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Die Schwarze Baronin

Am Sonntagabend findet im französischen Wahlkampf eine erste Entscheidung statt. Bisher war er so verworren, spannend und pervers, dass er den idealen Stoff für eine Polit-Serie böte.

Wäre dieser Wahlkampf eine Serie, sie wäre ein sofortiger Hit. Die Fallhöhe: immens. Mit der Gefahr von rechts (Isabelle Huppert als Marine le Pen) geht es um nicht weniger als das Schicksal eines ganzen Kontinents, das im Extremfall wieder in die alten Zeiten bestialischer Kriege zurückführt.

Der Plot: voll unvorhergesehener Wendungen. Der eigentlich sichere Sieger (ein sündhaft teure Anzüge tragender Dany Boon als Francois Fillon) stolpert – hier die Gelegenheit für jede Menge Comic Relief – über obskur komische Affären und führt seine fassungslose Partei sehenden Auges in die vielleicht größte Niederlage ihrer Geschichte.

Der Held: Emmanuel Macron (heißester Anwärter auf die Rolle: Bradley Cooper), gutaussehend, jungenhaft, schneidig, einfühlsam. Seine Biographie taugt für ein eigenes Spinoff: Aufgewachsen in einer Kleinstadt im Norden Frankreichs, die Jahrzehnte ältere ehemalige Französischlehrerin geheiratet, als Banker zu großem Vermögen gekommen und mit Ende 30 schon ein halbes Dutzend Stiefenkel. Sein gewinnendster Aspekt: Er kommt mit allen klar, stimmt mit fast allen irgendwo überein und hasst – wie alle anderen – die Rechtsextreme. Ein Mann für alle Zielgruppen.

Und dann: der entscheidende Wendepunkt, der kurz vor Schluss noch einmal alles auf den Kopf stellt: Der gutväterliche alte Kommunist Jean-Luc Mélenchon (radikale Besetzungsempfehlung: Al Pacino) mischt den Wahlkampf in den letzten Minuten auf, bezwingt die rechtsextreme Antagonistin und ringt vielleicht auch noch den reichen jungen Strahlemann, unseren Helden Macron, nieder. Arbeitstitel für dieses Szenario: Bella Ciao – Die Rache der Arbeiterklasse.

Immerhin: Das alles wäre dann eine Serie gewesen – und nicht die nervenaufreibende Realität, die man seit Ende letzten Jahres durchmachen musste. Zur Einstimmung in das hoffentlich ausbleibende Desaster am Sonntagabend (und das möglicherweise darauf folgende zwei Wochen später) aber noch ein Polit-Serien-Tipp aus dem Nachbarland: «Baron Noir», ein Stoff um einen jener Députés-maires, jene französischen Bürgermeister, die ihren Wahlkreis zugleich in der Nationalversammlung vertreten.

Der titelgebende Baron Noir ist Philippe Rickwaert, ein hohes Tier in der sozialistischen Partei, der eifrig und, falls nötig, auch mit illegalen Methoden dabei mithilft, einen Sozialisten zum Präsidenten zu machen – der ihn dann bitter enttäuscht. Wer jetzt an die Premierenfolge von «House of Cards» denkt, ist auf der richtigen Fährte. «Baron Noir» ist ähnlich kompromisslos, komplex, intelligent, spannend und mitreißend wie das US-Pendant – und Kad Merad ein ähnlich kantiger, talentierter Hauptdarsteller wie Kevin Spacey. Im Gegensatz zu Francis Underwood hat Philippe Rickwaert neben all seinem Intrigieren aber auch positive, liebenswerte Seiten.

Lieber noch ihn im Élysée-Palast als Marine le Pen. Nicht dass die Realität noch schrecklicher wird als zynische Fernsehserien sie sich ausdenken könnten.
21.04.2017 12:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/92614
Julian Miller

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Tags

360 Grad Baron Noir House of Cards

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