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«Disjointed»: Netflix kifft sich die Birne zu

Mit Kathy Bates in der Hauptrolle und «Two-and-a-Half-Men»-Schöpfer Chuck Lorre als Co-Creator hat der Sitcom-Neustart von Netflix prominente Namen vorzuweisen. Mehr leider nicht.

Cast & Crew

Produktion: Chuck Lorre Productions und Warner Bros. Television
Schöpfer und Executive Producer: Chuck Lorre und David Javerbaum
Darsteller: Kathy Bates, Elizabeth Ho, Tone Bell, Elizabeth Alderfer, Dougie Baldwin, Aaron Moten u.v.m.
Im Grunde genommen ist Marijuana ähnlich amerikanisch wie Oreo-Kekse und Twinkie-Törtchen. Ein Suchtmittel, mag sein, aber wohl ein harmloseres als Alkohol und Zigaretten. Und ähnlich wie bei anderen gesellschaftlichen Brandthemen wie Homo-Ehe und Abtreibung stellen sich die USA an die Spitze der Liberalisierung, mit wenigen Ausnahmen wie den Niederlanden lange vor den verklemmten europäischen Staaten. Auch der Konsum zu reinen Vergnügungszwecken ist in zahlreichen Bundesstaaten – darunter die üblichen Verdächtigen wie die Hippie-Hochburg Oregon und das Hipster-Paradies Kalifornien – völlig legal, wenn auch mit ein paar dämlichen administrativen Hindernissen, um dem rückständigen Bundesrecht nicht in die Quere zu kommen. Bis zur Legalisierung des Marijuana-Verkaufs muss man zumindest in Kalifornien noch bis Anfang nächsten Jahres warten – weswegen die Kunden von Ruth Whitefeather Feldman (Kathy Bates) am Eingang ihrer Marijuana Dispensary noch brav ihre Rezepte vom Arzt vorzeigen müssen, so zwielichtig die auch sein mögen.

Ruth Whitefeather Feldman stellt sich diese Serie als eine Ikone der amerikanischen Linken vor: Sie hat Jahrzehnte für die Legalisierung des Stoffs gekämpft und – darüber geben zahlreiche in Schwarz-Weiß gehaltene Rückblenden Aufschluss – dabei jedes Klischee bedient, dass Amerikaner von der harten Linken ihrer Bevölkerung so haben: Sandalen, zerzauste, lange Haare, feurige Reden, freie Liebe, ein Hang zur Esoterik und den Joint immer griffbereit. Zusammen mit ihrem (afroamerikanischen) Sohn Travis (Aaron Moten) und einer Reihe dem Hanf zugeneigten Mitarbeitern betreibt sie ihr Fachgeschäft für Kannabisprodukte.

Ihr Personal ist dabei nur anhand einem begrenzten Spektrum an Klischees ausdifferenziert: Olivia (Elizabeth Alderfer) stammt aus dem ländlichen Mittleren Westen, der gerade von einer Heroin-Epidemie dahingerafft wird. Insofern steht sie auch dem Marijuana eher skeptisch gegenüber und zündet sich nur selten einen an. Rasch beginnen sie und Travis eine Liebelei, mit der klaren Unterstützung der alten 68-erin Ruth. Die chinesischstämmige Amerikanerin Jenny (Elizabeth Ho) hat kürzlich ihr Medizinstudium geschmissen, das eigentlich in den letzten Zügen lag, und vertickt stattdessen jetzt in Ruths Laden Marijuana. Ihrer Familie – die entspricht freilich lückenlos dem Klischee chinesischer Eltern: fordernd, streng und erzkonservativ – hat sie davon freilich nicht das Geringste erzählt. Sicherheitsmann Carter (Tone Bell) hat mit zahlreichen Traumata aus seiner Zeit im Irakkrieg zu kämpfen, die in abstrakten Animationssequenzen dargestellt werden – aber hey, vielleicht kann ja das Allheilmittel Mary Jane Abhilfe schaffen. Und der nette Pete (Dougie Baldwin), der Menschenfreundlichste der Gruppe, züchtet mit immenser Hingabe die qualitativ hochwertigen Marijuanapflänzchen, und wenn er mit ihnen spricht, fällt er aus unerklärlichen Gründen und zur allgemeinen Belustigung in einen australischen Dialekt (in der deutschen Synchronisationsfassung ist es ein französischer Akzent, in der französischen Übersetzung Verlan).

Da diese völlig überkandidelten Figuren wenig mehr als eine Ansammlung von Klischees, Stereotypen und Neurosen beinhalten, kommt «Disjointed» freilich ernüchternd schnell an die Grenzen seiner komödiantischen Möglichkeiten. Trotz ihres modernen Aufmachers, der aus grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre erwächst, ist diese Sitcom von der ersten Minute an ein schier unglaublich altmodisches Produkt: Vorhersehbare Witze, überstilisierte, unwirkliche Charaktere, die sich auch dem billigsten Gag unterwerfen müssen, und ein weitgehend infantiler Humor lassen diese Produktion wie lieblose Fließbandarbeit aussehen. Was erstaunlich ist: Denn die dramaturgische Grundkonstruktion – eine in die Jahre gekommene Revoluzzerin betreibt ein Marijuanageschäft – ist schließlich ein innovativer Ausgangspunkt. Nur, dass «Disjointed» eben alles andere als innovativ ist, sondern sogar die narrativ überschaubar ausgereiften Joint-Runden aus «That 70s Show» von vor zwei Jahrzehnten wie ein Juwel der Sitcom-Geschichte aussehen lässt.

Dabei steckt hinter dieser Serie doch eine gewisse Ambition: Der Theme Song stammt aus den späten 30er Jahren und enthält so schöne Zeilen wie, I’m so high and so dry, I’m sailin‘ in the sky, Just smoke some gage, come around, babe, Jack, I’m mellow, und unterlegt einen wohl ebenso alten Zusammenschnitt von zugedübelten Amerikanern. «Disjointed» will also anschließen an eine gewisse Tradition: Das Land hat schon immer gerne gekifft, trotz unnötiger Verbote und einer bescheuerten Kriminalisierung, trotz einem sinnlosen, aber elenden War on Drugs und intellektueller Zumutungen wie Just say No.

Doch die Serie scheitert an all den Problemen, an denen Sitcoms aus der Feder von Chuck Lorre fast ausnahmslos kranken: Daran, dass sie ihre Figuren lieber zum Spott freigibt, als ihnen mit Menschenfreude zu begegnen, dass Gags auch gerne auf Kosten der Charakterentwicklung gehen dürfen, dass kein Witz zu bescheuert ist. Auch wenn man sich vorher noch schön einen durchgezogen hat: Richtig witzig wird’s nicht.
28.08.2017 12:40 Uhr Kurz-URL: qmde.de/95393
Julian Miller

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Disjointed That 70s Show

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