Ein didaktischer «Tatort», in dem sich die Ermittler in die Niederungen der Neuen Medien begeben müssen: sicherlich ein Tiefpunkt des Krimi-Jahres.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Alwara Höfels als Henni Sieland
Karin Hanczewski als Karin Gorniak
Martin Brambach als Peter Michael Schnabel
Caroline Hartig als Emilia Kohn
Daniel Wagner als Magnus Cord
Ulrich Friedrich Brandhoff als Dr. Frantzen
Wilson Gonzalez Ochsenknecht als Scoopy
Hinter der Kamera:
Produktion: Wiedemann & Berg Television
Drehbuch: Richard Kropf
Regie: Gregor Schnitzler
Kamera: Wolfgang Aichholzer
Produzenten: Nanni Erben Max Wiedemann und Quirin BergBei Simsons neuestem Online-Prank sind Hunderttausende blutjunger Fans wieder live dabei: Der Social-Media-Star steuert eine Drohne auf ein Boot, wo sich Rocker besaufen, und streamt die harten Jungs beim Kacken live auf zahllose Smartphones und Tablets. Als sie die Drohne entdecken, machen die Rocker Jagd auf Simson, der – natürlich, ohne dafür seinen Live-Stream zu unterbrechen – flieht. Alles scheint gutzugehen. Bis er erschossen wird.
Über den Laptop ihres Sohnes, seines Zeichens Stammzuschauer von Simsons Prank-Streams, ist auch Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) live bei der Ermordung des Teenagers dabei. Am Tatort angekommen, nimmt sie sich mit ihrer Kollegin Henni Sieland (Alwara Höfels) zuerst die vermeintlich schweren Jungs aus der Biker-Szene vor. Die können’s nicht gewesen sein, sie haben sich bei ihrer Jagd auf Prankster Simson nämlich selbst gefilmt. Als die Schüsse fielen, waren sie nicht einmal in seiner Nähe gewesen.
Ein böses Vorurteil über den Osten Deutschlands besagt, dass er besonders rückständig sein soll. Und es ist vielleicht das Unangenehmste an diesem «Tatort», dass er dieses Klischee offensichtlich bestätigen will. Denn er scheint nur Zuschauer zu antizipieren, die noch nie ein Smartphone oder Tablet überhaupt gesehen haben und denen man alles zehnmal erklären muss. Aber keine Sorge: „Level X“ leistet gerne Aufklärungsarbeit. Was ist ein Prankster, was ist ein Live-Stream und was machen diese verrückten jungen Leute eigentlich die ganze Zeit mit ihren mobilen Endgeräten? Wohl um die gängigen Vorurteile zu bedienen, liefert er eine so bemerkenswerte wie unsinnige wie von hyperaktiven Pädagogen und reaktionären Sozialforschern geliebte Erklärung: Die Digitalisierung betreibt eine Entmenschlichung der Gesellschaft.
Das ist natürlich Unfug, wirkt aber angesichts von Facebook-Streams, in denen Menschen sich oder anderen etwas antun, wie aus den Schlagzeilen gerissen. «Tatorte» mögen sowas, denn dann können sie behaupten, sie seien relevant und tragen etwas zum gesellschaftlichen Diskurs bei.
Doch in Wirklichkeit besteht die Dramaturgie nur aus völlig überzeichneten Stereotypen davon, wie sich die Gebissträger von heute Unter-Dreißigjährige und schmierige Unternehmer in den neuen Medien vorstellen. Zumindest Letztere haben es faustdick hinter den Ohren. Auf ihren Schreibtischen im Co-Working-Space liegt eine Knarre, den alten Autoritäten (insbesondere Polizistinnen) begegnen sie herablassend und überheblich, und dann sprechen sie auch noch die ganze Zeit in völlig unnötigen Anglizismen. Eine Hörprobe: ganz normale Business Practice mit Asset-Backed Securities und Content, der King ist und den Simson delivered hat. Ja, so stellt man sich das in der «Tatort»-Redaktion des Mitteldeutschen Rundfunks tatsächlich vor.
Die jungen Figuren – natürlich in erster Linie die, die mehr oder weniger erfolgreiche Social-Media-Kanäle betreiben – zeichnet dieses Drehbuch dagegen in herablassend-gönnerhaftem Duktus entweder als naive Milchbubis, die die Konsequenzen der permanenten Öffentlichkeit nicht abzuschätzen imstande sind, oder als psychisch labile Mädchen, die der gesellschaftliche Druck nach weiblicher Perfektion zuerst in autoaggressives Verhalten und letztlich wohl in den Suizid treibt.
Dieses küchenpsychologische Getue ist nicht nur schlechte Dramaturgie. Es hat auch etwas Herablassendes an sich, wenn junge Menschen in populären Produktionen des altehrwürdigen MDR ständig so dargestellt werden. Ebenso, wenn hehre öffentlich-rechtliche Sendeanstalten in den Neuen Medien und ihren dezentralen Broadcasting-Möglichkeiten allein einen Quell für gesellschaftlichen Verfall ausmachen können, den sie bis zur Persiflage überdrehen, um mit diesen einfachen Mitteln billige Stimmungsmache gegen den digitalen Wandel betreiben. Im Kern läuft die Ambition von „Level X“ leider genau darauf hinaus.
Das Erste zeigt «Tatort – Level X» am Sonntag, den 11. Juni um 20.15 Uhr.
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11.06.2017 17:46 Uhr 1