Nominiert für 16 Emmys: Mit «Big Little Lies» ist HBO ein großer, aber kurzer Wurf gelungen: Eine glänzende Nicole Kidman und ein noch glänzenderer Alexander Skarsgard sowie eine besondere Tonalität machen das Format einzigartig. Was unseren Kritiker an «The Affair» erinnert...
Um ehrlich zu sein: Bisher habe ich mich von Serien aus der Feder von David E. Kelley immer eher ferngehalten. Nein, «Ally McBeal» hatte mich nicht so sehr gepackt, wie ich es damals erwartet hatte. Das war ja ein absoluter Renner damals, aber ich musste feststellen: Es traf meinen ganz persönlichen Geschmack nicht. Und so machte ich auch um «Chicago Hope» und die «Boston»-Serien einen Bogen.
Zu
«Big Little Lies», dem neuesten Projekt von Kelley, für das erst kürzlich satte 16 Emmy-Nominierungen erhielt, kam ich eher auf Umwegen. Die Trailer, die im Rahmen der Sky-Ausstrahlung liefen, erinnerten mich ein Stück weit an Showtimes «The Affair», das ich – und einige andere auch – für eine der herausragendensten Serien der vergangenen fünf Jahre halte. So gab ich mir einen Ruck – sieben Folgen sind ja machbar und kein zu großes Commitment.
Und in der Tat: Nach Folge eins war mir nicht ganz klar, was ich von HBOs Miniserie mit Reese Witherspoon, Alexander Skarsgrad und Nicole Kidman halten sollte. Das Format wirkte auf mich sehr weiblich getrimmt. Kein Wunder, standen doch drei Frauen im besten Alter im absoluten Zentrum. Witherspoon gibt in der Serie die witzige, aber von einer Scheidung tief getroffene Madeline, die verarbeiten muss, dass ihr Ex jetzt mit seiner Neuen zurück in der Stadt ist und die Tochter auch eher die Nähe von Papa sucht. Schon in Folge eins beeindruckte Nicole Kidman als Celeste, Mutter von Zwillingen, die wild und ungestüm sind. Und dann wäre noch die allein erziehende Mama Jane (Shailene Woodley) und offenbar ein Mord. Ohne großes Dazutun wird der Zuschauer mit kurzen Sequenzen aus dem Später konfrontiert, mit Blaulicht und Zeugenaussagen. Wer tot ist und wie die vermeintlich heile Welt in sich zusammenbrechen muss, gute Frage.
Das Unheil der Serie nimmt eigentlich seinen Lauf als die Tochter von Madeleine behauptet in der Schule angegriffen worden zu sein. Sie macht dafür Jane’s Sohn verantwortlich, der jedoch alles abstreitet. Der Bub wird daraufhin gemobbt – und Jan weiß nicht recht, wie sie ihren Sohn schützen und was genau sie jetzt glauben soll. Bei Weitem nicht das einzige Problem in der Serie, aber mal die grundsätzliche Aufstellung des Formats in den ersten Minuten.
Im weiteren Verlauf gewinnt das Format an Faszination, was mehrere Gründe hat. Zum einen ist es die ruhige und entspannte Erzählweise (hier gibt es in der Tat eine Parallele zu «The Affair»), die aber nie langweilig wird und die vollkommen zurückgefahrene musikalische Untermalung. Der Zuschauer wird eingeladen, in die Wohnzimmer der drei verschiedenen Familien zu blicken. Schnell wird klar, dass besonders Celeste und ihr Mann etwas zu verbergen haben. Da ist eine große Leidenschaft, durchzogen aber von Gewalt, von Erwartung und Enttäuschung.
Skarsgard spielt den Mann, der in seiner Form der Liebe immer mehr an Grenzen geht und darüber hinaus, so wahrhaftig, dass der Zuschauer auf dem Sofa teils nicht mal mehr blinzeln möchte. Als die Beziehung der beiden immer brutaler wird, entscheiden sich beide für eine Paar-Therapie. Eine Therapie hätte derweil auch Jane nötig, ist sie doch hin und hergerissen zwischen den Anschuldigungen der Gemeinde und den Aussagen ihres Sohnes. Sie schickt aber lieber ihren Sprössling zur Untersuchung, gibt es doch drängende Fragen: Ist dieser wirklich ein kleines Monster? Die Zweifel in Janes Kopf bekommen Futter, weil ihr Sprössling bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde, wie man schnell erfährt. Gibt es also dieses Gen des Gewalttätigen? Könnte schon der kleine Ziggy (prima gespielt von Iain Armitage, der uns bald als «Young Sheldon» entgegen flimmert) eine solche Wut in sich tragen?
Von Minute zu Minute spitzt sich die Situation in der Serie also immer mehr zu: Zweifel werden größer, die Wut droht aus dem Rahmen zu laufen und dem Zuschauer ist bewusst, dass alles Gesehene irgendwie zu einem Todesfall führen muss. Spätestens bei Folge 6 ist die Spannung daher kaum mehr auszuhalten.
Ich sage ehrlich: Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine Theorie, wer am Ende das Zeitliche segnet, und ich hatte auch eine Vermutung, wer letztlich der Täter oder die Täterin ist. Zumindest den Toten hatte ich korrekt vorausgesagt. Für mich eine Genugtuung, hatte ich die Serie anfangs ja fälschlicherweise für ein klassisches frauen-affines Drama gehalten. Es konnte ja keiner wissen, dass die mannigfaltigen Zwischentöne, die charakterliche Entwicklung und letztlich auch die Spannung durchaus besten Serien-Vergnügen für Mann und Frau sind.
Auch wenn ich David E. Kelley in Bezug auf seine anderen Produktionen aus meiner Sicht nicht unrecht getan habe, hier hat er meinen Geschmack getroffen. «Big Little Lies» ist ein bewundernswert stimmiges Gesamtkunstwerk, das auch mit seiner letztlichen Auflösung überzeugt. Es hat die Qualität sich auf eine Stufe mit Showtimes «The Affair» zu stellen – und könnte vielleicht sogar noch eins besser machen. Wenn nach diesen sieben Folgen die Geschichte ruhen darf und so stehen bleibt, wie sie ist. Dass es ganz zum Schluss einen offensichtlichen Cliffhanger gab und via Twitter schon Andeutungen, dass überlegt werde, was eine zweite Staffel erzählen könnte, stimmt skeptisch. Auch «The Affair» hätte nach der dritten Staffel gern zu Ende sein können, um das aller-aller-höchste Niveau zu halten.
Aber: Ich hatte mich ja schon vor Staffel eins geirrt – und vielleicht ist es ja möglich, die Geschichte dennoch sinnhaft weiter zu spinnen. Bis dahin sei «Big Little Lies» jedem wärmstens ans Herz gelegt; bei Weitem nicht nur Fans von Herrn Skarsgard und Nicole Kidman in ihren jeweils vielleicht besten Rollen.
Sky wiederholt das Format immer mal wieder, VOX hat eine Free-TV-Premiere in der kommenden Saison angekündigt.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
30.07.2017 11:38 Uhr 1
Und, "Big Little Lies" ist einfach nur Klasse!! Es wird immer und verständlicherweis Nicole Kidman über den Klee gelobt, dabei machen Reese und Shailene ihre Sache genauso hervorragend!