Jünger, aber nicht besser: Das ZDF startet mit «Chaos Queens» eine Reihe an jüngeren Fernsehschmonzetten.
Cast und Crew
- Regie: Thomas Freundner
- Darsteller: Katharina Wackernagel, Inez Bjørg David, Janek Rieke, Roman Knizka, Bernd-Christian Althoff, Eleonore Weisgerber, Maxi Warwel, Christof Wackernagel, Thomas Chemnitz, Petra Zieser
- Drehbuch: Aglef Püschel, Wiebke Jaspersen; nach einem Roman von Kerstin Gier
- Kamera: Benjamin Dernbecher
- Schnitt: Andrea Schriever
- Musik: Helmut Zerlett
- Produktionsfirma: Producers at Work
Sonntagabend ist im Ersten Krimizeit, während das ZDF auf Kitsch setzt. Die Schmonzetten des ZDF stehen dabei unter dem Vorurteil, enorm auf ein älteres Publikum zu setzen: Da verliebt sich die unscheinbare, aber aufrichtige einfache deutsche Frau in den englischen Lord, der Gefahr läuft, von einer garstigen Baronin reingelegt zu werden. All dies vor grasgrünen Hügeln und in laut vorgetragenen Dialogen. So weit jedenfalls das Vorurteil. Wie akkurat dies ist, sei an anderer Stelle geklärt, hier geht es viel mehr darum, dass sich die TV-Schmiede Producers at Work und das ZDF diesen Vorbehalten offensichtlich bewusst sind.
Zwar kann der Mainzer Sender nicht über mangelnde Zuschauer klagen, aber langfristig gedacht, braucht die Wohlfühlmelodramkitschprogrammschiene jüngere Interessenten, will man nicht Gefahr laufen, dass das Stammpublikum eines Tages komplett weggestorben ist. Klingt hart und böse kalkuliert. Doch so ist das Fernsehgeschäft. Und so startet das ZDF unter dem Markennamen «Chaos Queens» eine Schmonzettenreihe, die ihr Kernpublikum eher im Sektor Ü30 sucht als im Segment Ü60 und in der die üblichen Gefühlsmomente weniger im adligen Eskapismus verortet sind, sondern sich etwas näher an der kontemporären Lebensrealität orientieren. Im Auftakt, frei nach Motiven der Romanautorin Kerstin Gier, wird nicht nur über Onlinedating referiert, sondern extra ein Hauch von Metaebene herbeizitiert, um die Protagonistin über den Wert der Trivialunterhaltung debattieren zu lassen. Und ähnlich wie diese Filmbesprechung hat auch «Chaos Queens: Für jede Lösung ein Problem» dezente Spuren der Zynik in seiner DNA:
Im Mittelpunkt der Handlung steht Gerri (Katharina Wackernagel), ihres Zeichens Groschenromanautorin und wehleidige moderne Frau, die es satt hat, dass das Glück stets an ihr vorbeizuzieht. Mit Mitte 30 ist sie trotz heftigster Bemühungen, das Gegenteil zu bewirken, noch immer Single. Zu allem Überfluss lebt ihre beste Freundin Charly (Maxi Warwel) mit ihrer ersehnten Schwangerschaft das Leben vor, von dem Gerri träumt. Als Gerri wegen einer Verlagsübernahme darüber hinaus ihren Job verliert, reißt ihr der Geduldsfaden sowie der Lebenswille: Sie checkt in ein Luxushotel ein und will sich mit Schlaftabletten und Wodka ins Jenseits befördern.
Doch dann kommt alles vollkommen anders als geplant: Die Tabletten verfehlen ihre Wirkung. Und so muss Gerri die Konsequenzen ihres finalen Racheschlags gegen ihr soziales Umfeld erdulden: Die Kitschautorin hat nämlich Freunden sowie Familie, ihrem Vermierter und ihrem (Ex-)Vorgesetzten bittere Abschiedsbriefe geschrieben. Der Scherbenhaufen, den Gerri ihr Leben nennt, ist größer denn je – und nun bleibt ihr nur eine Option: Ihn zusammenzukehren.
Ein Herzkino-Film über Selbstmord. Das klingt auf dem Papier zunächst mutig, und nach Durchlesen der Plotzusammenfassung zumindest so, als ließe sich daraus ausnahmsweise eine Sonntagsschmonzette mit authentischen Gefühlen spinnen – statt der forciert-künstlichen Schmachtattacke, die das ZDF regelmäßig auf diesem Programmplatz vom Stapel lässt. Die Umsetzung dieses ersten «Chaos Queens»-Films jedoch schleift sämtliche Ecken und Kanten ab, so dass schlussendlich ein Film über bleibt, der sich kaum vom gewohnten Material unterscheidet.
Um zur Erklärung etwas weiter auszuholen: Im Laufe des Films wird mehrfach über den Stellenwert von Trivialunterhaltung diskutiert – für einen Auftaktfilm einer neuen Herzkino-Reihe ein relativ smarter Streich. Und grundsätzlich haben die Protagonistin und jene, die für sie Partei ergreifen, recht: Schwere Themen oder komplexe Gefühle aufmunternd und leichtgängig zu erzählen, ist eine eigene Kunst. Und manche Medien-, Literatur- oder Kunstwissenschaftler ziehen aufgeschlossen davor ihren Hut. Das fürs Drehbuch verantwortliche Duo Aglef Püschel und Wiebke Jaspersen schwingt in diesen Dialogpassagen allerdings so aggressiv den Vorschlaghammer, dass aus einer leichtfüßigen Selbstrechtfertigung ein massiver Fall von Um-Respekt-des-Publikums-und-der-zuschauenden-Kritiker-Bettelns wird. Und allem Respekt vor gut gemachtem Kitsch zum Trotz: Diese Art der Erklärung sorgt eher dafür, dass sich der Film selbst demontiert. Denn wie Püschel und Jaspersen selbst ihren Figuren in den Mund legen, so ist es das Leichte, das zur Kunstfertigkeit des Trivialen gehört. Manchmal muss sich also auch eine Schmonzette etwas zurücknehmen.
Und so, wie sich der von Thomas Freundner unauffällig inszenierte Film selber rechtfertigt, so spurtet er auch seiner obligatorischen Bekämpfung der Probleme in Gerris Leben entgegen: Nach ihrem Suizidversuch, der dank Wackernagels Spiel und pointierter Schnittarbeit einen gesunden Galgenhumor-Tonfall trifft, wird Gerri mit Wendungen zum Positiven geradezu überschüttet. Urplötzlich ist etwa der ihr angebotene Job als Gruselgroschenromanautorin, den sie zuvor bockig ablehnte, ein Glückstreffer. Und alle Anvertraute reagieren mit der unschockierten, verständnisvollen Freundlichkeit, als hätte Gerri nicht versucht, ihr Leben zu nehmen, sondern in einem Wutanfall einfach nur allen die Freundschaft gekündigt.
Zu einem gewissen Maße ist das Fehlen an Reibfläche in der zweiten Hälfte dieses Films dem Genre geschuldet. Da fügt es sich auch stimmig, dass nur Gerris Eifersucht auf das Liebesglück ihrer Schwester (solide: Inez Bjørg David) noch bis in den dritten Akt dafür sorgt, dass der Plotmotor weiterläuft. Doch dass Wackernagel aus dem Off ihr ausdrucksstarkes Spiel und die selbsterläuternden, simplen Storymomente unentwegt erklärt, fühlt sich so an, als würden die Filmverantwortlichen ihr Publikum nicht ernst nehmen. Sie überbetonen den Keine-Sorge-es-wird-gut-ausgehen-Faktor so sehr, dass die Gefühlsschwankungen Gerris nicht mehr zu packen wissen.
Hinzu kommen recht schwerfällige Dialogpassagen auch abseits der Momente, in denen Trivialunterhaltung verteidigt wird – und so geschieht es, dass aus einer ungewöhnlichen Herzkino-Prämisse eine weitere, seelenlose Fließbandschmonzette wird. Kitschig-überbordende Gefühle und munter grinsende Filme über Problemsituationen haben ihre Daseinsberechtigung, und ja, sie können auch eine ganz eigene Kunstform darstellen. Der «Chaos Queens»-Auftakt erklärt dies sehr gut. Nur leider lebt er es nicht vor.
«Chaos Queens: Für jede Lösung ein Problem» ist am Sonntag, den 19. März 2017, ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.
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