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Die Kritiker: «Tatort – Wacht am Rhein»

Ein Bürgerwehr-Mitglied beobachtet einen Überfall auf eine Zoohandlung. Als der Mann eingreift, wird er erschossen. Neben den Ermittlern versuchen auch die selbsternannten Hüter des Gesetzes, den Täter aufzuspüren.

Cast und Crew

Vor der Kamera:
Klaus J. Behrendt als Max Ballauf
Dietmar Bär als Freddy Schenk
Patrick Abozen als Tobias Reisser
Joe Bausch als Dr. Joseph Roth
Sylvester Groth als Dieter Gottschalk
Nadja Bobyleva als Nina Schmitz
Asad Schwarz als Adil Faras
Omar El-Saeidi als Baz Barek
Paul Herwig als Peter Deisböck
Helene Grass als Katharina Deisböck
Daniel A. Kuschewski als Mike Waschke
Paul Falk als Lars Deisböck
Samy Abdel Fattah als Khalid Hamidi
Karoline Bär als Tabea Fromm

Hinter der Kamera
Produktion: Westdeutscher Rundfunk
Drehbuch: Jürgen Werner
Regie: Sebastian Ko
Kamera: Kay Gauditz
Dem Kölner sagt man gemeinhin ein fröhliches Gemüt, sowie Weltoffenheit und Toleranz nach. Ein Image, das die Stadt und ihre Bewohner stolz macht und forciert. Dann kam die Silvesternacht 2015 – und mit ihr eine Wende in der Flüchtlingsfrage. In Teilen der deutschen Bevölkerung stieg eine irrationale Angst vor dem Fremden. Außerdem geriet die Kölner Polizei ins Kreuzfeuer der Kritik. In den vielzitierten „Postfaktischen Zeiten“ fühlen sich viele Menschen von der Staatsmacht im Stich gelassen und nicht ausreichend geschützt. Vielerorts wurden sogenannte Bürgerwehren gegründet, die selbst für Recht und Ordnung sorgen wollten.

Die Flüchtlingsdebatte und ihre Begleiterscheinungen waren bereits mehrfach zentrales Thema der «Tatort»-Reihe, unter anderem auch bei Ballauf und Schenk. Hier bildet sie jedoch lediglich die Kulisse für die Ängste der „besorgten Bürger“, die meinen, sie könnten die Polizeiarbeit besser verrichten als die Beamten selbst.

Denn im Viertel liegen die Nerven blank: Auch der Ladenbesitzer Adil Faras (Asad Schwarz) und die junge Mutter Nina Schmitz finden, man müsse etwas tun. Sie haben sich der selbst ernannten Bürgerwehr „Wacht am Rhein“ angeschlossen und gehen nun Patrouille, um für mehr Sicherheit in den Straßen zu sorgen. Doch dann wird beim Überfall auf eine Zoohandlung der Sohn des Inhabers Peter Deisböck (Paul Herwig) erschossen. Für die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) dringend tatverdächtig ist der gebürtige Nordafrikaner Khalid Hamidi (Samy Abdel Fattah). Zeugen beobachteten seine Flucht vom Tatort.

Dieter Gottschalk (Sylvester Groth) nutzt die Situation unterdessen für seine Interessen: Der Anführer der Bürgerwehr ruft die Nachbarschaft zur Mahnwache für das Mordopfer auf. In der aufgeheizten Stimmung geht beinahe unter, dass bei der Polizei ein Student vermisst gemeldet wird: Baz Barek (Omar El-Saeidi) war in der Mordnacht auf dem Heimweg durchs Viertel. Auch auf ihn könnte die Täterbeschreibung passen.

Die schwelenden Konflikte der Gesellschaft im postfaktischen Zeitalter weiß Regisseur Sebastian Ko gekonnt in Szene zu setzen. Zuweilen wird die Bildsprache aber im wahrsten Sinne des Wortes plakativ. „Schön, dass sie auf unserer Seite sind“ verkünden die riesigen Plakate am Parkhaus der Polizeistation mehrfach zynisch. Wer ist in dieser Geschichte noch auf der Seite der Gesetzeshüter? Des Weiteren dient ein Antifa-Graffiti als Motiv und sogar Donald Trump wird in den Nachrichten im Autoradio erwähnt, um den vermeintlichen Siegeszug des Populismus zu unterstreichen.

Die durchwegs spannende Story vermeidet geschickt die moralische Zwickmühle, Xenophobie in der Bürgerwehr anzuprangern, deren Mitglieder jedoch allesamt zu dämonisieren. Ebenso wie die Nordafrikaner sind auch die Bürgerwehr-Mitglieder keine homogene Gruppe, sondern reichen vom rassistischen, selbstgerechten Demagogen bis zum marokkanischen Lebensmittelbesitzer, der um seinen Platz in der Gesellschaft fürchtet. Vor Ressentiments ist niemand gefeit, es ist Platz für Grautöne. Dafür bewegt sich manche Figur jedoch selbst am Rande des Klischees.

Der moralische Zeigefinger jeglicher Couleur wird kaum erhoben. Nichts desto trotz zeigen die Ermittler Haltung. Speziell dem idealistischen Max Ballauf sind die hetzerischen Parolen der Bürgerwehr ein Dorn im Auge. Ganz zu schweigen davon, dass die selbsternannten Gesetzeshüter die Polizeiarbeit des gewohnt souverän aufspielenden Ermittler-Duos mehr behindern denn vereinfachen. Der Rest der Schauspielerriege weiß ebenfalls zu überzeugen. Besonders Samy Abdel Fattah tut sich mit seiner Rolle hervor und stellt die Arroganz und Respektlosigkeit seiner Figur, speziell gegenüber den Polizisten möglicherweise etwas überzeichnet, jedoch überzeugend zur Schau.

Das Gewaltmonopol der Polizei wird als Stütze des Rechtsstaats stilisiert, welche weder von nordafrikanischen Kleinkriminellen, noch von enttäuschten Sicherheitsfanatikern ins Wanken gebracht werden kann. „Wir sind sehr tolerant. Aber es gibt eine Grenze. Und die Grenze ziehen wir“, beschwört der Chef der Bürgerwache die seinen. Allerdings wird deutlich, dass weder er noch die anderen Mitglieder diese Grenze ziehen, sondern nur das geltende Recht, verkörpert durch die Beamten. Trotz dieser so simplen wie richtigen Botschaft hätte man jedoch durchaus etwas Kritik an der Polizei selbst üben können, schließlich schafft man es ansonsten auch zu differenzieren. Polizisten scheinen jedoch über jeden Zweifel erhaben.

Ein ganz besonderes Schmankerl für «Tatort»-Fans bietet übrigens der Gastauftritt von Komponist Klaus Doldinger, dessen berühmte Titel-Melodie seit über 40 Jahren den Beginn der sonntäglichen Krimi-Folge einläutet. Nun ist er als Straßenmusiker nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Garniert wird sein Gastspiel durch zwei irritierte Ermittler, denen der Saxophon-Spieler reichlich bekannt vorkommt.

Fazit: Dem Kölner «Tatort» gelingt es, durch die Vermeidung simpler Schwarz-Weiß-Denkmuster ein sensibles Thema vielseitig zu beleuchten und verschiedene Blickwinkel aufzuzeigen. In Zeiten, in denen Emotionen statt Daten und Fakten die öffentliche Diskussion bestimmen, ist dieser handwerklich grundsolide «Tatort», trotz kleinerer Ausflüge seiner Figuren ins Klischee, ein Plädoyer für Differenzierung.

Das Erste zeigt «Tatort: Wacht am Rhein» am Sonntag, 15. Januar 2017 um 20.15 Uhr.
14.01.2017 09:12 Uhr Kurz-URL: qmde.de/90497
Christopher Schmitt

super
schade


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Tatort Tatort: Wacht am Rhein Wacht am Rhein

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