In «The Walking Dead» wird eine gefühlte Ewigkeit ein geliebter Charakter mit einem Baseballschläger samt Stacheldraht zu Tode geprügelt. In «Game of Thrones» gehören Enthauptungen, wilder Sex, Orgien und Kinder auf dem Scheiterhaufen zum Alltag. Muss TV heute abartig sein, um zu gefallen?
Lucille - für viele einfach nur ein weiblicher Vorname. Doch Kennern von «The Walking Dead» dreht sich bei der Erwähnung dieses Namens verlässlich der Magen um, seit der aktuelle Bösewicht Negan mit seinem stacheldrahtumwickelten Totschläger dieses Namens auf Foltertour zieht. Doch warum tun wir uns das überhaupt an? Warum erdulden wir Stunde um Stunde des Zombiegemetzels oder durchleiden die Welt des blutgetränkt-sexbesessenen Westeros? Was ist dran an den heutigen Serien, dass es scheinbar nicht mehr ohne exzessive Gewalt oder explizite Geschlechtsakte geht? Ein klares Thema für die
Sendepause.
Des Untoten Gedärm
Reduziert man die Geschichte von «The Walking Dead» auf das Wesentliche und streicht die Zombies und die damit verbundenen Splattersequenzen heraus, bleibt ein Charakterdrama verirrter und verängstigter Seelen, die in einer trostlosen und hoffnungsarmen Welt um den kärglichen Rest ihres sogenannten Lebens kämpfen.
Die Dialoge erreichen dabei selten Klasseniveau, die zwischenmenschlichen Probleme sind redundant und vorhersehbar. Vermeintlicher Sicherheit folgt die nächste Gefahr und am Ende sitzt eine weiter dezimierte und noch frustriertere Truppe irgendwo im Dunkeln und sinniert über den Sinn des Seins. Dass diese dramaturgischen Schwächen Vielen gar nicht auffallen, oder wieder Anderen am Allerwertesten vorbeigehen, liegt schlicht an der kompetenten Verpackung - und ist pures Kalkül.
Würde Lars von Trier diesen Plot über einhundert Episoden erzählen, wäre die Qualität vermutlich höher, das Thema Sex allgegenwärtig, die Fernsehsessel aber vermutlich so leer wie die berühmte Flasche des Giovanni Trappatoni.
Doch warum erreichen die Produzenten und Autoren der Serie dann trotzdem jede Woche derartige Monsterquoten? Ist es ganz simpel eben jener Monsterfaktor, also das mehr als kreative Zombie-Make-up? Ist es die Freude am wilden Gore und Splatter? Die Anziehungskraft des Derben, Ekligen und Abstoßenden? Die Sehnsucht nach einer Welt, in der man per
Kopf ab seine Probleme löst?
House of Westeros, Westeros Wing und eine Prise Dallasteros
Auch bei einem anderen Welthit dieser Zeit kann man die gleiche Herangehensweise wählen. Was bleibt von «Game of Thrones», wenn man Nacktszenen, Sex, Folter, Gemetzel und jede andere Form von Gewaltanwendung abzieht? Richtig. Eine kammerspielartige Polit-Serie mit Drachen und Riesen. «House of Cards» im Feenwald. «The West Wing» live aus Königsmund oder «Dallas» mit J. R. gegen Cliff Barnes – nur mit Eisernem Thron statt Ölfeldern.
Da werden Intrigen gesponnen, Allianzen geschmiedet und gebrochen, Freunde verraten und gerettet und wenn am Ende alle tot sind, kommt doch noch wieder von Irgendwo ein neuer Player als Widersacher daher. Ein ewiger Kreislauf um Macht und das Fressen vorm gefressen werden.
Würde dieses Format auch ohne seine derben Zutaten einen derartigen Hype auslösen? Natürlich nicht. Doch warum macht gerade dieses dann aus einer eigentlich biederen Dramaturgie einen derart heißen Scheiß?
Beide Formate leben davon, dass Erwachsene etwas sehen dürfen, was auch wirklich nur für Erwachsene ist. Eine Serie, die mit der Kamera draufhält, wenn im normalen TV-Programm angewidert, verschämt oder erschrocken abgeblendet wird. Die Story – und das muss man so deutlich sagen – ist eher zweitrangig. Wer am Ende auf dem Eisernen Thron sitzen wird, ist im Kern irrelevant, solange auf dem Weg dahin ein Tabu nach dem Nächsten gebrochen wird.
Ein weiterer Punkt ist die ständige Unsicherheit. Während andere Formate ihren Cast fast schon bürokratisch von Staffel zu Staffel schleppen, muss man hier ständig mit dem Ableben einer geliebten Figur rechnen. Wobei auch diese Unsicherheit nur bedingt konsequent gelebt wird - so durften außer Jack Bauer in «24» eigentlich fast alle sterben. Der Meister selbst überlebte jedoch jede ausweglose Situation. In «The Walking Dead» traut man sich nicht an Rick und Daryl heran und bei «Game of Thrones» würde bei einem (finalen) Abeben von Tyrion, Jon oder Daenerys der heilige Zorn der Fans gen Produzenten geschickt werden. Irgendwo gibt es halt für alles Grenzen - besonders im Kommerz.
Conclusio
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Einfach mal ne Runde Abstumpfen. So simpel könnte man Faszination und Gefahr von Serien oder Filmen zusammenfassen, die die explizite Darstellung von Gewalt oder Sex in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen. Und darin liegt nicht mal eine Wertung - «Game of Thrones» und «The Walking Dead» sind nur zwei Vertreter dieser Gattung - und höchst unterhaltsam, spannend und mitreißend noch dazu. Kurz zu hinterfragen, warum man eine dieser Serien so gerne schaut, schadet jedoch nie. Und sich einzugestehen, dass im Verruchten und Verrückten auch eine Faszination liegt, ohnehin nicht.
Der Sülter hat für heute Sendepause, ihr aber bitte nicht – Wie sind eure Erfahrungen? Fällt euch die exzessive Gewalt- und Sexdarstellung der genannten Serien noch auf? Schaut ihr sie gerade deswegen oder trotzdem? Wo war oder ist für euch eine Grenze erreicht? Wären die Serien ohne ihre Machart überhaupt so gut? Würdet ihr sie dann schauen? Denkt darüber nach und sprecht mit anderen drüber. Gerne auch in den Kommentaren zu dieser Kolumne. Ich freue mich drauf.
«Sülters Sendepause» kehrt in vierzehn Tagen zurück.
Die Kolumne «Sülters Sendepause» erscheint in der Regel alle 14 Tage Samstags bei Quotenmeter.de und behandelt einen bunten Themenmix aus TV, Film & Medienlandschaft.
Für Anmerkungen, Themenwünsche oder -vorschläge benutzt bitte die Kommentarfunktion (siehe unten) oder wendet euch direkt per Email an bjoern.suelter@quotenmeter.de.
Es gibt 6 Kommentare zum Artikel
12.02.2017 07:45 Uhr 4
Diese Serien wurden doch für den amerikanischen prä-Trump Markt produziert.
Prüde Amerikaner, die im Vorgarten das Recht haben auf schwarze Einbrecher zu schießen.
Die predigen tagsüber Moral und schauen abends gerne Ärsche und Titten ( warum wird Tiitteeen im Forum durch geformte Brust zensiert?) in Game of Thrones. Schwarze erschießen ist langweilig, hat man in den Nachrichten, da sieht man lieber Baseballschläger mit Stacheldraht.
In Europa locken die Ärsche doch keinen hinter dem "Throne" mehr vor. Die Kekilli hat man nebenbei schon als Dilara freizügiger gesehen.
Wenn hier der Autor von Abstumpfung redet, dann kann ich das nicht nachvollziehen. Ich sehe eher eine Verdrossenheit, keine Abstumpfung, sogar bei den Amis.
Walking Dead wankt in den Abgrund, daher die Brutalität.
14.02.2017 07:48 Uhr 5
Meines Erachtens ist Walking Dead eine Drama-Serie mit Splatterszenen - nicht mehr und nicht weniger. Für ein reines Endzeit-Zombie-Szenario geht man doch recht häufig in eine gewisse Charakterdarstellung oder gar Entwicklung. Wie gut oder schlecht das gelingt, lasse ich Mal dahin gestellt, aber letztlich macht das mMn den Erfolg aus!
Wenn jetzt jemand behauptet, Walking Dead würde mehr auf Gewalt setzen um die Zuschauer bei der Stange zu halten dann kann ich das nicht nachvollziehen! Wie viele explizite Szenen hatten wir denn in 9 Folgen der 7. Staffel? Ganze 3 (Abraham, Glenn, mit Abtrichen Spencer)! Das ist nicht viel und auch nicht mehr als in vorherigen Staffeln.
Der "Glenn-Kill" diente doch dazu, Negan zu charakterisieren und dem Publikum zu verdeutlichen, daß dies ein Typ ist, der bisher in der Serie noch nicht vorgekommen ist und der eine weitaus größere Bedrohung darstellt als alle anderen, die es bisher mit den Protagonisten aufgenommen haben. Und wen man sich die "Originalszene" im Comic vor Augen hält, dann wurde sie meines Erachtens fürs TV noch etwas abgeschwächt.
Meines Erachtens gehören die Darstellung von Gewalt, Brutalität und auch Sex zu gewissen Genres dazu und ich sehe da auch kein Problem so lange es der Handlung dient. Prinzipiell weiß doch jeder, daß er bei einer Zombie-Serie irgendwann auf Splatterszenen stoßen wird und wenn man weiß, daß man diese nicht mag oder nicht ertragen kann dann sollte man dieses Genre besser meiden.
Letztlich weiß doch aber jeder, der sich das Ganze dann doch am TV gibt, dass das Ganze Fiktion ist - es sollte zumindest so sein!
15.02.2017 15:34 Uhr 6
So, das stimmt soweit, es gibt aber ein großes "aber"
Die Brutalität, die die meisten von einem Zombieszenario erwarten ist doch Brutalität von/gegen Zombies.
Nicht so einen Käse wie in den letzten Staffeln von Lost, wo es ständig nur diese internen Streitereien und Gruppierungsverschiebungen/rivalitäten gab.
Soweit ist das wieder eine Parallele, wenn eine Serie zur Gewohnheit wird, muß halt was neues her.
Walking Dead Staffel X. Die letzte Folge: Figur XY wacht auf und alles war ein Traum.
Man steht auf, hört einen Rasenmäher. Die Gardine wird aufgeschoben, man sieht den Nachbarn mähen. Er dreht sich um, es ist Negan. Er grüst nett...Ende....
würg.
Jeder erwartet von Zombiefilmen Gore. Aber ich finde Walking Dead Staffel 1 ist mehr "Zombie", als heute.
Das jetzt ist es Soap mit Gore.
Bildhaftigkeit in Comics ist aber bei Weitem etwas anderes, als wenn es in bewegten Bildern mit "echten" Menschen passiert.
Das ist nun aber ein wenig schlicht zu sagen: Nur die Harten kommen in den Garten, wer es nicht aushält....
Damit kann man ja jeden "Quatsch" schönreden, das es den anderen nicht gefällt.
Das machen sie ja schon bei jedem Wagnerfestspiel, das muß jetzt nicht noch im Zombiemilieu passieren.
Ich muß aber sagen, daß ich von "Walking" nichts mehr erwarte.
Vor ein paar Wochen noch "Dawn of the Dead" (beide, also auch das Remake) gesehen.
Das ist eine ganz andere Liga.
Da kann man eher nochmal 28 days later anschauen.