Die neueste RTL-Show am Freitagabend strotzte nicht gerade vor Kreativität, erfüllte allerdings die Anforderungen im Erwartungshorizont. Den Einsatz des Spickzettels verzieh man dem Neustart gerne.
RTL-Freitag in den kommenden Wochen
RTL hat die Zeichen der Zeit erkannt: Möchte man der privaten Konkurrenz Sat.1 und ProSieben nicht schrittweise in Richtung permanent einstelliger Zielgruppen-Marktanteile folgen, muss auf Dauer mehr her als das alljährliche Hoffen darauf, dass die etablierten Show-Formate schon nicht allzu dramatische Verluste einfahren mögen. Und bevor am kommenden Freitag mit «The Wall» der vielleicht spannendste Neustart der Sommermonate sein Debüt feiert, hat man sich beim Piloten
«Nachsitzen! Promis zurück auf die Schulbank» von seinem Mitbewerber inspirieren lassen. Herausgekommen ist ein Format, das zwar die Branche wahrlich nicht revolutionieren wird, aber für seine knapp drei Stunden Laufzeit erfreulich kurzweilig daherkommt.
Das Konzept: Oberlehrer Daniel Hartwich stellt das Schulsystem auf den Kopf und dreht den Spieß um: Promis werden zu Schülern und Kinder zu Paukern. Ein Lehrerkollegium aus zehn Kindern und einer Direktoren-Handpuppe, gespielt von Puppenspieler Martin Reinl, prüft die Promis mit klassischem Schulwissen und verrückten Schulaufgaben aus aller Welt. Der Stundenplan der Promis umfasst acht Fächer, deren Stoff in unterschiedlichen Prüfungen abgefragt werden - mitsamt Zensuren. Darüber hinaus gibt es aber auch als "Schulpausen" deklarierte Bonusrunden, in denen die Stars der Folge in Aktionsspielen gefordert werden. Für zusätzliche Auflockerung soll überdies in Einspielfilmen unter anderem gezeigt werden, wie Schule früher und heute funktioniert und wie Kinder in anderen Ländern lernen. Und am Ende gibt es natürlich Zeugnisse.
Nicht alles ist von «LUKE!» abgekupfert
Und damit dockt man schon ziemlich offensichtlich an «LUKE! Die Schule und ich» an, das zuletzt im Mai völlig überraschend mit durchschnittlich rund 13 Prozent Zielgruppen-Marktanteil zum bisher größten Primetime-Erfolg unter der Leitung von Luke Mockridge avanciert war. Das einzige zentrale Show-Element, in dem sich die beiden Formate unterscheiden, ist der Einbezug der Schüler: Fungierten diese in Sat.1 noch als direkte Kontrahenten der prominenten Schul-Wiederholer, stehen sie hier eine Stufe darüber und urteilen über die Promi-Leistungen. Und das ist ein Stück weit schade, denn so recht zu Wort kommen sie damit selten, während mit Joachim Llambi, Ruth Moschner, Pietro Lombardi, Lutz van der Horst und Rebecca Mir sicherlich keine Personen im Fokus des Interesses stehen, die im Fernsehen derzeit unterbeschäftigt wären.
Zudem setzen die Kölner in stärkerem Maße auf Aktionen fernab des eigentlichen Studiogeschehens - und tun dies mit Rankings beinhaltenden Einspielern, Straßenumfragen beinhaltenden Einspielern, Schulbesuche der Promis beinhaltenden Einspielern und einigen weiteren Einspielern auf die denkbar unkreativste Art und Weise. Dennoch sind diese Clips unterhaltsam, kurzweilig und mitunter sogar ansatzweise lehrreich - einzig die visuelle Untermalung der Szenen mit zusätzlichen Emoticons hätte man sich wahrlich sparen können.
Keinerlei Innovation - Macht doch nichts!
Eigene Klassenarbeits-Noten
- Physik: 3
- Bio: 2
- Mathe: 3
- Kunst: 2
- Erdkunde: 3
- Chemie: 4
- Sprache: 1
- Sport: 2
Notenschnitt: 2,5
Die Hauprgründe, weshalb einem die fast drei Stunden Brutto-Laufzeit aber über weite Strecken kürzer vorkommen, sind dann aber doch im Klassenzimmer auszumachen: Ein gewohnt schlagfertiger und spontaner Hartwich, dem man die Begeisterung für das Thema Schule zwar weniger abnimmt als Mockridge, der aber auch hier mit seinem sarkastischen Witz seine Klasse schnell zu reger mündlicher Mitarbeit motiviert. Das durchaus charmante, wenngleich in seiner Ausführung mit reinen Multiple-Choice-Fragen etwas mutlos umgesetzte "Klassenarbeits"-System, bei dem auch die Oberstreber vor den Geräten brillieren können (siehe Infobox). Und vor allem die Experimente und Aktionsspiele im Anschluss an die Wissensabfrage, bei denen dann auch zumeist Kinder ihr Wissen und Können unter Beweis stellen können.
Wer zwischen all dem die Innovation sucht, sollte sich vielleicht doch besser zur nächstbesten Scheune zur großen Stecknadel-Schnitzeljagd begeben, da dürften die Erfolgsaussichten nämlich größer sein. Der Anspruch hier ist weitaus geringer und fußt eher darauf, mit altbekannten Mitteln ein möglichst rundes Gesamtbild zu entwerfen, das im Bestfall den Zuschauer am Ende der Show etwas fröhlicher und schlauer zu Bett gehen lässt. Und das gelingt schlussendlich auch in mindestens befriedigendem Ausmaß. Das Potenzial, «Nachsitzen!» noch die eine oder andere Ehrenrunde drehen zu lassen, ist bei entsprechendem Publikumsinteresse ohne Frage vorhanden - und wenn es nicht klappen sollte mit dem Quotenerfolg, wäre das Format angesichts seiner Innovationsarmut nun auch kein allzu beklagenswerter Verlust.
Wie hat euch die Pilotfolge von «Nachsitzen!» gefallen?
RTL ist also ein Produkt geglückt, das offensichtliche Züge einer Massenproduktion von der Stange beinhaltet, dem man aber trotzdem nicht so recht böse sein mag. Als Highlight eines Show-Sommers wäre das reichlich wenig, aber als kleines Pilotprojekt, das man einfach mal am Freitag über den Äther schickt, um das Ausmaß der neuen deutschen Schul-Begeisterung anzutesten, geht es in Ordnung. Und am kommenden Freitag darf dann ja Frank Buschmann zeigen, dass der Sender auch mehr kann als bekannte Versatzstücke solide zusammenzuzimmern.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
24.06.2017 10:06 Uhr 2
24.06.2017 10:12 Uhr 3
27.06.2017 09:35 Uhr 4