Die glorreichen 6 – Beeindruckende Kammerspiele (Teil VI)
Begrenzter Raum, unbegrenzter Filmgenuss: Wir präsentieren sechs filmische Kammerspiele – mal humorvoll, mal hochspannend. Zum Abschluss: der Thriller «The Call» vor.
Die Handlung
Filmfacts: «The Call»
Regie: Brad Anderson
Produktion: Bradley Gallo, Jeffrey Graup, Michael A. Helfant, Michael J. Luisi, Robert Stein
Drehbuch: Richard D'Ovidio
Darsteller: Halle Berry, Abigail Breslin, Michael Eklund, Morris Chestnut, David Otunga
Musik: John Debney
Kamera: Thomas Yatsko
Schnitt: Avi Youabian
Veröffentlichungsjahr: 2013
Laufzeit: 94 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Jordan Turner (Halle Berry) ist Telefonistin in einer Notrufzentrale. Die erfahrene und von ihren Kollegen geschätzte Mitarbeiterin liebt ihren Job, bis ihr eines Tages ein folgenschwerer Fehler unterläuft, den ein junges Teenagermädchen mit ihrem Leben bezahlen muss. Kurz nachdem sie beschlossen hat, ihre Anstellung aufzugeben und sich auf die Ausbildung jüngerer Mitarbeiter zu konzentrieren, muss sie spontan den Notruf der jungen Casey (Abigail Breslin) übernehmen. Das Mädchen wurde auf dem Nachhauseweg von einem Unbekannten entführt und befindet sich nun im Kofferraum eines Wagens mit unbekanntem Ziel. Jordan leitet eine fieberhafte Suche nach der Vermissten ein, in der Hoffnung, das Mädchen lebend wiederzufinden. Doch nicht nur das Handy, welches Casey mit Jordan verbindet, ist nicht zu orten. Der unbekannte Täter (Michael Eklund) scheint der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein.
Der Schauplatz
Brad Andersons Kammerspiel setzt sich aus zwei verschiedenen Settings zusammen, die jedes für sich den Ansprüchen eines klassischen Kammerspiels erfüllen. Auf der einen Seite spielt der Psychothriller in den beengten Räumen eines Kofferraums, auf der anderen Seite im Inneren einer Notrufzentrale. Beide Szenerien werden lediglich von einer Figur bestückt - Abigail Breslin mimt das Entführungsopfer, Halle Berry eine Telefonistin. Verbunden sind sie über das Telefon, worüber sich beide Charaktere jeweils über den Stand der Dinge informieren. Berry versucht, hinter den Aufenthaltsort der Entführten zu gelangen, während jene ihre vermeintliche Retterin darüber informiert, wo sie sich gerade befinden könnte. So findet zu jedem Zeitpunkt ein direkter Austausch statt, ohne dass beide Figuren an ein und demselben Ort sind.
Die 6 glorreichen Aspekte von «The Call»
Regisseur Brad Anderson, der für sein Meisterwerk «Der Maschinist» eigentlich nur geliebt werden kann, teilt seinen wie ein Kammerspiel-Psychothriller deutlich in zwei Abschnitte. Verheißungsvoll startet der erste. Als liebevolle Notrufzentralmitarbeiterin Jordan gibt Halle Berry eine hervorragende Protagonistin ab, die dank einer intensiven Einführung ihrer Figur und eines interessanten Backrounds zur perfekten Sympathieträgerin wird. Aus ihrer Umgebung – ihr Schreibtisch innerhalb der Notrufzentrale – tritt Berry während des ersten Abschnitts nicht heraus. All die von der Szenerie ausgehenden Emotionen werden von der einstigen Bondgirl-Darstellerin abgefangen und gebündelt auf das Publikum übertragen. Glaubhaft und ohne jedwedes Overacting lacht, weint und schreit Berrys Jordan derart herzergreifend, dass das Publikum gar nicht umher kommt, mitzuleiden und sich ganz in ihrer intensiven Mimik und Gestik verliert, gleichzeitig aber auch miterlebt, von welcher Wichtigkeit ihr Tonfall während des Films ist.
Gleiches gilt für Abigail Breslin, die den Großteil ihrer Screentime in einem winzigen Kofferraum verbringt und damit nicht nur ein direktes Pendant zu ihrer älteren Schauspielkollegin abgibt, die sich in ihrer kleinen Telefonkabine ebenfalls nicht vom Fleck bewegen kann, während sie das Mädchen an der Strippe hat, sondern ihr zudem in Sachen Drama in Nichts nachsteht. Dennoch meint es Breslin zumindest in der Anfangsphase ein wenig zu gut mit ihrem Geschluchze, worunter das akustische Verständnis leidet.
Als dritter, wichtiger Darsteller triumphiert Michael Eklund («Watchmen») als manischer Psychopath, der zwar erst im gescholtenen letzten Drittel zur Höchstform aufläuft, diesen durch seine Darstellung aber immerhin noch sehenswert macht. Eklund benötigt nicht mehr als einen forschen Schritt und einen stechenden Blick, um dem Publikum das Fürchten zu lehren. Gleichzeitig dominiert ihn in den brutaleren Szenen ein Hauch von Overacting, das ihn immer mal wieder knapp an der Karikatur vorbeischrammen lässt. Aufgrund der Gesinnung, die seine Figur die Taten begehen lässt, lässt sich dieser kleine Schwachpunkt jedoch verschmerzen, zumal Eklund die Leidenschaft, mit welcher seine Figur die Taten begeht, sichtlich genießt und in der Darstellung vollends aufgeht.
Während der rasanten ersten Phase ist «The Call» ein Paradebeispiel für einen minimalistischen Thriller, der seine Spannung aus einer zwar recht unglaubwürdigen aber dennoch denkbaren Szenerie zieht. Die schnellen Sprünge von der im Kofferraum eingesperrten Breslin zu Berry, die auf der anderen Leitung versucht, das entführte Mädchen zu beruhigen, hinter ihren Aufenthaltsort zu gelangen und die Mithilfe ihrer polizeilichen Kollegen zu koordinieren, sorgt für den einen oder anderen Adrenalinschub. Die Rasanz bildet dabei – so der Regisseur in einem Interview – sogar insofern die Realität ab, als dass die Geschwindigkeit, mit der die Polizeiarbeit in so einem Fall vonstatten geht, in etwa der Wirklichkeit entspricht. Inwiefern die Mittel, mit welcher die Telefonistin Jordan das Entführungsopfer zur Mithilfe animiert, dem realistischen Prozedere in so einem Fall entsprechen, ist hingegen fragwürdig, jedoch nie effekthascherisch oder vollkommen absurd. Mehr noch: Vor allem, dass die internen Abläufe innerhalb der Notrufzentrale detaillierte Beachtung finden, rechtfertigt schon, einen Blick auf «The Call» zu riskieren. Kleinere Logikfehler gibt es an anderen Stellen, die sich jedoch für eine klassische Hollywoodproduktion in überschaubarem Rahmen abspielen (In «Nicht auflegen!» hing das Leben mehrerer Menschen auch an einer Telefonleitung und kein Mensch hat sich angesichts dieser skurrilen Szenerie darüber aufgeregt!).
Während sich die ersten zwei Drittel des Streifens demnach auf einem überdurchschnittlichen Thrillerniveau befinden, gibt es dagegen einen vollkommenen Genre- und Tonartwechsel, wenn ab der letzten halben Stunde nicht mehr die beiden Frauen, sondern der psychopathische Entführer und seine Gesinnung in den Mittelpunkt rücken. Grundsätzlich ist hiergegen nichts einzuwenden, würde Brad Anderson dabei nicht seinen visuellen sowie erzählerischen Stil um 180 Grad wenden. Die neutrale und dadurch fast dokumentarische Inszenierungsart des ersten Abschnitts weicht, von einem türkis-grau-farbenen Farbfilter untermalten Bildern, in denen der Fokus plötzlich nicht mehr auf der Aufklärung des Entführungsfalles liegt, sondern auf der kranken Psyche des Täters. Derart überraschend wirkt es so, als hätte Anderson hier ohne Umschweife zwei völlig unterschiedliche Filme aneinandergereiht. Wenn sich der Regisseur dann auch noch allzu offensichtlich an Franck Kalfouns «Maniac»-Remake bedient und zwischenzeitlich Kamerafahrten nahezu 1:1 aus dem Klassiker «Das Schweigen der Lämmer» kopiert, wird aus dem mutigen und intensiven Thrillertrip ein zusammengebastelter Flickenteppich aus diversen Genrevertretern, der im Finale wieder mit seiner nicht zu leugnenden Konsequenz besticht.
«Das Fenster zum Hof» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich sowie via Amazon, maxdome, iTunes, Videobuster, Google Play, Microsoft, JUKE, Rakuten TV, Videoload, Videociety und Sony abrufbar.
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