Außen hui, innen lau: Die Realverfilmung des durch den Kultanime unsterblich gewordenen Mangas «Ghost in the Shell» überzeugt ästhetisch, doch in dieser Hülle wartet nur ein träger Geist.
Filmfacts «Ghost in the Shell»
- Regie: Rupert Sanders
- Produktion: Avi Arad, Ari Arad, Steven Paul, Michael Costigan
- Drehbuch: Jamie Moss, William Wheeler, Ehren Kruger; basierend auf dem Manga von Masamune Shirow
- Darsteller: Scarlett Johansson, Michael Pitt, Pilou Asbæk, Chin Han, Juliette Binoche
- Musik: Clint Mansell, Lorne Balfe
- Kamera: Jess Hall
- Schnitt: Neil Smith, Billy Rich
- Laufzeit: 106 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Schönheitsoperationen waren das große, ethische Diskussionsthema der späten 90er- und frühen 2000er-Jahre. Aber das ist längst passé. Das menschliche Streben zur Selbstoptimierung mündet derzeit viel mehr in passable Verkaufszahlen für Fitnessarmbänder und weitere Selbstanalysetools. In der fernen Zukunft, die «Ghost in the Shell» skizziert, sieht wieder alles ganz anders aus: Längst ist es Usus geworden, dass sich Menschen durch Cybertechnologie optimieren. Die Beweggründe sind ganz verschieden – für manche sind die mechanischen Körperteile und Organe notgedrungen implantierte Prothesen, die prompt mit einigen Boni daherkommen. Manche Personen hingegen greifen ohne weitere Not auf diese technologischen Möglichkeiten zurück, um effizienter zu werden, besser zu sein, sich enger mit der digitalen Welt zu vernetzen.
In dieser Cyberpunk-Welt, dessen pulsierenden Mittelpunkt Tokyo der Produktionsdesigner Jan Roelfs («Gattaca») ganz «Blade Runner»-haft als stylischen Clash aus verwinkelten Hochhausschluchten und überdimensionalen Neon-Elementen darstellt, wird zu Beginn der Filmhandlung ein Schritt nach vorne gewagt: Erstmals wird ein menschlicher Verstand in eine komplett künstliche Hülle verpflanzt. Die synthetische Major (Scarlett Johansson) wurde, wie ihr ihre Schöpferin (Juliette Binoche) einfühlsam erläutert, bei einem Unfall schwer verletzt und hat nur in dieser neuen, nie zuvor gewagten Form die Chance, weiter zu leben. Ihr Dasein fristet die zielstrebige Frau alsbald als Polizeioffizierin, die mit ihren cybertechnischen Tricks rasch zur Spezialistin für knifflige Fälle wird – insbesondere für Cyberterrorismus und ähnliche Vergehen.
Als sie und ihr Partner Batou (Pilou Asbæk) der Verschwörung gegen eine der führenden Robotikfirmen nachgehen, rutscht Major einen verwirrenden Kaninchenbau hinab, der sie Fragen über ihre Herkunft, ihre vermeintlichen Fehlfunktionen und die Grenzen zwischen Künstlichkeit und Menschlichkeit stellen lässt. Dies muss Major allerdings weitestgehend allein bewerkstelligen. Denn das glattgeschliffene Drehbuch lässt der Vielzahl an Themen, die sowohl der grundlegende Manga als auch der kultige Anime angerissen haben, kaum Raum, sich zu entfalten. Das Autorentrio Jamie Moss, William Wheeler & Ehren Kruger legt Major und ihrem Umfeld mehrmals Schlagworte in den Mund. Einen tiefschürfenden Denkprozess vergönnen sie den Figuren dabei aber ebenso wenig, wie sie es dem Publikum zutrauen, sich in zwiespältigen Szenen selbst ein Urteil zu bilden.
Am ehesten schimmert das thematische Potential dieses Sci-Fi-Konzepts in einer kleinen Handvoll Szenen durch, in denen der futuristische Krimiplot ruht, um Major bei ihrer Selbstfindung zu zeigen. Über das Casting Scarlett Johanssons wurde im Vorfeld heftig diskutiert, und selbst wenn ihr kaukasisches und somit von der Herkunft der Filmvorlage entrücktes Äußeres sogar als Plotpunkt genutzt wird, lässt sich weiterhin hitzig darüber debattieren. Dennoch muss Johansson eins zugeschrieben werden: Wenn Major durch das Nachtleben Tokyos tingelt, um herauszufinden, wie sich Menschsein anfühlt, sie sich mit ihrer Vergangenheit vor ihrer Cyborgwerdung konfrontiert sieht oder sie einfach nur ins Leere starrt, fängt die Mimin sehr gut die Zerrissenheit ihrer Rolle ein.
Johansson agiert mechanisch, jedoch neugierig, mit verloren-empathischen Blick und distanziert-kühler Mimik – die "weder Mensch, noch Maschine"-Gefühlslage trifft sie hervorragend. Umso bedauerlicher, dass das Dialogbuch dieser Darbietung nicht gerecht wird und zudem der erzählerische Schwerpunkt auf dem routiniert heruntergespulten Kriminalkomplott liegt. Darunter hat vor allem das restliche Ensemble zu leiden, das keinerlei bleibenden Eindruck hinterlässt.
Obwohl diese «Ghost in the Shell»-Variante gesteigerten Wert auf Action legt und die Computereffekte nahezu durchweg überzeugend sind, bleibt die 110-Millionen-Dollar-Produktion allerdings knöchern. Von Majors erstem Einsatz abgesehen, den Regisseur Rupert Sanders («Snow White & the Huntsman») mit dem Anime als direkte Vorlage recht schwungvoll visualisiert, bleiben die Actionsequenzen zäh – ohne innere Dramaturgie, aber mit Figuren, die sich regelmäßig in eine trailertaugliche Pose schmeißen.
Die selbstredend mit Elektroeinflüssen durchzogene Instrumentalmusik von Clint Mansell und Lorne Balfe verleiht dem Ganzen zumindest eine dichte Atmosphäre, so dass der «Ghost in the Shell»-Realfilm trotz seines Mangels an Geist und Dynamik immerhin eine dem Look angemessene Klangästhetik und Stimmung aufweist.
Fazit: Bildgewaltig und klangvoll, aber Spannung und Intellekt bleiben auf der Strecke.
«Ghost in the Shell» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.
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31.03.2017 21:41 Uhr 1