Die glorreichen 6: Animationsfilme für Erwachsene (Teil I)
Zum Auftakt unserer Reihe über erwachsenenorientierte Animationsfilme gehen wir es behutsam an. Der Stop-Motion-Trickfilm «Mary & Max – oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet?» ist für Teenager freigegeben, visiert aber klar ein älteres, reiferes Publikum an.
Die Handlung
Filmfacts «Mary & Max – oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet?»
Regie und Drehbuch: Adam Elliot
Produktion: Melanie Coombs
Musik: Dale Cornelius
Kamera: Gerald Thompson
Schnitt: Bill Murphy
Veröffentlichungsjahr: 2009
Laufzeit: 90 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Es ist das Jahr 1976: Die achtjährige Mary Daisy Dinkle führt ein trostloses Leben in einem Vorort der australischen Großstadt Melbourne. Ihre kleptomanische Mutter ist ebenso wenig für sie da wie ihr Vater, der mehr Zeit in die Präparierung toter Vögel steckt als in Marys Erziehung. Als sie von ihrem Großvater eine abstruse Erklärung dafür erhält, wo die Babys herkommen, beschließt sie, einen Amerikaner anzuschreiben und zu fragen, wie dort der Nachwuchs entsteht. Durch reinen Zufall wählt sie aus einem Telefonbuch Max Jerry Horowitz aus, einen übergewichtigen, 44-jährigen Asperger-Patienten aus New York.
Es entsteht eine für Außenstehende humorige, mit kauzigen Weltbeobachtungen bespickte Brieffreundschaft, die beiden Seiten die Welt bedeutet – und die aufgrund der Eigenheiten von Mary und Max auch herzzerreißende Pfade bestreitet. Denn so eine Freundschaft auf Distanz ist bei Missverständnissen sehr anfällig für unnötig lang gehegten Gram …
Der Verantwortliche
Der Australier Adam Benjamin Elliot wollte ursprünglich Tierarzt werden, entschied sich dann jedoch angesichts seines zu niedrigen Notenschnitts letztlich dafür, eine Karriere im kreativen Bereich zu verfolgen. Nach Anfängen im Schauspielfach fand er zu seiner Kindheitsliebe Animation zurück und produzierte 1996 im Rahmen seines Studiums auf dem Victorian College of the Arts einen Claymation-Kurzfilm namens «Uncle». Der minimalistische Film, der von seinem Onkel inspiriert wurde, zog zwei Quasi-Fortsetzungen nach sich: «Cousin» und «Brother», wobei letzterer in Wahrheit von Adam Elliot selber handelt. 2003 kam mit «Harvie Krumpet» ein tragikomischer, nachdenklicher und teils makabrer, 23-minütiger Kurzfilm heraus, der Elliot einen Oscar einbrachte. Den Tonfall dieses Films behielt Elliot für seinen ersten Langfilm bei.
Die 6 glorreichen Aspekte von «Mary & Max – oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet?»
Als Film über zwei Außenseiter, die aus verschiedensten Gründen von ihren emotionalen Bedürfnissen isoliert leben und sich in Distanz zur Alltäglichkeit befinden, ist «Mary & Max» ganz stimmig ein geistreicher, emotional komplexer Film, der auf Pathos verzichtet. Die Irrungen, die die Brieffreundschaften der beiden Titelfiguren durchmacht und welche Schicksalsschläge sie einander in ihren Texten zusammenfassen, sind bitter. Doch dadurch, dass sie zumeist nur nacherzählt werden, statt unmittelbar gezeigt, und sowohl Mary als auch Max eine kauzige Art haben, von sich zu berichten, wird diese Bitterkeit versüßt.
Diese lebensnahe, tragikomische Note wird aber, ganz treu dem Asperger aufweisenden Max und der durch seelischen Missbrauch geschundenen Mary, nicht durch überschwängliche Höhen und Tiefen gezeigt, sondern spielt sich auf distanzierte, gedämpfte Art und Weise ab. Elliot versetzt sein Publikum in die Weltsicht seiner Protagonisten, lässt jedoch ein Fenster zu unserer vermeintlich "normalen" Perspektive offen, um so liebevollen Witz über die von Mary und Max unbemerkte Exzentrik zu gewinnen und sie so noch stärker zu ehren.
Die charmante Kauzigkeit der mittels schlichter Tricktechnik zum Leben erweckten und in einem eher simplen Design gehaltenen Figuren wird durch spritzig-irrsinnige Nebensächlichkeiten gestützt – seien es schwarzhumorige oder gar makabre Randdetails im Bildhintergrund oder die kleinen Cut-Away-Gags, die Marys und Max' kuriosen Vorstellungen verbildlichen. Diese Momente des Schmunzelns nutzt der Regisseur und Autor sehr gekonnt und zielsicher, um die Stimmung aufrechtzuhalten, denn die Beziehung zwischen Mary und Max mündet in einige Gänsehautszenen, die sich in die Erinnerung brennen. So wird nach «Mary und Max» wohl kaum wer den Evergreen "Que Sera, Sera (Whatever Will Be, Will Be)" weiterhin auf gewohnte Art deuten können.
Der rührend-nachdenkliche Film ist vor dem Hintergrund all dessen mit seiner gedämpften Farbpalette eine effektive Parabel darauf, dass selbst die kleinsten Farbtupfer und Freudenmomente genügen, um zu erkennen: Durchhalten lohnt sich.
«Mary & Max – oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet?» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich sowie via maxdome, Amazon und Videobuster abrufbar.
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