Die «Keinohrhasen»-Autorin und «Traumfrauen»-Regisseurin Anika Decker bringt eine Arm-und-Reich-Romantikkomödie auf die Leinwand.
Filmfacts «High Society»
- Regie und Drehbuch: Anika Decker
- Produktion: Anika Decker, Jan Decker
- Darsteller: Emilia Schüle, Iris Berben, Katja Riemann, Jannis Niewöhner, Marc Benjamin, Caro Cult, Langston Uibel, Jannik Schümann, Rick Kavanian
- Kamera: Andreas Berger
- Schnitt: Charles Ladmiral
- Laufzeit: 98 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Muss man womöglich den #Aufschrei auspacken? Oder steckt gar kein Sexismus dahinter, sondern der bloße Fakt, dass sich Til Schweiger einfach medienwirksamer platziert? So oder so: Es besteht ein Ungleichgewicht in der Rezeption junger deutscher Romantikkomödien. Denn selbst wenn ein Gros der Kinogänger bei deutschen Romantikkomödien der vergangenen zehn Jahre zuerst an Til Schweiger denkt, so ist es eine Frau, die dieser Filmgattung noch stärker ihren Stempel aufgedrückt hat: Anika Decker. Die Marburgerin verfasste gemeinsam mit Schweiger die Riesenerfolge «Keinohrhasen» und «Zweiohrküken», danach steuerte sie im Soloflug das Drehbuch zu Detlev Bucks «Rubbeldiekatz» mit einem sich als Frau verkleidenden Matthias Schweighöfer bei. Zudem war sie Teil des Autorenteams zu Karoline Herfurths Bestselleradaption «SMS für Dich».
Das Argument "Ja, gut, aber sie führt nicht Regie, und Drehbuchschreiberlinge werden halt generell weniger genau beobachtet als Regisseure" gilt im Fall Deckers übrigens nicht. 2015 inszenierte sie nach einem eigenen Drehbuch «Traumfrauen», die bislang wirklich erfolgreiche Romantikkomödie in Deutschland. Aber mit etwas Glück kann sich Decker selbst entthronen. Denn ihre zweite Regiearbeit, natürlich wieder nach einem eigenen Drehbuch, vermischt Romantikkomödie mit einer Art Doppeltes-Lottchen-Vertauschspiel.
Die 90er-Jahre. Eine Zeit, ganz anders als die heutige. Wie auch ein (überflüssiger und nach dem Prolog bis kurz vor Schluss wieder vergessener) Erzähler erläutert. Dieser stellt uns zwei Krankenschwestern vor, die im Proseccorausch zwei Neugeborene vertauschen. Mehr als zwei Jahrzehnte später sollte sich zeigen, welchen Trubel sie damit provoziert haben: Die wohlhabende sowie orientierungslose Partygängerin Anabel von Schlacht (Emilia Schüle), die zwar ein gutes Herz hat, aber keine Ahnung vom normalen Leben, erfährt, dass sie gar nicht die Tochter der eitlen High-Society-Schrulle Trixi von Schlacht (ansteckend-aufgedreht: Iris Berben) ist. Und auch ihr ständig schmierig grinsender Bruder (Jannik Schümann) ist gar nicht ihr Bruder.
In Wahrheit ist sie die leibliche Tochter der linksgrünen Aktivistin Carmen Schlonz (pointiert: Katja Riemann), die am unteren Rand des Existenzminimums lebt. Und deren vermeintliche Tochter Aura Schlonz (Caro Cult), die schon immer ein Auge auf Leute geworfen hat, die finanziell besser stehen – tja, die ist eigentlich eine von Schlacht. Als die beiden Mädchen ihre echten Mütter kennenlernen, sind Frust und Trubel vorprogrammiert. Und dann sind da noch der nette Polizist Yann (Jannis Niewöhner) und der stilvolle Superreiche Benjamin Schwarz (Marc Benjamin), die Anabels Befinden weiter durchwirbeln …
«High Society» treibt einen wiederkehrenden Aspekt der Decker-Skripts auf die Spitze: Während die zentralen Figuren (in diesem Fall Emilia Schüles Anabel und Jannis Niewöhners Yann) als Archetypen beginnen und langsam an Facetten hinzugewinnen, bewegen sich die Nebenfiguren auf einer Skala von unauffällig bis irrsinnig-karikaturesk. Das hat zwar durchaus Methode und sorgt zuweilen für herrliche Schmunzler, etwa wenn Rick Kavanian als rechte Hand der Von-Schlacht-Matriarchin im «Bullyparade»-Modus chargiert oder Schümann seine Rolle als grotesken Mix aus «High School Musical»-Frohnatur Ryan Evans und einer feisten Attacke auf Adelsklischees anlegt. Allerdings mischt Decker in «High Society» zeitgemäße Beobachtungen über Gruppendynamiken und Milieu-Eigenheiten mit humorigen, aber plausiblen Überspitzungen und tolldreister, sketchartiger Farce derart launenhaft durcheinander, dass die emotionale und zwischenmenschliche Komponente hinter dem reinen Unterhaltungsfaktor klar zurückbleibt.
Dies wird dadurch verstärkt, dass Decker sich in Sachen Laufzeit stark zurückhält und erstmals einen Film mit weniger 100 Minuten Länge verantwortet – wo etwa «Keinohrhasen» und «SMS für Dich» die Gefühlsschwankungen der Figuren auskosten und erläutern, sprintet «High Society» im letzten Drittel relativ zügig gen Abspann. Zwar verhält sich keine der Figuren derart sprunghaft, dass es völlig unglaubwürdig wird, dennoch werden Anabels Entschlüsse auf der Zielgerade so skizziert, dass es vor allem narrativ effizient ausfällt und weniger charakterorientiert.
Als bloßes Wohlfühlkinofutter hat «High Society» dennoch einige Pluspunkte auf seinem Konto stehen. Da wären das gekonnte Spiel mit der Erwartungshaltung, wie Decker die beiden Schichten darstellt. Ja, die von Schlachts leben in einer Protzvilla, die bei allem zusammengeknallten Prunk wahrlich nicht als stilvoll durchgeht, und Familie Schlonz lebt in einer kruden Mixtur aus Hartz-IV-Chic und Protestlerästhetik. Ja, Iris Berben singt sich fast schon durch die Oberflächlichkeiten und die Ignoranz ihrer Rolle, während Riemann ihre Anti-Haltung gegenüber das Establishment daher nuschelt. Statt aber beide Seiten nur zu karikieren, gesteht die Autorin und Regisseurin ihnen beiden eine Herzlichkeit zu – (Popcornkino-)Familie ist halt sowohl mit als auch ohne Wohlstand fehlbar, aber ebenso fähig, einander zu verzeihen.
Während in den Slapstickeinlagen oder sketchartig angelegten Passagen, die aus dieser Grundlage entwachsen, das Timing nicht immer zu 100 Prozent stimmt, lässt sich «High Society» einmal mehr Deckers Händchen für Wortwechsel mit beiläufig-amüsanter Note anmerken. Ob Yanns und Anabels mit Neckereien gespickter Austausch, Szenen, in denen Anabel ihre Defizite bemerkt oder Benjamin Schwarz' süffisantes Flirten mit einem gewissen Unterton: Die Wortspiele, das kecke Augenzwinkern im Austausch der Figuren und Darsteller – hier legt «High Society» eine ansprechende Leichtigkeit an den Tag. Die Figuren wollen nicht unbedingt lustig sein, aber durch ihren kleinen Schalk im Nacken (oder ihr selbstbewusstes Desinteresse daran, wie sie wirken), sind sie es halt – ohne größeres Brimborium.
Fazit: Mit einer sympathisch aufspielenden Emilia Schüle, einem gut aufgelegten Jannis Niewöhner und einigen lässigen Sprüchen macht «High Society» leider nicht die erzählerischen Schönheitsfehlerchen vergessen. Wer aber Deckers Stil mag, kommt dank der sympathisch geschriebenen Figurentruppe durchaus auf seine Kosten.
«High Society» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen.
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