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«Atypical» bei Netflix: Normal kann ja jeder

Was haben Dating und Pinguine gemeinsam? Die Netflix-Serie «Atypical» beantwortet solche Fragen – und ist der beste Comedy-Neustart seit langem.

Cast & Crew «Atypical»

  • Idee und Buch: Robia Rashid
  • Darsteller: Jennifer Jason Leigh, Keir Gilchrist, Brigette Lundy-Paine, Amy Okuda, Michael Rapaport
  • Ausf. Produzenten: Robia Rashid, Seth Gordon, Mary Rohlich
  • Produktion: Weird Brain, Exhibit A, Sony für Netflix
  • Folgen: 8 in Staffel 1 (je ca. 35-40 Min.)
„Es fühlt sich so an, als sollen die Zuschauer darüber lachen, wie komisch und anders Sam ist. Das ist die Crux am Humor von «Atypical», denn es ist nicht besonders witzig, wenn eine Behinderung von jemandem in eine punchline verwandelt wird.“

Diese Worte schreibt Schauspieler Mickey Rowe über die neue Netflix-Comedy «Atypical». Hauptcharakter der Serie ist ein 18-jähriger Teenager namens Sam, der autistisch ist und daher Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen hat. Aber porträtiert «Atypical» das sensible Thema Autismus angemessen? Mickey Rowe, selbst Autist, verneint dies – wie viele andere auch, die das Format in diesen Tagen kritisieren. Umgekehrt gibt es Stimmen, welche die Darstellung des autistischen Charakters loben, zumal die Entwicklungsstörung sich bei jedem Menschen anders äußert und eine ganzheitliches Porträt daher sehr schwierig ist: „Es ist quasi unmöglich, jeden im Autismus-Spektrum zu repräsentieren“, sagt eine Wissenschaftlerin zur Debatte in den USA.

Die «Atypical»-Produzentin Robia Rashid verarbeitet in der Serie Erfahrungen aus ihrem Freundesumfeld, und sie will Sam nicht als Stereotypen verstanden wissen. Dies gelingt der Serie bravourös. Wir lernen Sam kennen als humorvoll, als ehrlich, traurig, intelligent – und als ehrgeizig: Seiner Therapeutin eröffnet er, dass er gern lernen würde, wie man Frauen datet und eine Freundin bekommt. Die direkte und ehrliche Art, Dinge anzusprechen, ist eine der Eigenheiten, die Sam als Autist mitbringt – und die uns oft zum Lachen bringen, selbstverständlich.

Tatsächlich verinnerlicht Sam die Grundregeln des Flirtens, und beim ersten Date ist er wieder schonungslos ehrlich: kein Kuss, kein Sex, keine Erfahrungen. All dies erklärt er seiner potenziellen Partnerin, die von Sams Ehrlichkeit beeindruckt ist. Sie kennt solche Situationen sonst nur umgekehrt, und wir als Zuschauer erkennen in dieser Szene ebenfalls eines „normalen“ Dates: Man verstellt sich, will beeindrucken, eigene Schwächen sind uncool. Das schafft «Atypical» also: Gerade durch sein auffälliges Verhalten zeigt Sam uns, wie unnatürlich sich „normale“ Menschen sonst in sozialen Situationen verhalten. Die sozialen Konventionen, denen wir sonst selbstverständlich folgen, werden hier hinterfragt. Großartig.

«Atypical»: Einzigartiger Humor und „fuck off“-Attitüde


«Atypical» ist damit auch eine ungewöhnliche Gesellschaftsbeobachtung, und sie ist generell viel mehr als eine Serie, die sich um das Thema Autismus dreht. Sams Schwester Casey macht sich als erfolgreiche Leichtathletin in ihrem Highschool-Team einen Namen, bald wird eine Eliteschule auf sie aufmerksam und möchte sie rekrutieren. Aber kann Casey die Verantwortung für ihren Bruder Sam, den sie in der Schule aufpasst, so einfach abgeben? Und hält die junge Liebe zu ihrem neuen Freund Evan? Wer kommt zuerst: Familie und Freunde oder sie selbst? Solch große Fragen werden in «Atypical» verhandelt, und sie zeigen die Schwierigkeiten von Menschen auf, die Verantwortung für andere tragen und sich selbst hintenanstellen – unabhängig von der Art der Krankheit oder Störung.

Das Thema Dating ist in dieser Coming-of-Age-Story daher ein besonderes, und Sams Mutter hat Schwierigkeiten damit, ihn auf diese neue Welt loszulassen: Schließlich ist Dating ein hochsozialer Prozess, der größtenteils nonverbal abläuft und Deutungskompetenz erfordert. Aber haben Autisten wegen ihrer Störung nicht dasselbe Anrecht auf Liebe? Sams Mutter scheut die Konfrontation mit solchen Fragen. Sie kann mit dem familiären Druck kaum mehr umgehen und flüchtet sich in eine Affäre mit einem Barkeeper. Was würde wohl Sam schonungslos ehrlich dazu sagen?

Abgesehen von den wunderbaren Geschichten, die diese Charaktere erzählen und die aufgrund von Sams Störung irgendwie alle zusammenhängen, ist der einzigartige Humor das große Plus von «Atypical». Selbstverständlich mag manches Verhalten von Sam extrem daherkommen und Autismus nicht korrekt repräsentieren – aber Überzeichnung und Übertreibung gehören zum Humor von Comedys dazu, so funktionieren sie. Gleichzeitig ist Sam nicht unbedingt der lustigste Charakter in «Atypical»: Schwester Casey ist mit ihrem sehr schwarzen Humor der heimliche Star der Serie. Sie spielt die toughe junge Frau, die auf der einen Seite einfühlsam und verantwortungsvoll daherkommt, auf der anderen Seite die „fuck off“-Attitüde eines typischen Teenagers an den Tag legt. Sie wird großartig porträtiert von der Newcomerin Brigette Lundy-Paine; die anderen bekannteren Hauptdarsteller – u.a. Jennifer Jason Leigh und Keir Gilchrist – stehen ihr in nichts nach.

Diese schwarze Komödie vereint Drama und Humor auf bemerkenswerte und intelligente Weise. Sie ist vor allem aber: wirklich witzig. Das konnte man in diesem Jahr leider nur von wenigen Comedy-Neustarts behaupten.
13.08.2017 13:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/95080
Jan Schlüter

super
schade

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Tags

Atypical

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