claudia Gerini, Filippo Nigro, Francesco Acquaroli, Adam Dionysius u.v.m.Die erste italienische Eigenproduktion von Netflix – und dessen dritte europäische Serie – geht gleich in ihrer Eröffnung in die Vollen. Nach einem Korruptionsskandal tritt der Bürgermeister von Rom zurück und hinterlässt ein Trümmerfeld aus politischen Irrungen, während sich ein Geistlicher (und selbstverständlich hoher Offizieller im Vatikan) zu einer Orgie in einer dekadenten Privatresidenz aufmacht, wo das Ficki Ficki zwar eher wie in Pasolinis milderen Alpträumen inszeniert wird, in all seiner geballten Triebabfuhr aber doch etwas sehr Niederträchtiges ausstrahlt.
Fassen wir die Schlagwörter schon einmal zusammen: Korruption. Polit-Chaos. Katholische Frömmelei. Und Bunga-Bunga. Schon in den ersten zehn Minuten lässt «Suburra» kein Italien-Klischee aus.
Die weitere Handlung der ersten beiden Folgen genügt sich damit, diese Themen und Motive weiter auszuschmücken. Die Details sind weitgehend irrelevant: Der Vatikan will Land in Ostia verschachern, um seine Bilanzen aufzubessern. Dabei ist natürlich – Sie haben die Logik dieser Serie verstanden – massive Korruption im Spiel, primär in Form einer Buchhalterin der Kommission, die diese Grundstücke gern dem Unternehmen ihres Mannes zuschanzen würde. Dazu organisiert sie dem Vorsitzenden, der Emminenz aus der Eröffnung, seine Sex-Partys. Blöd nur, dass er diesmal aufgrund einer Überdosis der zahlreichen Drogen, die er sich reinpfeift, um in Stimmung zu kommen, fast draufgeht. Da bei solchen Veranstaltungen natürlich nicht nur die katholische Elite des Landes und die talentiertesten Arbeiterinnen aus dem horizontalen Gewerbe Roms anwesend sind, sondern auch jede Menge Gesindel, das unbedingt zu Geld kommen will, ist der nächste Schritt zur systematischen Erpressung des Geistlichen schnell gemacht.
Nun mag man anführen, dass es im stockkatholischen Italien schon innovativ oder mutig sein mag, Priesterfiguren in solch unvorteilhaftem Licht zu zeigen und in solch unangenehmen Situationen auftreten zu lassen. Doch nicht nur für Netflix ist das etwas wenig.
Und spätestens hier wiederholt sich ein Motiv, das nahezu alle Kritiken über die bisherigen europäischen Serien des Streaming-Anbieters durchzieht: Seien sie «Marseille» aus Frankreich,
«Las Chicas del Cable» aus Spanien – oder nun eben «Suburra» aus Italien, das sich in diese Tradition einfügt und zugleich klar die Schwächste dieser Produktionen ist.
Denn während die amerikanischen Netflix-Serien schon in ihrer Anfangszeit durch ihren scharfen Intellekt, ihre ausgiebigen Charakter- und Milieustudien, ihr komplexes Handlungsgeflecht und ihre enorme künstlerische Ambition auffielen, – so bei «House of Cards», «Bloodline», «Grace and Frankie» – ersaufen ihre europäischen Pendants in einem pathetischen altmodischen Soap-Duktus, den die heimischen Märkte (wenn vielleicht auch mit niedrigerem
Production Value) bereits im Überfluss produzieren. Dagegen konnte Netflix außerhalb der USA in den lateinamerikanischen Märkten schon kluge inhaltliche Akzente setzen, etwa in Mexico mit der miteißenden Dramedy «Club de Cuervos» oder in Brasilien mit der einnehmenden dystopischen Serie «3%». Europa scheint bisher Netflix‘ Achillessehne zu sein – ein Eindruck, den «Suburra» so klar zutage fördert wie keine seiner bisherigen Serien.
Waren die spanischen «Chicas del Cable» intellektuell auch deutlich gediegener als die beißende amerikanische Polit-Serie «House of Cards» oder die feingeistige
Not-that-kind-of-funny-Komödie «Master of None», so gelang es ihr doch, eine nicht unspannende Geschichte über interessante Figuren zu erzählen, die über ihre erzählte Zeit der späten 20er Jahre hinausweisen konnte.
«Suburra» dagegen verschenkt jegliches Potential, das sich aus seinen Plots und Themen ergäbe, um die Realität Italiens zu kommentieren. Etwaige Parallelen werden nur ganz leicht angedeutet: Dass Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi die Stadt gerade regiert wie eine Irre, weißt gewisse Parallelen zu dem chaotischen Rathaus auf, das «Suburra» abbildet. Und dass sich hochrangige Geistliche bei Bunga-Bunga-Partys die Birne zukoksen, bis die kleinkriminellen Organisatoren ihre Chance auf das große Erpressergeld wittern, ist nach einschlägigen Medienberichten durchaus vorstellbar. Doch all das hängt in dieser Serie in der Luft, als Kuriosum, als effekthascherischer
Eyecatcher – und nicht als ergiebiger Ausgangspunkt für eine sinnige, gehaltvolle Narrative. Europa hätte Besseres verdient.
«Suburra» steht ab sofort auf Netflix zur Verfügung.
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