Das Hamburger Landgericht versucht sich in einem Kompromiss: Das «Neo Magazin Royale»-Schmähgedicht wird größtenteils als zu duldende Satire anerkannt, einige Passagen dagegen als zu verbietende Beleidigung beschrieben.
Kurz kommentiert: Mangelnde Intelligenz gegen kleine Eier
Ungewollt wird das Schmähgedicht aus «Neo Magazin Royale» zum Härtetest für den Sinn (oder Unsinn) hinter dem Tatbestand "Beleidigung": Das Landgericht Hamburg findet, die Behauptung, jemand wäre dumm, stünde als Satire unter dem Schutz der Kunstfreiheit. Die überzogen vorgetragene Theorie, jemand hätte kleine, vertrocknete Hoden, sei hingegen unzumutbar. Man darf einen Mann also als einem Mann unterstellen, nur Stroh im Kopf zu haben, doch sein Hodensack, der ist heilig. Seltsame Maßstäbe, die da angelegt werden.
Kurz kommentiert von Sidney Schering
Die Akte „Böhmermann und Erdogan“ ist um einen Gerichtsbeschluss reicher. Das Landgericht Hamburg tagte am Freitagvormittag, nachdem vergangenes Jahr bereits die Strafermittlungen gegen den Satiriker Jan Böhmermann eingestellt wurden, um über die Zivilklage des türkischen Staatspräsidenten zu entscheiden. Das Gericht betonte, bei seiner Entscheidung sowohl die Kunstfreiheit als auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht respektieren zu wollen – das Ergebnis dieses versuchten Balanceakts: Das Ersuchen Erdogans, das Schmähgedicht vollständig zu verbieten, wurde abgelehnt.
Jedoch stufte das Gericht vereinzelte Passagen der am 31. März 2016 im
«Neo Magazin Royale» vorgelesenen Dichtung als Beleidigungen ein, die so „schmähend und ehrverletzend“ seien, dass eine erneute Verlesung dieser Zeilen verboten wäre. Die Richter erklärten, dass sich Erdogan als Staatsoberhaupt etwa der Kritik, er sei „sackdoof, feige und verklemmt“ stellen müsste. Böhmermanns frei erfundene Beschreibung seines Intimbereichs müsse er hingegen nicht erdulden.
Gegenüber der 'Süddeutschen' feierte Erdogans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger das Urteil: „Der Rechtsstaat hat gesiegt. Das Gericht hat sich gegen einen wahren Shitstorm von Menschen gestellt, die das Gedicht vermutlich nie in Gänze gehört und gesehen haben. Es tut auch dem türkischen Präsidenten Erdogan gut zu wissen, dass ein Gericht auch ungeachtet der Beliebtheit einer Person nach Recht und Gesetz urteilen kann.“ Böhmermanns Anwalt Christian Schertz hingegen kündigt an, in Berufung zu gehen: „Ich bin gewiss, dass die Entscheidung kassiert wird - wenn nicht in der nächsten, dann in der übernächsten Instanz. Offenbar war die Kammer von ihrer eigenen Vorentscheidung gefangen und hat leider die Frage der Kunstfreiheit nicht genügend berücksichtigt.“
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