«Black Swan»-Regisseur Darren Aronofsky lässt Jennifer Lawrence eine allegorische Tour de Force durchlaufen und schert sich einen Dreck ums Befinden des Publikums. Stark!
Filmfacts «mother!»
- Regie und Drehbuch: Darren Aronofsky
- Produktion: Darren Aronofsky, Scott Franklin, Ari Handel
- Darsteller: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer
- Musik: Jóhann Jóhannsson
- Kamera: Matthew Libatique
- Schnitt: Andrew Weisblum
- Laufzeit: 115 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Flammen setzen die Leinwand in Brand. Obwohl sie alsbald vom Filmtitel, in ebenso verschnörkelt-schöner wie auch chaotisch-krakeliger Kaligrafie, verjagt werden, bleiben sie spürbar. Weil der Einstieg in den neuen Thriller von Darren Aronofsky das Feuer in solch leuchtendem Orange-Rot einfängt. Weil die Tonabmischung solch einen wabernden Bass sowie das Trommelfell attackierende Höhen erzeugt. Weil sich Aronofsky und Kameramann Matthew Libatique («Inside Man», «Straight Outta Compton») entschieden haben, auf 16mm-Film zu drehen und «mother!» in einem dezent gedimmten, fast schon abendlich-güldenen Licht zu filmen. Was wiederum dazu führt, dass das Bild, ganz gleich wie viel oder wenig gerade auf der Leinwand geschieht, von einem schwachen Grieseln durchzogen ist.
Doch die Grobkörnigkeit des Bildes schwächt nicht die Ästhetik des Gezeigten – in malerisch-ruhigen wie surreal-absurden und albtraumhaft-chaotischen Momenten gleicht dieses Flirren einer unwohlen Erinnerung. Oder Vorahnung. «mother!» wabert, ist selbst in seinen raren Augenblicken des absoluten Stillstands zumindest visuell in Bewegung. Es ist so, als würden Aronfoskys Bilder vor glühender Hitze flimmern. Warten etwa tatsächlich Flammen des Infernos auf uns? Und wenn ja – wie kommt es dazu?
«mother!» ist allein schon aufgrund dieser brenzligen Vorahnung mehr als ein normaler Psychothriller. Aronofsky erschafft ein allegorisches Wimmelbild aus direkten Metaphern, surrealistisch verkürzten Beobachtungen/Empfindungen und aus mal vagen, mal intensiv, doppelt und dreifach unterstrichenen symbolischen Motiven. Doch er lässt dieses ambitioniert erstellte, kreative Chaos nicht für sich stehen, sondern formt es in eine soghafte Suspense-Erzählung. Sie dient als die freundliche Fassade und der geschmackvolle Eingangsflur, der all jene empfängt, die mit Aronofskys Parabeln nichts anfangen können oder denen die reine intellektuelle Stimulation nicht genug ist, um zwei Genrekinostunden zu füllen.
Auf der untersten Ebene ist «mother!» die packende Geschichte einer warmherzigen, fürsorgenden Frau (Jennifer Lawrence), die ihre ganze Energie in die Gestaltung und Instandhaltung des altehrwürdigen Anwesens steckt, in dem sie und ihr Mann (Javier Bardem) leben. Ihre eigenen Interessen, abseits des Handwerkens und des Ausschmückens der paradiesischen vier Wände, die sie Heimat nennt, steckt sie zurück, um den Dichter an ihrer Seite zu stärken. Dieser durchläuft derzeit eine Schreibblockade. Doch dann kommt ein Mann (Ed Harris) vorbei, den sie nicht kennt, der aber sagt, großer Fan ihres Gatten zu sein. Schnell dreht sich für den Mann dieser in sozialer Interaktion eher passiven Frau alles nur noch um den neuen Besuch. Kurz darauf lädt dieser seine Frau (Michelle Pfeiffer) ein, und so kippt die Eigendynamik im prächtig-rustikalen Haus. Die Besucher stehen im Mittelpunkt, die Frau, die dieses Haus erst bewohnbar gemacht hat, verliert jegliche Kontrolle über die Situation. Sie wird nur noch herumgeschubst … Ärger steht bevor …
Es dürfte durchscheinen: Mit «mother!» kehrt Aronofsky zu seinen ganz frühen Wurzeln zurück. Im Vergleich zu seinem neuesten Film, der nach seiner Uraufführung beim Filmfestival von Venedig ebenso laut bejubelt wie ausgebuht wurde, wirken Natalie Portmans «Black Swan»-Balletttanz in den Wahnsinn oder die Drogen-Abwärtsspirale namens «Requiem for a Dream» wie banales, leicht zugängliches Massenkino. «mother!» mag nach der Titeleinblendung kurzfristig so anmuten, als hätten wir es vielleicht mit einer Art Psychothriller-Version von «Gott des Gemetzels» oder anderen Streitfilmen zu tun, in denen ein unliebsamer Besuch aufgrund kleiner Gemeinheiten oder wegen kleiner Missgeschicke arg eskaliert. Doch, ganz so wie Aronofskys Debüt «Pi», spielt «mother!» in einer Welt kühl dargebotener, exzentrischer Figuren, die sich durch eine expressionistische Welt bewegen, deren Traumlogik in sich schlüssig scheint, die aber in sich zusammenzufallen droht, wenn man sich ihr aus dem falschen Winkel nähert. Nur, dass sich dann auf einmal ein ganz anderes Bild, eine neue Interpretation eröffnet.
Jennifer Lawrences begnadetes Spiel macht die Protagonistin aller Andersartigkeit, allem unwirklichen Interagieren zum Trotz zu einer Identifikationsfigur. Sie will, dass in ihrem Haus solch eine Ruhe herrscht wie sie ihr selbst innewohnt. Doch die ungeheuerliche Selbstverständlichkeit, mit der ihr Mann sie zur Seite schiebt, um seine Gäste mehr als nur willkommen zu heißen, treibt der friedliebenden Miene Zorn- sowie Sorgesfalten ein, lässt in der betont freundlichen Stimme mehr und mehr Frust und auch Angst mitschwingen. Es ist eine absonderliche Art des Home-Invasion-Thrillers, die sich im Parterre dieses Filmgebildes abspielt, in der Desinteresse für die Hauptfigur die Gewalt gegen sie ersetzt.
Jedes Ereignis im ersten Drittel von «mother!» ist für sich genommen noch keine Katastrophe, im zweiten Drittel wechseln sich harsche Grenzüberschreitungen und alltägliche Ignoranz gegenüber einer passiven, introvertierten Person ab. Insofern darf es vorkommen, dass die durchweg resolute Ablehnung Lawrences auf Unverständnis trifft. Aber das merkwürdig-tolldreiste Gebaren der Gäste verdichtet sich zu einem Kaleidoskop des subtilen Terrors, der letztlich Scham hervorruft, Lawrences Figur zur Ruhe herabkommandiert zu haben. Denn sie scheint schlicht und ergreifend geahnt zu haben, dass hier etwas gewaltig im Argen liegt – und rasch tritt an die Stelle, wo zuvor Scham war, das Anfeuern, dass Lawrence mal reinen Tisch macht. Aber … da war doch dieser bedrohliche Einstieg?!
Oberflächlich betrachtet überstrapazieren Aronofsky und Libatique ausgerechnet in den bodenständigeren ersten zwei Dritteln von «mother!» die Geduld des unbedarften Publikums, indem sie die Kamera wiederholt an Lawrences Hinterkopf haften lassen, während sie durch das Haus irrt. Aronofskys Fixierung auf Lawrences Hinterkopf mag besonders ungeduldigen Gemütern eingangs manchen Nerv kosten. Aber dieses Verfolgen der Protagonistin auf Schritt und Tritt versetzt das Publikum sozusagen in ihre Fußstapfen. Es verfolgt die Geschichte aus ihrer Sicht – genau wie sie, lernt es die Gäste von Bardems Rolle plötzlich und ohne größeren Kontext kennen, während der Hausherr behauptet, mit ihnen vertraut zu sein. Doch selbst Lawrence hat dem Publikum etwas voraus: Sie kennt sich in ihrem Haus aus, während die klaustrophobische, sie verfolgende Kameraführung wiederholt unsere Sicht blockiert.
Wenn sich das Geschehen durch albtraumhaft-chaotische Eskapaden in ein absurdes, durch meisterliche Schnittarbeit ermöglichtes Finale steigert, bleibt die Kamera eng bei Lawrence. Aber nun, da die Ikonografie Aronofskys überdeutlich wird und das Publikum das Geschehen endgültig stärker und konkreter einordnen kann als die hilflose Protagonistin, zeigt Libatique bevorzugt Lawrences Gesicht und den Wahnwitz um die Oscar-Gewinnerin herum. Ihr Spiel sorgt für stockenden Atem, ebenso wie dieser Umschwung in der Inszenierung, der nun Unübersichtlichkeit durch ein ungewohntes Übermaß an Bildinformation erzeugt.
Ob «mother!» die emotional überkochenden Festivalreaktionen verdient hat, ist dennoch fraglich. Vor allem die laute Ablehnung ist sonderbar. Gewiss: Das Fundament dieses Filmgebäudes scheint Aronofskys Gedanke zu sein, nach «Noah» in thematisch ähnlichen Bereichen arbeiten zu wollen. Nur dass er dieses Mal seinen eigenen Stil potenziert, statt ihn mit Hollywoods Vorstellungen von Big-Budget-Fantasykino zu paaren. Daher braucht dieser schleichend beginnende, sich dann konsequent steigernde Mindfuck etwas Gutwillen. Gegenüber sorgsam kreierten, mutigen Bildnissen. Gegenüber freien Neuninterpretationen uralter Gedanken. Und gegenüber konsequent-drastischer Umsetzungen. Aber aufgrund des Handwerks, aufgrund der tolldreisten kreativen Vision, sollte nicht nur die Frage "prätentiös oder visionär" im Raum stehen. Sondern noch immer Platz sein. Für Respekt vor der engagierten, künstlerisch zielstrebigen Verquickung aus Arthouse-Konzept und Psychothriller-Handwerk. Für die Protagonistin und wofür sie steht. Für Aronofskys Vorhaben. Für Lawrence.
Fazit: Eine Psychothriller-Allegorie, die langsam brennt und dann geradezu in Form einer Sinnesattacke explodiert. Stark gespielt, clever konstruiert, erschütternd gefilmt. Was aber nicht bedeutet, dass alle «mother!» den Respekt abringen werden, den sie verdient hat.
«mother!» ist ab dem 14. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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