Das sehr deutsche Modell des 6-Wochen-Vorlaufs hat wohl bald ausgedient. Programminformationen sind inzwischen ein wichtiges Gut, das es zu schützen gilt. Ein Kommentar.
Es gibt nicht allzu viele Bereiche, in denen man ProSiebenSat.1 dieser Tage in direktem Fernsehzusammenhang noch als Vorreiter bezeichnen kann. Vor allem der zurückliegende Sommer hat dem Aushängeschild ProSieben quotentechnisch massiv zugesetzt. Die Marktanteile gingen deutlich nach unten – und neue Ideen kommen aktuell eher spärlich ins Programm. Selbst wenn: Ja, dann holen sie schlechte Quoten wie zuletzt bei «Ein Mann, eine Wahl» oder «Kiss Bang Love» in der dem RTL-«Bachelor» ähnlichen Version «endless Summer».
In einem Punkt hat der Konzern aber wirklich etwas bewegt: Ende Juni hat der den klassischen Sechs-Wochen-Vorlauf abgeschafft. Bis dahin wurden für Jahrzehnte hinweg sämtliche Programmpläne mit eben diesem Vorlauf veröffentlicht. Heißt: In der ersten Januar-Woche eines Jahres waren die genauen Pläne bis Mitte Februar einsehbar. Vor allem die gedruckten Programmzeitschriften brauchen die Programmpläne so früh. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass man in der schnelllebigen TV-Landschaft flexibler sein wolle und letztlich auch die Zahl der spontanen Programmänderungen reduzieren möchte. In der Tat hatten sich im Frühjahr immer mal wieder Verschiebungen um ein oder zwei Wochen ergeben,. Betroffen von dem Schritt sind aktuell vor allem Online-Angebote; Verlage, die Programmhefte produzieren, brauchen die Daten auch weiterhin mit entsprechendem Vorlauf. Die kriegen sie auch - müssen aber quasi mit der Veröffentlichung entsprechend war.
Somit hatte sich ProSiebenSat.1 seit Ende Juni einen nicht unwichtigen Wettbewerbsvorteil erarbeitet. Man gab seine genauen Programmstrukturen erst zweieinhalb Wochen nach der privaten Konkurrenz bekannt. Große Leuchttürme werden zwar weiterhin mit sechs oder sieben Wochen Vorlauf kommuniziert, unterliegen aber wie das Beispiel «Promi Big Brother» zeigt, dann auch noch Änderungen. Der große Bruder sollte eigentlich sonntags starten, wurde dann aber bis zur endgültigen Programm-Kommunikation noch auf den Freitag gelegt. RTL und seine Schwestersender hatten ihrerseits nicht die Möglichkeit allzu flexibel auf ProSiebenSat.1-Programme zu reagieren – während die dortigen Programme natürlich auch vom Management in Unterföhring studiert werden konnten.
Es kam, wie es kommen musste: Auch das von El Cartel vermarktete RTL II und die IP-vermarkteten Sender der RTL-Gruppe werden den Vorlauf der Programmkommunikation nun ab Oktober verkürzen. Hinter diesem Schritt dürften rein strategische Maßnahmen stecken. Zuschauer gewinnen oder verlieren wird deshalb kaum ein Kanal. Nur in ganz speziellen Fällen – etwa bei Leuchtturmproduktionen oder Serienstarts – ist es schließlich für den Otto-Normal-Zuschauer außergewöhnlich wichtig, schon sehr früh informiert zu werden. Welchen Sat.1-Film man aber am letzten Oktober-Dienstag bekommt, muss niemand schon Ende September dringend wissen. Und auch die Frage, ob RTL nachmittags nun «Blaulicht Report» oder doch «Verdachtsfälle» zeigt, ist letztlich maximal am Ausstrahlungstag von Relevanz.
Der Kampf um Informationen, um Strategien und letztlich dann doch um Zuschauer hat also eine neue Dimension erreicht. Es ist aber auch ein typisch deutsches Phänomen, dass es Zeitschriften gibt, die mit 28 Tagen Vorlauf Fernsehprogramme abdrucken. In England zum Beispiel erfolgt die programmliche Kommunikation seit jeher nur mit wenigen Tagen Vorlauf. Mehr ist dort gar nicht von Interesse. In Amerika schaut die Branche ohnehin eher auf die großen Starttermine, die jeweils kurz nach den May-Screenings für den Herbst publik werden. Was Ende September startet und was nicht, wissen die Fans hier allerdings schon Monate im Vorfeld. Wechsel während der Saison – etwa nach enttäuschenden Quoten – passieren aber auch dort sehr spontan.
Und dennoch könnten die Sender noch ihre Quittung für die neue Kommunikationspolitik erhalten. Sollten sie irgendwann auch aufhören, große Programmhighlights mit für Medienvertreter ausreichendem Vorlauf zu veröffentlichen (und da sind sechs Wochen eine ziemlich gute Zeit), könnte es sein, dass die ein oder andere PR-gesteuerte Geschichte um den Hauptdarsteller eines neuen Formats nicht mehr geschrieben wird. In einer Zeit, in der es für die entsprechenden Abteilungen in der Regel genaue Vorgaben gibt, wie oft in welchem Kontext über welches Projekt geschrieben wird, würde ein dadurch bedingter Rückgang schnell auffallen. Weil in diesem Fall auch wieder reagiert werden könnte, ist das Risiko, das die Minimierung des Vorlaufs mit sich bringt, für die Sender recht klein. Der Zuschauer muss also lernen: Künftig gibt es nicht mehr Anfang, sondern erst Mitte Dezember das genaue Startdatum des neuen Dschungel-Camps. Und auch die «Schlag den Henssler»-Samstage wird man sich etwas kurzfristiger freihalten müssen.
Man ist verleitet zu sagen: Wäre dies das einzige Problem der großen deutschen Sender, dann gäbe es in der Tat kaum einen Grund zum Jammern.
Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
25.09.2017 10:55 Uhr 3
26.09.2017 12:07 Uhr 4
26.09.2017 13:32 Uhr 5
Ich bekomme die TV Digital, kostenlos zum Sky-Abo, blätter auch mal drin rum wenn sie kommt, liegt dann aber ungenutzt rum bis sie ins Altpapier wandert. Mir reicht der EPG oder ich schau mal ins Netz.