Der intensive Münchener «Tatort» setzt diesmal an einem alten, ungelösten Fall an und betrifft die beiden Ermittler auf persönlicher Ebene. Der Krimi weiß unter anderem durch Unkonventionalität zu überzeugen.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Udo Wachtveitl als Franz Leitmayr
Miroslav Nemec als Ivo Batic
Ferdinand Hofer als Kalli Hammermann
Lina Wendel als Kriminaloberrätin Horn
Götz Schulte als Oberstaatsanwalt Kysela
Gerhard Liebmann als Klaus Barthold
Luka Amoto als Ayumi Schröder
Hinter der Kamera:
Regie: Philip Koch
Drehbuch: Holger Joos
Kamera: Jonas Schmager
Produktion: X Filme Creative Pool GmbH für BRNicht immer sind polizeiliche Ermittlungen in Folge eines Mordfalls erfolgreich – noch nicht mal im «Tatort». Am 23. Oktober 2016 zeigte das Erste den Münchener «Tatort: Die Wahrheit». Dem eingespielten Duo Batic und Leitmayr gelang es damals nicht, aufzuklären, welcher narzisstische Psychopath scheinbar wahllos mit einem Messer Ben Schröder niederstach. Batic litt daraufhin an Schlafstörungen und freundete sich zunehmend mit der Familie des Opfers an.
Obwohl die Münchener Polizisten zwischenzeitlich anderweitig ermittelten, setzt ihr neuer Fall an dieser Stelle wieder an. Das Werk von Regisseur Philip Koch stellt dabei allerdings keine Fortsetzung des genannten «Tatort»s dar, sondern präsentiert sich dramaturgisch unabhängig. Gemein haben die beiden Storys unterschiedliche, angenommene Szenarien der Wahrheit. Waren es damals jedoch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Augenzeugen, die die Polizeiarbeit massiv erschwert haben, so sind es diesmal sich widersprechende Annahmen über den Verlauf eines blutigen Geschehens:
Ein Jahr ist vergangen, seitdem Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) die Suche nach dem Mörder von Ben Schröder offiziell eingestellt haben, der vor den Augen seiner Frau Ayumi (Luka Amoto) und seines Sohnes Taro erstochen wurde. Aber dann geschieht aus dem Nichts heraus wieder ein ähnliches Verbrechen. Eine Tat ohne erkennbares Motiv, erneut ohne eine Beziehung zwischen Täter und Opfer. Allerdings gibt es einen Hoffnungsschimmer: wie durch ein Wunder überlebt das Opfer und es gibt eine Vielzahl von Hinweisen auf den Täter. Ein Verdächtiger wird gefasst, doch während eines Gefangenentransports kommt es zu einem Zwischenfall, an dessen Ende es weitere Tote gibt.
Wenige Tage später geht Franz Leitmayr an einer Krücke den Gang eines Krankenhauses entlang. Nachdenklich schaut er durch ein Fenster auf seinen Freund und Kollegen Ivo Batic, der an Schläuchen angeschlossen im Koma liegt. Außerdem muss Leitmayr sich in einem internen Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Kriminaloberrätin Horn (Lina Wendel) für die rätselhaften Ereignisse rechtfertigen. Was ist wirklich passiert? Wer hat warum auf wen geschossen? Ist dieser Fall möglicherweise das Ende des gemeinsamen Weges von Leitmayr und Batic?
Schon seit 1991 ermitteln Miroslav Nemec als Batic und Udo Wachtveitl als Leitmayr in der bayerischen Landeshauptstadt. Nach so langer Zeit wäre es nur logisch, wenn irgendwann graue Routine einsetzen würde. Routiniert wirken allerdings nur die Vertrautheit und die Chemie im Spiel zwischen den beiden Partnern, die sich nach wie vor zünftig die Meinung geigen und eines der stärksten Ermittlerduos des Landes stellen. Besonders deutlich wird das in den vergleichsweise rar gesäten Dialogen zwischen den Beiden.
Ebenso wie die Schauspieler, kennen sich auch die Charaktere seit Jahrzehnten. Aus diesem Grund deckt Leitmayr seinen Partner in der Anhörung auch, verschweigt Details, oder streut bewusst Fehlinformationen. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Batic zu einem Verbrechen fähig wäre. Im Laufe der Zeit kommen ihm jedoch Zweifel. Verschweigt ihm sein Partner etwas? Leitmayr weiß sehr wohl, dass dieser auch auf persönlicher Ebene in den Fall involviert ist. Und auf diese Weise wird es für Leitmayr selbst zu einer persönlichen Angelegenheit, dessen Unschuld zu beweisen.
Ein wirkliches Pfund ist die Performance von Gerhard Liebmann als scheinbar willkürlich zuschlagender Verdächtiger. Die Eiseskälte, die von seiner Figur ausgeht, ist ebenso faszinierend wie außergewöhnlich. Von aufreizender Anteilslosigkeit bis zu gezielter Provokation der Ermittler und Opfer lässt Liebmann in der Rolle des Klaus Barthold keine Gelegenheit aus, Gänsehaut zu verbreiten. Einerseits ist es etwas schade, dass der Zuschauer nicht erfährt, was es mit dem verwirrenden Zählen Bartholds auf sich hat, andererseits muss eine Geschichte auch nicht zwangsläufig alle Geheimnisse lüften. Eine nette Spielerei zur Steigerung der Spannung stellt sein Countup allemal dar.
Generell darf die Suspense hier lobend erwähnt werden. Über den gesamten Plot verteilt sorgen immer neue Wendungen und Hinweise auf dem Weg zur Wahrheit – oder eben von ihr weg – dafür, dass der Spannungsbogen über 120 Minuten hinweg ein starkes Niveau hält. Das clevere Drehbuch aus der Feder von Holger Joos sorgt für ein kurzweiliges Krimi-Vergnügen. Für einen «Tatort» recht unkonventionell mutet die Anlegung der Geschichte auf zwei Zeitebenen an: zum einen der Rückblick Leitmayrs durch die Aussagen im Untersuchungsausschuss, zum anderen die daran anschließenden Geschehnisse.
Von pointiert eingesetzter Musik untermalt und verstärkt, verfügen die Schlüsselszenen über eine besondere Dramatik. An einigen Stellen erreicht der Film eine besondere Intensität. Das gilt sowohl auf emotionaler Ebene, als auch in Form der Darstellung physischen Schmerzes, der in diesem Tatort auffällig häufig gezeigt.
Das Erste zeigt «Tatort: Der Tod ist die ganze Wahrheit» am Sonntag, 30. April 2017, wie üblich um 20.15 Uhr.
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