Zwei Teenager fühlen sich zueinander hingezogen, wollen dies aber nicht wahrhaben: André Téchiné erschafft mit «Mit siebzehn» eine Romanze, die nie so richtig Fuß fassen will.
Filmfacts «Mit siebzehn»
- Regie: André Techiné
- Drehbuch: Céline Sciamma, André Techiné
- Produktion: Olivier Delbosc, Marc Missonnier
- Darsteller: Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Corentin Fila, Alexis Loret, Jean Fornerod, Mama Prassinos, Jean Corso
- Kamera: Julien Hirsch
- Schnitt: Albertine Lastera
- Musik: Alexis Rault
- FSK: ab 12 Jahren
- Laufzeit: 116 Min
Der französische Regisseur André Téchiné machte sich unter Cineasten vor allem mit seinem 90er-Geheimtipp «Wilde Herzen» einen Namen – und wird insbesondere für den beobachtenden, quasi dokumentarischen Stil geschätzt, der sich so oft durch seine Regiearbeiten zieht. Auch «Mit siebzehn» mutet wie eine dieser Reportagen an, die im deutschen Fernsehkosmos vornehmlich am fortgeschrittenen Abend in den Dritten oder bei 3sat zu sehen sind. Eine Handkamera verfolgt einen Protagonisten dabei, wie er seinen Alltag lebt, und sporadisch zeichnet sich in diesen Momentaufnahmen eine Lebens- oder Charakterwende ab. Darauf wird sich jedoch nicht fokussiert, stattdessen werden auch stur Belanglosigkeiten mit eingefangen, um ein umfassendes Bild der porträtierten Person zu skizzieren.
Diesen beiläufigen, zerfasernden narrativen Stil perfektionierte im fiktionalen Kino vor wenigen Jahren Richard Linklater mit seinem Jugenddrama «Boyhood». Und auch Barry Jenkins' mit dem Oscar gekrönte Kleinproduktion «Moonlight» hat Spurenelemente dieser Erzählhaltung aufzuweisen – nur dass Jenskins seine Versatzstücke poetisch verformt, während Linklater eine Zeitkapsel erschafft.
Der Vergleich mit zwei solchen Spitzenbeispielen mag «Mit siebzehn» gegenüber nicht gänzlich fair sein. Jedoch unterstreichen diese Exempel, wie sehr bewusst grob geschliffene Coming-of-Age-Geschichten fesseln können. Das Geheimnis liegt darin, dass selbst Erzählungen, die sich auf Auslassungen sowie ausgefranste Handlungsfäden verlassen, im Idealfall nicht völlig beliebig präsentiert werden und sich mit ausreichender Distanz sehr wohl ein stimmiges Bild ergibt.
Téchiné und seine Cutterin Albertine Lastera indes nehmen die Geschichte einer unter schroffen Vorzeichen zärtlich aufkeimenden Beziehung – und zerren sie einmal über den Schulhof. Sinnliche Augenblicke weisen hier keinerlei erzählerischen Rhythmus auf, Streitgespräche enden abrupt, metaphorische Subplots werden vorbereitet, nicht jedoch stringent verfolgt. In Maßen weiß solch ein Vorgehen für Authentizität zu sorgen, in kühner Konsequenz weiß es zu beeindrucken. Téchinés «Mit siebzehn» landet dagegen im Nirgendwo. Der jegliche Erzähldynamik zerstörende Schnitt sorgt für eine klare Distanz zwischen Publikum und den handelnden Figuren, andererseits telegrafieren Téchiné und Co-Autorin Céline Sciamma Storyelemente so weit vorab und strukturieren den grundlegenden Verlauf der Haupthandlung derart konventionell, dass es nicht zu einer kritischen Dekonstruktion genügt.
Und so stapft der 17-Jährige Damien (Kacey Mottet Klein) in den französischen Pyrenäen durch ein Schuljahr, das sein Leben verändert, jedoch weder große Emotionen wachzurütteln weiß, noch das Gezeigte anspruchsvoll kommentiert: Damien und Mitschüler Thomas (Corentin Fila) suchen unentwegt Streit. Denn beide fühlen sich einander angezogen, wollen sich dies aber nicht eingestehen. Durch die Kameraführung, die Kleins und Filas Blickaustausch prägnant einfängt, weiß das Publikum zuerst, was Sache ist, dann kommt auch Damiens aufgeschlossene Mutter, Landärztin Marianne (Sandrine Kiberlain), dahinter. Bis auch die Teenager den Kampf gegen ihre Gelüste aufgeben, kanalisieren sie ihre Lust, indem sie sich prügeln.
Diesem Liebesersatz durch Gewalt wird Marianne Téchinés Ansatz allerdings nicht gerecht. Durch die Ästhetik einer günstig verwirklichten, zurückhaltenden Reportage wird weder die Wut der Beiden, noch die Widersprüchlichkeit ihres Handelns versinnbildlicht – gleichwohl ist Téchiné zu nah an seinem Figurenpersonal, als dass die inszenatorische Distanz als Sinnbild dafür dienlich wäre, wie sehr die Schüler ihre wahren Sehnsüchte fernhalten. Somit sind es eher die episodenhaften Einblicke in den pyrenäischen Alltag, die haften bleiben – von absurd langen Schulwegen über modernste Landwirtschaftsmethoden hin zu Verlegenheitsdates. Diese Sequenzen sind aber dermaßen rar gesät, dass sie die rund zwei Filmstunden keineswegs zur Genüge mit Leben füllen könnten.
Fazit: Ein Coming-of-Age-Drama über die unterdrückte Liebe zweier Jungs, das derart nüchtern und zugleich dermaßen geradlinig und vorhersagbar ist, dass es weder Hirn noch Herz stimuliert.
«Mit siebzehn» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
17.03.2017 13:42 Uhr 1
Man muß wohl aus Frankreich kommen, um als "Cineastenregisseur" anerkannt zu werden und dann irgendwas "schwules" in den Pyrenäen drehen, damit man bei Quotenmeter als Spartenfilm nen Verriss bekommt.
Leider hat es vor vier Jahren "Ich fühl mich Disco" nicht auf diese Seite hier geschafft.
Der war wohl zu "uncineastisch", weil nur aus Deutschland.
Allerdings hatte er Herz und Hirn.
17.03.2017 16:24 Uhr 2
Den unterschwelligen Vorwurf, wir würden französische "Sparte" der deutschen vorziehen, weise ich angesichts der in den letzten Jahren gestiegenen Schlagzahl an "Nischenkritiken" außerdem zurück.
18.03.2017 14:35 Uhr 3
Man hätte zumindest "Ich fühl mich Disco" als Vergleich erwähnen können.
Das Setup der beiden Filme klingt ja sehr ähnlich, als hätte man "La cage au folles" und "Birdcage"
Ich habe den Eindruck, es ist generell eine Frage des Images.
Der deutsche Film ist sowas wie "der Malocher", der Französische ist die feine Küche.
Sowas klingt ja dann auch im Intro durch.."den Cineasten bekannter Regisseur".
Das sind schon einmal Bonuspunkte im Kopf. Der hat also erst einmal (im Kopf) 80% und muß sich von diesem Startwert nach oben oder unten durcharbeiten.
Der deutsche Film fängt gefühlt immer bei 50% an.
Thema zurück zu "nicht erwähnten Filmen".
Roger Ebert (R.i.p.) hatte eine Sparte, in der er ältere Filme nochmal rezensierte um zu überprüfen ob sich seine Meinung geändert hat bzgl. der Ursprungsrezension, ob er jemanden falsch verrissen hat, bzw er rezensierte Filme, die er irgendwie verpaßt hatte, aber für erwähnenswert hielt.
Fand ich sehr gut, so las man dann aktuelle Kritiken über Filme, die man vor 20 Jahren selber nicht gesehen bzw. verpennt hatte.
Könntet Ihr ja nachbauen.
"Cinema Paradiso" (Philippe Noiret) kennen viele Jüngere bestimmt gar nicht mehr und andere haben ihn vielleicht vergessen.
Wäre ein anfang
Ginge natürlich auch gut für "aktuelle Filme", also Kritikupdate " Ein Jahr später, der Hype ist vorbei": War Ghostbusters2016/La La Land/BladeRunner2017 wirklich so gut/blöd wie ursprünglich rezensiert?