Wenn die Rechtspopulisten die besorgten Bürger ausnutzen, und diese das zufrieden grinsend mitmachen: «Das ist unser Land» ist ein kühles Drama, wie geschaffen für das heiße Wahljahr.
Filmfacts «Das ist unser Land»
- Regie: Lucas Belvaux
- Produktion: David Frenkel, Patrick Quinet
- Drehbuch: Lucas Belvaux, Jérôme Leroy
- Darsteller: Émilie Dequenne, André Dussollier, Guillaume Gouix, Catherine Jacob, Anne Marivin
- Musikt: Frédéric Vercheval
- Kamera: Pierric Gantelmi d'Ille
- Schnitt: Ludo Troch
- Laufzeit: 117 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Der enttäuschte Kleinbürger, der "von denen da oben" nicht länger übersehen werden will. Die in der Kleinstadt lebenden Rentner, die auf den nur alle zwei Stunden fahrenden Bus angewiesen sind, wenn sie Einkäufe erledigen wollen, und sich wundern, weshalb zwar kein Geld für den ÖPNV da ist, aber sehr wohl für neue Flüchtlingsunterkünfte. Und der gesellige Hobby-Griller, der seine ganze Nachbarschaft auf ein paar Würstchen einlädt und sich dann nach ein paar "harmlosen, kleinen Sprüchen" von "empfindlichen Linken" in seinem eigenen Garten anhören muss, nicht mehr sagen zu dürfen, was er will. Wir leben doch in einem Land mit Meinungsfreiheit, da darf er ja wohl noch über jeden lästern, über den er schimpfen will – was hat dieser Gutmensch da seine Einwände einzustreuen?
Die Gutmütigkeit des Menschen ist fragil. Und die Lockmittel, hinweg von einer gesunden Balance zwischen Empathie und statistisch belegtem Wissen zu einer egozentrischen Verquickung aus Angst und Wut sind mannigfaltig. "Jetzt hab dich doch nicht so, meine Mutter hat die Dinger auch immer Negerkuss genannt, was ist daran denn so schlimm?" "Wir haben uns genug um die Anderen gesorgt, jetzt ist wieder Zeit für Politik, die an Leute wie mich denkt!" "Ich hab doch nichts gegen die Ausländer, ich sag nur, dass sie besser so wie ich leben sollten…" Fast jeder kennt solche Sätze.
Lucas Belvaux‘ langsam vor sich hin brodelndes Politdrama «Das ist unser Land» folgt den Brotkrumen, die solche und ähnliche "Alltagssätze" streuen, und stellt mit nüchtern-unterkühlter Strenge fest: Nein, nicht jeder, der beim Quasseln in rechtsgeprägtes Sprachgut ausrutscht, wird sogleich zum ausländerhassenden Straßenschläger. Doch das soll all diese "Ach, das kann man ja einmal sagen …"-Sätze und -Positionen keineswegs gutheißen, da sie sehr wohl das Feld beackern und es so der Saat des Hasses leichter machen, zu fruchten. Oder, weniger hochtrabend-dramatisiert ausgedrückt: All das, was ja angeblich gar nicht so schlimm ist, klopft eben doch viel mehr Menschen weich und ermöglicht es so, dass sie sich zum Spielball des Populismus machen lassen.
Gezeigt wird dies am Beispiel der Krankenschwester Pauline (Émilie Dequenne) und den anderen Einwohnern der nordfranzösischen Kleinstadt Hénart. Pauline ist die Tochter eines Altlinken (Patrick Descamps) und wird von einem alten Bekannten angefragt, ob sie nicht für seine Partei als Bürgermeisterin kandidieren will. Zunächst stutzt Pauline, denn der redegewandte und kultivierte Arzt Dr. Berthier (André Dussollier) ist Mitglied der rechtspopulistischen Partei RNP. Berthier wiegelt jedoch ab, dass die RNP ja viel gemäßigter als der frühere Patriotische Block sei, den der Vater der RNP-Vorsitzenden Agnès Dorgelle (Catherine Jacob) einst leitete. Die RNP sei nicht faschistisch, sie sei nicht
gegen Ausländer. Sie sei halt nur
für den kleinen französischen Bürger voller Sorgen, der auch mal wieder was zu sagen haben will. Und als bürgernahe, fürsorgliche Frau wüsste Pauline doch besser als alle Anderen, was die ländliche Bevölkerung so braucht …
Pauline nimmt das Angebot an – und unwissentlich holt sich das Schaf so den Wolf aufs Feld. Denn Berthier und seine Vorgesetzten indoktrinieren alsbald Pauline und ihr gesamtes Umfeld. Als "Wahlkampf" getarnt, geben sie unter anderem Seminare darüber, wie man Nicht-RNP-Wählern gegenüber von den Zielen der Partei sprechen sollte, um nicht angreifbar zu sein (so viel zur "Ich kann reden, wie ich will"-Sache …). Das findet Anklang und so schaukelt sich die Stimmung im Dorf gegen Andersdenkende rasch hoch, während die Parteioberen Pauline nach ihren PR-Wünschen verformen und sich obendrein in ihr Liebesleben einmischen. Die bändelt aktuell nämlich mit ihrer Jugendliebe Stanko (Guillaume Gouix) an – und Stankos Vergangenheit als rechtsradikaler Schläger schmeckt den RNP-Höchsten gar nicht. Die mag in ihrem Sinne gewesen sein, aber wenn man den Anschein einer sauberen Weste bewahren will, kommt Gewalt sehr ungelegen.
Regisseur/Autor Lucas Belvaux und sein Schreibpartner Jérôme Leroy haben, entgegen der Deutung in manchen Kritiken, keinen Stein auf Bein überzeugten, linksliberalen Film geschaffen. Dafür lassen sie etwa Paulines altersmüden Vater zu schlecht wegkommen. Generell macht das Duo praktisch gar keine Werbung für irgendeine konkrete demokratische Sache – sie machen sich allein gegen Hass, Gewalt und Manipulation stark. Und da der Rechtspopulismus sich nun einmal in solchen Gewässern bewegt, ist Kritik an ihm ebenso gerechtfertigt wie unvermeidlich. Die Parallelen zwischen der von Jacobs bossig gespielten Agnès Dorgelle zu Marine Le Pen sind kaum zu übersehen, und mit großen Warnleuchten weisen Belvaux sowie Leroy auf die Mechanismen hin, mit denen machtgierige, hasserfüllte Politiker wie besagte Le Pen die Leute manipulieren, für deren Sache sie vermeintlich einstehen. Abseits dessen ist «Das ist unser Land» jedoch ein Film, der beobachtet und das Bemerkte zugespitzt widergibt. Aus Diskussionen darüber, ob liberale, sozialdemokratische oder konservative Ansätze gesellschaftliche Schieflagen zu lösen wissen, halten sie sich indes raus.
Den Versuch, nicht zu meinungstreibend daherzukommen, übertreiben Belvaux und Leroy jedoch zuweilen, etwa in der Charakterzeichnung Paulines, die sich von der Partei lange Zeit ganz naiv verformen lässt. Dafür, was sie alles mitmacht, wird sie eingangs zu eigensinnig gezeichnet, als dass es glaubwürdig wäre – wäre da nicht Émilie Dequennes unaufdringliches, natürliches Spiel. Dequenne blickt so sehr vom Polittrubel überwältigt herein, dass es die klar von der Storynotwendigkeit diktierte Wandlung Paulines doch noch weitestgehend plausibel ausfallen lässt. Dass mehrere der Kleinstadtbürger karikaturesker gezeichnet sind, als der generelle Slow-Burn-Thriller-Tonfall des Films und die akribische Art, mit der zentrale Dialoge die Mechanismen des Populismus zu unterstreichen wissen, ist trotzdem schwer zu entschulden. Umso einprägsamer sind dafür die Szenen, die sich ganz nebenher damit beschäftigen, wie sehr in Frankreich Fremdenhass und Blutrache beschönigt werden – wird doch vor jedem Sportereignis dasselbe Lied gesungen wie beim RNP-Parteitag.
Fazit: «Das ist unser Land» ist kein makellos ausgereifter Film, aber sehr wohl eine wichtige Diskussionsgrundlage für das Wahljahr 2017.
«Das ist unser Land» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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