Mit Lug und Trug das Leben verschönert: «Es war einmal in Deutschland ...» erzählt von gerissenen jüdischen Handelsvertretern in den unmittelbaren Nachkriegsjahren.
Filmfacts «Es war einmal in Deutschland ...»
- Regie: Sam Garbarski
- Drehbuch: Michel Bergmann und Sam Garbarski; nach Romanvorlagen Michel Bergmanns
- Produktion: Roshanak Behesht Nedjad, Sébastien Delloye, Jani Thiltges
- Darsteller: Moritz Bleibtreu, Antje Traue, Tim Seyfi, Mark Ivanir, Anatole Taubman, Pál Mácsai, Vaclav Jakoubek
- Kamera: Virginie Saint-Martin
- Schnitt und Musik: Peter R. Adam
- Laufzeit: 101 Min
- FSK: ab 12 Jahren
Es ist ein bedauerlicher Umstand, dass die zahlreichen Holocaustdramen, die in den vergangenen Jahrzehnten über die Leinwände flimmerten, eines nicht vollbracht haben: Den jüdischen Witz zu zelebrieren, den die westeuropäische Kultur (und vor allem Deutschlands Film-, Theater- und Literaturlandschaft) weitestgehend verloren haben. Denn so wertvoll Produktionen wie «Son of Saul», die das durch das NS-Regime erzeugte Leid einfangen, auch sein mögen: Es würde so gut zum bitter-selbstironischen und philosophischen Humor, der im jüdischen Schaffen so allgegenwärtig ist, passen, würde man ihn als Waffe gegen das dunkelste Kapitel der europäischen Geschichte einsetzen. Die Exempel für solche Filme sind jedoch rar gesät – selbst der italienische Klassiker «Das Leben ist schön», der Witz und Tragik vereint, hat eher eine eigene, zwiegespaltene Tonalität erfunden, statt sich vollauf auf den jüdischen Witz einzulassen. Der oftmals zu Unrecht übersehene «Zug des Lebens», über ein jüdisches Dorf, das sich mittels eines gefälschten Deportationszuges in Sicherheit zu bringen versucht, steht somit nahezu allein auf weiter Flur.
Der mit 22 Jahren nach Belgien gezogene, 1948 geborene Münchener Sam Garbarski präsentiert mit «Es war einmal in Deutschland …» nun jedoch einen weiteren die Holocaustschrecken thematisierenden Film, der diesen Hintergrund nutzt, um vom jüdischen Witz zu erzählen. Wobei es ungerecht ist, die lose Adaption der Michel-Bergmann-Romante «Die Teilacher» und «Machloikes» auf ihre Rückblenden zu beschränken, die zu Zeiten der NS-Herrschaft spielen. Der eigentliche Fokus liegt auf den unmittelbaren Jahren danach:
Der «Irina Palm»-Regisseur erzählt vom gewieften Überlebenskünstler David Bermann (Moritz Bleibtreu), der zu den Wenigen gehört, die das KZ Sachsenhausen überlebt haben und sich daher in einem emotionalen Niemandsland befinden. Froh, noch zu leben, doch voller Schuldgefühle gegenüber jenen, denen es nicht so erging. Erfüllt von Tatendrang, ein neues Leben zu beginnen, aber so aufgekratzt, wütend und traumatisiert, dies nicht mit vollem Eifer durchziehen zu können. Im Falle von Bermann kommt erschwerend hinzu, dass die US-Besatzer ihn in die Mangel nehmen: Von der kühlen sowie hartnäckigen CIA-Agentin Sarah Simon (Antje Traue) wird er verhört, weil er den NS-Akten zufolge im KZ eine Sonderstellung genoss. War er etwa ein Kollaborateur?
Parallel dazu zeigt es Bermann den Deutschen so richtig heim: Gemeinsam mit den weiteren Holocaust-Überlebenden Fajnbrot (Tim Seyfi), Fränkel (Anatole Taubman), Szoros (Pál Mácsai), Verständig (Hans Löw) und Krautberg (Václav Jakoubek) verkauft er als Handlungsreisender vollkommen überteuerte Stoffwaren an deutsche Hausfrauen. Das so gewonnene Geld soll als Kapital für eine Überfahrt nach Amerika und eine dort folgende Existenzgründung dienen. Aber bis genug Geld zusammenkommt, verstreicht mehr Zeit, als den schelmischen Vertretern lieb ist. Und so ein erzwungenes Leben im Nachkriegsdeutschland reißt leider auch manch eine kaum verheilte Wunde auf …
Während Bleibtreu seine Rolle mit einem genüsslich-betrügerischen Charisma ausfüllt, der leicht an George Clooneys Danny Ocean erinnert, und der «Lommbock»-Darsteller selbst die dreisteste Lüge mit einem wonnig-verschmitzten Lächeln verkauft, bleiben die meisten weiteren Darsteller unscheinbar. Ihre mit eingestreutem Jiddisch verfeinerten Dialoge haben zwar sowohl in Streitgesprächen als auch beim Leidensaustausch sowie in amüsierten Unterhaltungen einen überzeugenden Charme, doch die Persönlichkeiten ihrer Rollen können Bleibtreus Vertreterkollegen nur bruchstückhaft vermitteln.
Daher gerät «Es war einmal in Deutschland …» immer dann ins Stocken, sobald der zentrale Plot für Nebenschauplätze angehalten wird. Die Erklärung, wie Verständig ein Auge verlor, ist ein besonders zähes Beispiel dafür, wie die zuvor bereits beiläufig vermittelten Leidensgeschichten dieser Figurentruppe mittels expliziter Ausführungen dem Film etwas von seinem Schneid kosten. Deutlich stärker sind die diversen Verkaufsgespräche der Teilacher, in denen das gesamte Ensemble nicht nur mit gerissenen Taktiken unterhält, sondern im Subtext durchklingen lässt, wie sehr diese Figuren vom Schatten des Holocausts in Mitleidenschaft gezogen werden.
Auch Bermanns Verhöre zählen zu den Glanzmomenten dieser Tragikomödie: «Vier gegen die Bank»-Ermittlerin Antje Traue überzeugt als allmählich auftauende, eingangs Bermann strikt verurteilende Agentin. Und wie Bleibtreus Bermann im Zwiegespräch mit ihr zwischen Prahlerei, Schuldgefühlen, Casanova-Attitüde und Münchhausen-Syndrom wankt, ist äußerst effektiv. Dadurch, dass konstant an der Charakterisierung dieser beiden Figuren gefeilt wird, funktioniert es hier auch deutlich besser als bei den restlichen Figuren, wenn im letzten Akt die tragische Zwischennote Überhand gewinnt. Vor der aufwändigen, etwas bühnenhaft ausstaffierten Kulisse des zerrütteten Frankfurt am Main der Besatzerjahre und untermalt mit feinfühliger, dennoch Esprit aufweisender Musik wandelt sich diese tragikomische Erzählung daher trotz mancher dramaturgischer Hänger zu einem echten Geheimtipp für alle Freunde des bitterkomischen Witzes.
«Es war einmal in Deutschland» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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