Serien-Revivals verändern die dramaturgischen Paradigmen: Ein Serienfinale muss kein Ende der Geschichte mehr sein.
Eine Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, liest man in Aristoteles‘ dramaturgischem Standardwerk „Poetik“. Aber nicht zwingend in dieser Reihenfolge, ergänzte rund zwei Jahrtausende später der französische Regisseur, Autor und Journalist Jean-Luc Godard.
Vielleicht ist in Zeiten der permanenten Serien-Revivals eine weitere Revision von Aristoteles‘ Grundthese notwendig: Nämlich dass ein Ende nicht zwingend ein tatsächlich endgültiger Abschluss sein muss.
«Gilmore Girls». «Full House». «Twin Peaks». «Arrested Development». Sie alle und viele weitere kehr(t)en Jahre nach ihrer Absetzung oder Einstellung wieder, lange nachdem ihre Geschichten ein (meist) dramaturgisch stimmiges Ende gefunden hatten, vulgo: auserzählt waren. In vielen Fällen sind über die ersten Revival-Staffeln hinaus weitere geplant. Serien sind nicht mehr nur zeitlich eng begrenzte Lebensabschnittsbegleiter ihrer Zuschauer: Ihre Figuren und ihre Spielorte leben nach dem ursprünglichen Finale weiter, und noch Jahrzehnte später können die Zuschauer von damals zurück ins Leben der Charaktere treten, das sich in der Zwischenzeit, gleichsam wie ihr eigenes, verändert hat.
In Stars Hollow steht immer noch der Gazebo unweit von Lukes Diner, und auch wenn Rory in ihrem (erzwungenen) Millenial-Lebensstil quer durchs Land tuckern muss, kehrt sie immer wieder dorthin zurück. Die Wälder von Twin Peaks sind immer noch vom
Garmonbozia der Bewohner des Ortes durchzogen, wohin uns David Lynch über zwei Jahrzehnte nach unserem letzten Blick in die
Black Lodge in diesem Sommer zurückführen wird. Und Michael Bluth wird seine nervige, exzentrische, pathologisch verlogene Familie nie unter Kontrolle bringen, ganz egal, wie oft er sich nach Arizona abzusetzen versucht.
Noch viele andere Serien hätten freilich das Potential zu gelungenen, launigen, interessanten Revivals: Die ehemaligen Strafgefangenen Jerry Seinfeld, George Costanza, Elaine Marie Benes und Cosmo Kramer und ihre exzentrischen Lebensläufe im New York des neuen Jahrtausends. Frasier Cranes neues Leben in Chicago (oder doch San Francisco?). Und in zwanzig Jahren: Neues von Gloria Pritchett und Hayley Dunphy.
Serien müssen nicht mehr enden. Ein Serienfinale ist nicht selten nur noch ein Abschied auf Zeit. Die Welt der Charaktere existiert weiterhin und vielleicht wird der Zuschauer einige Jahre (oder Jahrzehnte) später wieder an ihr teilhaben können – unter veränderten Bedingungen natürlich.
Die ehemals stabile Welt der Serie hat hinsichtlich der Unveränderbarkeit ihrer Prämissen und Figurenkonstellation (das vielbeschriebene ominöse „Gesetz der Serie“) in Zeiten von «Breaking Bad» freilich an Stabilität im Sinne einer inhaltlichen Unveränderbarkeit eingebüßt. Im Sinne einer zwar unterbrochenen, aber sich teilweise über Jahrzehnte erstreckenden Laufzeit, ist die Serienwelt im Leben der Zuschauer dagegen stabiler denn je.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel