Viel los in Münster: Professor Boernes Haarpracht lichtet sich, Kommissar Thiel wird von einer Teenagerin mit der Behauptung konfrontiert, sie sei seine Tochter. Ein Enthüllungsjournalist wurde ermordet, ein IT-Experte nahm sich augenscheinlich selbst das Leben.
Cast und Crew
- Regie: Buddy Giovinazzo
- Darsteller: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Janina Fautz, Friederike Kempter, ChrisTine Urspruch, Mechthild Großmann, Jeanette Hain, Christian Maria Goebel, André M. Hennicke, Michael Schenk
- Drehbuch: Stefan Canz, Jan Hinter
- Schnitt: Bernd Schriever
- Musik: Günther Illi
- Produktionsfirma: Bavaria Fernsehproduktion
Wenn in Münster gemordet wird, dann wächst das «Tatort»-Publikum weit über die wöchentliche Stammzuschauerschaft hinaus. Und die Tendenz ist bei den humorvollen Krimis aus Nordrhein-Westfalen sogar weiterhin steigend. Beim neusten Einsatz von Professor Boerne und Kommissar Thiel wird sich daher zeigen, wer kürzlich auf den Zug aufgesprungen ist und wer auch mit den ersten Fällen des ungewöhnlichen Duos vertraut ist. Denn mit dem aufgeweckten Blauschopf Leila Wagner (Janina Fautz) taucht im neusten Münsteraner Neunzigminüter eine Jugendliche auf, die behauptet, Thiels Tochter zu sein.
Teile des Publikums werden ungläubig den Kopf schütteln, kennen sie Thiel doch als ewig grantigen Dauerjunggesellen, der seine Zeit eher damit verbringt, seine platonische Hassliebe zu Boerne auszuleben, statt körperlichen Gelüsten nachzugehen. Andere «Tatort»-Zuschauer werden sich hingegen leicht ertappt fühlen: "Ach ja, da war doch was …" Vor einigen Jahren wurde das Vorhandensein von Thiels Liebesleben in der Krimireihe zumindest angerissen – womit Leilas Behauptungen prompt glaubwürdiger wirken.
Während das Publikum sowie Thiel darüber rätseln, ob der Kommissar vor über einem Jahrzehnt einen folgenreichen One-Night-Stand hatte oder doch einen Bären aufgebunden bekommt, sorgt Boerne gewohntermaßen für den typischen Witz dieser «Tatort»-Reihe: Jan Josef Liefers' Paraderolle zerbricht sich aus zugleich zwei Gründen den Kopf. So sucht der exzentrische, übertrieben selbstbewusste Professor ein neues Hobby, seit sein Golfplatz nicht mehr exklusiv genug ist. Außerdem sucht er dringend nach einer Lösung für sein dringendes kosmetisches Problem: Ihm wird nachgesagt, dass sich auf seinem Hinterkopf allmählich die Haarpracht lichtet.
Und so fährt der «Tatort» vorerst zweigleisig. Prahl und Fautz gönnen sich amüsantes Geplänkel als potentieller Vater und vorlautes, gleichwohl sympathisches Mädel. Die Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter treffen in den gemeinsamen Szenen von Thiel und Wagner einen reizvoll-unsteten Tonfall zwischen ehrlichem Interesse füreinander, anmaßenden Seitenhieben und peinliche, Berührtsein. Liefers hingegen sorgt für kauzigen Spaß, indem sich Boerne aus reiner Selbstliebe an die eiskalte Frau Dr. Freya Freitag (effektiv: Jeannette Hain) ranschmeißt, um seinen Jagdschein zu machen und in ihre Forschungsgruppe für ein Haarwuchsmittel zu gelangen.
Eher beiläufig setzen sich diese Handlungselemente mit dem Kriminalplot zusammen: . Ein Enthüllungsjournalist wurde ermordet, ein IT-Experte nahm sich augenscheinlich selbst das Leben – doch natürlich zeigt sich alsbald, dass auch er sehr wohl Opfer eines Mordes ist. Beide recherchierten zuvor in einer prekären Sache, die einem Münsteraner Futtermittelhersteller nicht gefallen dürfte. Was Cantz und Hinter dramaturgisch daraus machen, ist solides Münster-Mittelmaß. Was das Autorenduo auch dieses Mal wieder beachtlich vorführt: Sie vermögen es, einen Neunzigminüter ausgefranzt zu beginnen und sukzessive aus den diversen Handlungsfäden einen Strang zu formen. Das typische «Tatort»-Problem, dass sich Subplots als nichtige Nebenschauplätze erweisen, ist ihnen nahezu fremd. Gleichwohl ist «Fangschuss» eine der Münster-Folgen, in denen die Spannungskurve eher beschaulich ist – bei aller Kauzigkeit und der eher gemächlichen Ermittlungsarbeit kommt halt kein alles vorantreibendes Momentum auf. Jedoch liegt in Münster seit einigen Jahren eh der Fokus mehr darauf, jeder Folge ein alles einendes Thema zu verleihen – dieses Mal geht es um männliche Eitelkeit, die sich entweder im Vater-Tochter-Umgang oder in der Jagd als Symbol der Vitalität (und somit als Haarprachtersatz) zeigt.
Die thematische Einigkeit der «Fangschuss»-Themen ist passabel, aber zuweilen behelfsmäßig organisiert und reicht längst nicht an die doppelbödige Brillanz heran,
die etwa ein «Erkläre Chimäre» aufzuweisen hat. Dafür erschafft Regisseur Buddy Giovinazzo, der nach über einem Jahrzehnt nach Münster zurückkehrt, eine kernige Optik, bei der (passend zum Jagdsubplot) die Erdtöne überwiegen, ohne dabei dem "grim and gritty"-Wahn zu verfallen. Visuelle Lichtblicke lockern die Ästhetik auf, Leila dient mit ihrem Knallblau als wandelnder Farbtupfer – und zieht nicht nur optisch die Aufmerksamkeit auf sich: Fautz ist eine erfrischende Präsenz in dieser «Tatort»-Reihe, die das Beste aus ihrem Material herausholt und so die gesamte Folge aufwertet.
Fazit: Die Dialoge sitzen, der in den besten Münster-Folgen wartende Hintersinn bleibt dieses Mal dagegen aus. Übrig bleibt somit ein pointiert-amüsanter Krimi, bei dem die Figuren deutlich wichtiger sind als die Handlung.
«Tatort: Fangschuss» ist am 2. April 2017 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel