Wirtschaftliche Misserfolge verdienen nicht automatisch ein Naserümpfen: Wir stellen sechs starke Filme vor, die an den Kinokassen untergingen. Wie Wentworth Millers «Stoker».
Die Handlung
Filmfacts: «Stoker»
Regie: Park Chan-Wook
Produktion: Ridley Scott, Tony Scott, Michael Costigan
Drehbuch: Wentworth Miller
Darsteller: Mia Wasikowska, Matthew Goode, Nicole Kidman, Dermot Mulroney, Jacki Weaver, Lucas Till, Alden Ehrenreich
Musik: Clin Mansell
Kamera: Chung Chung-hoon
Schnitt: Nicolas De Toth
Laufzeit: 99 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
India Stoker (Mia Wasikowska) muss als Achtzehnjährige den frühen Tod ihres Vaters Richard (Dermot Mulroney) verarbeiten. Mit ihrer strengen Mutter Evelyn (Nicole Kidman) verbindet sie kaum etwas. Beide leben nebeneinander her, auch wenn Evelyn immer wieder versucht, sich ihrer entfremdeten Tochter anzunähern. Das Leben der Frauen soll sich schlagartig ändern, als auf Richards Beerdigung ungeahnt dessen Bruder Charlie (Matthew Goode) auftaucht, der es versteht, Evelyn gehörig den Kopf zu verdrehen. Nach anfänglicher Skepsis findet auch India Gefallen an ihrem stets höflichen, dabei jedoch undurchsichtigen Onkel. Obwohl Charlie Evelyn mehr als einmal verführt, baut sich vor allem zwischen ihm und seiner Nichte eine Beziehung auf. Immer mehr zieht er India in seinen Bann, die nicht ahnt, dass dieser ein düsteres Geheimnis hütet.
Der Misserfolg
Anders als andere Filme, die wir im Rahmen dieser Rubrik in den vergangenen sechs Wochen vorgestellt haben, erstreckt sich der Misserfolg dieses Exemplars nicht auch noch auf die qualitative Bewertung. Bei den weltweiten Kritikern hat das Autorendebüt von Wentworth Miller nämlich solide bis gut und sogar sehr gut abgeschnitten. Sogar die Nominierungn bei einigen Indie-Filmpreisen war drin. Doch Park Chan-Wooks Arbeit ist außerhalb seiner Heimat Korea nicht gerade von Erfolg gekrönt, was auch mit ein Grund dafür ist, weshalb nicht alle seine Filme außerhalb seines Landes veröffentlicht werden. Obwohl Altmeister Ridley Scott Park als Produzent von «Stoker» zur Seite stand und der Film mit großen Namen wie Mia Wasikowska, Matthew Goode und Nicole Kidman auftrumpfen kann, ging das Psychothrillerdrama an den internationalen Kinokassen gnadenlos unter.
Inszeniert wurde «Stoker» mit einem Budget von gerade einmal 12 Millionen US-Dollar, von denen ein Großteil für die Gagen der Darsteller drauf ging. Am Ende spielte er exakt genauso viel wieder ein (wobei hierbei das Einspielergebnis sämtlicher Länder zu berücksichtigen ist und nicht bloß jenes aus den USA). In Deutschland wollten den Film am Startwochenende knapp 38.000 Menschen sehen, in der zweiten nur noch knapp 5.000, sodass er bereits in Woche drei aus den Top 20 der deutschen Kinocharts verschwand.
Die 6 glorreichen Aspekte von «Stoker»
Eines wird bereits in den ersten fünf Minuten deutlich: Mit «Stoker» zollt Alfred-Hitchcock-Verehrer Park Chan-Wook seinem großen Idol einen eindrucksvollen Tribut. Wie kaum ein anderer war der Macher von «Psycho», «Vertigo» und Co. in seinem Element, wenn es darum ging, Spannung zu erzeugen. Der Spitzname „Meister des Suspense“ kam nicht von ungefähr. Umso eindrucksvoller kreierte er die typische Hitchcock-Atmosphäre stets durch die nicht greif-, geschweige denn sichtbare Bedrohung.
Auch «Stoker» lässt seinen Betrachter lange Zeit im Dunkeln über die sich ankündigende Gefahr. Mehr noch nimmt Chan-Wook Park ihm sämtliche Halt- und Orientierungsmöglichkeiten, schmeißt ihn direkt ins Geschehen und konfrontiert ihn mit nackten Tatsachen, ohne dabei Erklärungen abzuliefern. So erhält India, nuanciert und das Publikum einnehmend gespielt von «Alice im Wunderland»-Darstellerin Mia Wasikowska, zu jedem Geburtstag ein neues Paar Schuhe von einem Unbekannten, was sich erst im Finale aufklärt. Beziehungen zu Nebenfiguren werden, trotz immenser Bedeutung für das Filmgeschehen, ausschließlich angerissen und überlassen die Charakterisierung dem Publikum, zudem bringt Park immer wieder symbolträchtige Bilder ins Spiel, an deren Interpretation man sich entweder bis zum Schluss die Zähne ausbeißt, oder die im Gesamtkontext des Werkes Aufschluss über wertvolle Details liefern.
Hat nach gut einem Drittel der Laufzeit erst einmal der augenscheinlich als Antagonist angelegte Charlie seinen Platz in der zerrütteten Familie Stoker eingenommen, geht ein spürbar dynamischer Ruck durch die Inszenierung, gleichwohl behält das Tempo seinen gemächlichen, fast zelebrierenden Grundton bei. Mit seiner Dialog-Reduktion auf ein Nötigstes überlässt der asiatische Regisseur, ähnlich seinen Werken wie «Oldboy», viel der filmischen Durchschlagskraft der Bildsprache und Kulisse. Mithilfe der exzellenten Kameraarbeit von Chung-hoon Chung, der bereits für die Aufnahmen sämtlicher vergangenen Chan-Wook Park-Projekte verantwortlich zeichnete, katapultiert «Stoker» das Publikum mitten ins Geschehen und schafft es, dem Zuschauer das Gefühl zu geben, jederzeit auf Augenhöhe der Akteure zu stehen.
Zu denen gehört neben Wasikowska und Goode auch eine kühl-elegante Nicole Kidman, die mit ihrer Verkörperung der Aristokraten-Mutter Evelyn an ihre harsche Performance in «The Others» erinnert. Ausgerechnet die zu den passioniertesten Schauspielerinnen Hollywoods zählende Kidman ist es, die unter den Hauptdarstellern noch die austauschbarste Leistung abgibt. Bei derartig starker Konkurrenz ist das zwar Kritik auf ganz hohem Niveau, doch hätte man sich in Momenten, die von ihrer Rolle Leidenschaft, Schmerz oder Furcht gefordert hätten, noch mehr Ausdrucksstärke in ihrer Mimik gewünscht.
«Stoker» ist auf DVD und Blu-ray erschienen sowie via Amazon, Maxdome, iTunes, Google Play, Microsoft, Videoload, Sony, CHILI und Juke verfügbar.
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