Während des NS-Regimes getrennt, versucht eine deutschjüdische Familie in einem anspruchsvoll inszenierten Zweiteiler nach dem 2. Weltkrieg wieder zusammen zu finden.
Cast & Crew «Das Landgericht - Geschichte einer Familie»
- Regie: Matthias Glasner
- Darsteller: Ronald Zehrfeld, Johanna Wokalek, Saskia Reeves, Felix Klare, Christian Berkel, Ulrike Kriener, Kate Dickie, Ian McElhinney, Alexander Beyer
- Drehbuch: Heide Schwochow
- Kamera: Jakub Bejnarowicz
- Musik: Lorenz Dangel
- Produzent: Joachim Kosack, Benjamin Benedict, Nico Hofmann, Verena Monßen
Deutschland 1938: Wieviel Angst und Verzweiflung müssen Eltern empfinden, um ihre Kinder in einen Zug zu setzen und für ungewisse Zeit ins Ausland zu schicken? Die Familie Komitzer steckt genau in dieser Situation. Hektisch laufen sie mit ihrem verängstigten Sohn Georg und ihrer kleinen Tochter Selma nachts durch den Berliner Hauptbahnhof und entsenden sie in die Fremde Englands. Deutsche Staatsbürger auf der Flucht? Ja, das hat es einmal gegeben. Der jüdische Richter Richard Komitzer (Ronald Zehrfeld) und seine Ehefrau Claire (Johanna Wokalek) beweisen damit allerdings ein großes Maß an Weitsicht, denn Hakenkreuzfahnen werden aus Fenstern von Privatwohnungen gehangen und Geschäfte jüdischer Bürger sind schon längst mit hasserfüllten und hetzerischen Graffiti verunstaltet.
Die ersten Zeichen deuteten sich schon fünf Jahre zuvor an: Die Tatsache, dass Richard Jude ist, Claire aber nicht, hat nie zuvor zu Problemen geführt. Allerdings befindet sich die deutsche Gesellschaft anno 1933 in einem besorgniserregenden Wandel: Richard, einst hochangesehener, promovierter Richter, der jeden aufregenden Fall übernimmt, wird langsam aus seinem Berufsstand und seinen Status in der Gesellschaft gedrängt. Fünf Jahre später, nachdem er seine Kinder vermeintlich in Sicherheit gebracht hat, wird ihm selbst langsam klar, dass er die Koffer packen muss. Leider kann er sich nur ein einziges Visum verschaffen, um nach Kuba zu fliehen. Claire muss dagegen in Deutschland bleiben und wird dort selbst als Nichtjüdin von den Behörden belästigt. Was sie an Besitz nicht verkauft, wird enteignet. Ihre Werbeagentur musste sie schon längst aufgeben.
Der Kontakt zwischen den drei Familienparteien bricht schnell ab: Die Kinder fühlen sich unter der irrationalen Fuchtel ihrer Pflegemutter in England gar nicht wohl, auch wenn ihr Ehemann sie mit großväterlicher Fürsorge aufnimmt. Claire hat dagegen unter der Willkür des NS-Regimes zu leiden. Richard scheint auf der halbwegs sicheren Seite zu sein. Wartend und hoffend fristet er sein Dasein, findet jedoch Wege, sich nützlich zu machen und liebäugelt sogar mit einer deutschen, sozialistischen Exilpartei. Als der Kontakt endgültig zu seiner Familie abbricht und die Unruhen in der Welt überhaupt nicht mehr zu enden drohen, lernt er eine kubanische Lehrerin kennen und verliebt sich in sie. Doch auch diese Beziehung soll sich nach Kriegsende anders entwickeln und eine Familienzusammenführung gestaltet sich nicht nur deswegen äußerst schwierig.
Regisseur Mathias Glasner und Drehbuchautorin Heide Schwochow verbringen zwar viel Zeit mit Claire und ihrem Leidensweg in der Stadt Berlin, aus der sie letztendlich auf ländlichere Gefilde fliehen muss, aber generell steht die geographische und emotionale Zersprengung einer Familie und deren psychologische Folgen im Vordergrund des historischen Zweiteilers. Eine Geschichte der deutschen Geschichte, die selten filmisch bedacht wird und deswegen umso interessanter erscheint, so dass man noch viel länger die Lebenswege der einzelnen Figuren verfolgen möchte. Und das ist sogar einer der wenigen Schwachpunkte von « Landgericht»: Obwohl bedächtig auf die Einzelschicksale der Familienmitglieder eingegangen wird, springen die beiden Teile fast schon zu schnell von einer Figur zur nächsten und von einem Zeitabschnitt zum anderem.
Das Aussitzen, das Warten, das Erdulden von Ungerechtigkeiten, und das ständige Fragen, ob die schrecklichen Zeiten jemals wieder vorüber gehen, sind der Fokus der Erzählung. Darüber hinaus wird die Unmöglichkeit einer Familienzusammenführung untersucht. Denn Krieg und Verfolgung zerstört nicht nur physisch, sondern auch geistig und seelisch. «Landgericht - Geschichte einer Familie» erzählt aber nicht nur vom Verheilen von intimen und familiären Wunden, sondern auch von Wiedergutmachung von öffentlichen, gesellschaftlichen und politischen Ungerechtigkeiten, falls das überhaupt möglich ist.
Eine hoffnungsvolle Aussicht gibt das Drama auf beides nicht. Die Ehe von Richard und Claire wird auch nach ihrer Rückkehr auf gleich mehrere harte Proben gestellt, denn trotz Richards verständlicher Flucht, gibt es stille Ressentiments zwischen den beiden. Darüber hinaus kann er seinen Beruf als Richter auch nicht so einfach wieder aufnehmen, denn rein technisch gesehen ist er kein deutscher Staatsbürger mehr. Schnell muss er feststellen, dass die Altlasten des NS-Regimes nicht so einfach aus dem Weg zu räumen sind. Zu viel scheint zerbrochen und zu wenig wird unternommen, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Für Richard manifestiert sich diese Frustration schnell physisch und auch für den Zuschauer scheinen solche Momente fast unglaublich mit anzusehen. Aber nicht nur der juristische, sondern auch der familiäre Raum ist für immer aus dem Gleichgewicht geraten: Die beiden Kinder haben nach einer langen entbehrungsreichen Reise ein neues Zuhause bei einer neuen Familie gefunden, das sie nicht mehr loslassen möchten.
2012 konnte die gleichnamige Romanvorlage von Ursula Krechel die Jury des Deutschen Buchpreises überzeugen. Eine „persönlich Wiedergutmachung einer misslungenen Wiedergutmachung“, so beschrieb Krechel ihren Roman, der auf der Biografie von Robert Michaelis basiert. Erst vertrieben, dann vergessen. Und eine Spirale der Schuldzuweisung, Hoffnung, berechtigtes Verlangen nach Wiedergutmachung und Abwehrhaltung wollte anscheinend nicht aufhören. Richards Wunsch nach einem Wiederaufbau entwickelt sich letztendlich zur Obsession, so dass er darüber hinaus seine eigene Familie und insbesondere Claire vernachlässigt, die mit dem Verlust ihres alten Lebens mehr oder weniger alleine klarkommen muss.
Viel hängt von den beiden Hauptdarstellern ab: Ronald Zehrfeld kann die Ängste seiner Figur anfangs noch erfolgreich und überzeugend unterdrücken, dennoch brodeln sie unter der Oberfläche. Emotional hält er sich zurück und erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland nehmen Frustration und die nachvollziehbare Wut überhand. Johanna Wokalek pendelt nahtlos zwischen Zorn, Verzweiflung und stillem Ertragen hin und her. Gemeinsam finden die beiden immer die richtige Tonlage. Die Inszenierung ist unspektakulär, besticht aber gerade hier mit trauriger Melancholie und wunderbaren Bildern des Kameramanns Jakub Bejnarowicz, der mit langen Einstellungen, sogenannten tracking shots, explizit und gezielt mit Licht und Schatten arbeitet, wie es selten in deutschen Fernsehproduktionen zu sehen ist. Dabei wirkt der Film niemals überinszeniert, sondern hält sich angenehm zurück. Auch die ruhige Musikuntermalung setzt nicht zu dramatischen Höhensprüngen an, sondern sorgt immer für einen angemessenen dramatischen Ton.
Fazit: «Landgericht - Geschichte einer Familie» beleuchtet in filmtechnisch und schauspielerisch äußerst ansprechender, aber dennoch zurückhaltender Weise einen filmisch noch etwas unerforschten Bereich deutscher Geschichte. Das einzige Problem ist, dass man sich fast noch mehr Zeit mit den einzelnen Episoden und den Geschichten der jeweiligen Familienmitglieder hätte lassen können.
Das ZDF zeigt den Zweiteiler «Landgericht - Geschichte einer Familie» heute und am Donnerstag, dem 02.02. um 20.15 Uhr.
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