Die vergangenen zwölf Monate waren für viele Menschen durchaus verstörend. Weltweit häuften sich Terror, Gewalt und andere unfassbare Vorgänge und erschütterten das Grundvertrauen unserer Gesellschaft. Der Bevölkerung fehlt es an Ankerpunkten, Angst begleitet Teile des täglichen Lebens. Wo sich im Bereich der Medien für 2017 potentielle Gegenmaßnahmen verstecken und welche simplen Stimmungsaufheller man uns jetzt bieten könnte, beleuchten wir in diesem Schwerpunkt.
Ein Jahr, in dem die Welt scheinbar aus den Fugen geriet
Auf dass das nächste Jahr besser wird – eine Floskel, gerne und oft auf Silvesterpartys gehört und verwendet. Selten jedoch war sie tiefer in der Realität verankert, als am 31. Dezember 2016 – am letzten Tag eines Jahres, das alleine durch die simple Aufzählung von Orten einen Schrecken entfacht, dem man sich nicht entziehen kann.
Istanbul, Ankara, Brüssel, Orlando, Bagdad, Würzburg, Nizza, Ansbach, München, Dallas, Kairo, Berlin. Schon diese unvollständige und wahllos zusammengestellte Liste ruft uns ins Gedächtnis, womit wir Monat für Monat, Woche für Woche und Tag für Tag über die Medien konfrontiert wurden. Von kriegerischen Konflikten oder Übergriffen wie in Aleppo, Naturkatastrophen wie den Erdbeben in Ecuador, Taiwan, Kumamoto oder Italien, dem Zyklon auf Fidschi,
Hurricane Matthew oder den vielen Unglücksfällen per Zug, Heißluftballon oder auf den Straßen und den vielen Toten, Verletzten und menschlichen Schicksalen ganz zu Schweigen.
An dieser Stelle greift ohnehin ein Mechanismus, der sowohl pietätlos, wie auch nachvollziehbar weil schlicht menschlich ist: Wir stumpfen ab. Man könnte fast ketzerisch sagen: An die Kriege, Unfälle und Naturkatastrophen hatten sich die meisten Menschen bereits gewöhnt. Angst machten uns zuletzt eher die Vorgänge, die es bisher in dieser Häufung nicht gegeben hatte. Dass diese in der Summe nur durch Zufall in ein aus 365 Tagen bestehendes Kalenderkonzept fielen, wird dabei oft ignoriert. Wir denken in Schubladen und vergessen dabei, dass auch vor dem 1. Januar 2016 bereits Furchtbares in der Welt geschehen ist. Somit befinden wir uns mit der Rückschau auf 2016 also eigentlich an einem Punkt, der eine sich über Jahre aufbauende Entwicklung komprimiert. Das macht das Geschehene zwar nicht weniger relevant, es sollte jedoch dazu beitragen, nicht nur ein simples, aus zwölf Monaten bestehendes Horrorjahr zu sehen, sondern das Gesamtbild im Auge zu behalten.
Dennoch: 2016 wird bei vielen noch lange nachhallen, sogar vorbehaltlich der durchaus vorhandenen Möglichkeit, dass die kommenden zwölf Monate nicht zwingend besser werden müssen.
Und natürlich ist Angst ein schlechter Ratgeber und Einigeln keine Lösung. Dennoch sind einige Menschen typbedingt schlicht nicht in der Lage, ihre Freiheit unbeschnitten zu lassen und die Lebensart, die aktuell so wütend attackiert wird, zu preisen und zu erhalten. Woran soll man sich im Alltag auch klammern, wenn der Griff zur Fernbedienung oder Tageszeitung eben auch unweigerlich mitten hinein in die erschreckende Realität unserer Zeit führt? Was können die verschiedenen Medien neben der puren Information leisten, um zumindest einen kleinen Ausweg, einen Ruhepol zu verschaffen? Wo wartet Potential darauf, genutzt zu werden?
Verlorene Identifikation
Keine Frage - Auch die Medienszene hat in den vergangenen Jahren kräftig daran mitgearbeitet, den Menschen im Angesicht der zynischen Fratze namens Zeitgeist die Oasen und Identifikationsfiguren zu rauben. Heile-Welt-Fernsehen erhielt großflächig den Stempel eines nicht mehr zeitgemäßen Produktes und verschwand zunehmend aus den Programmen. Alles was nicht dystopisch oder edgy genug war, wurde gnadenlos umgekrempelt oder komplett gestrichen. Doch führten solche Verjüngungskuren häufig eher zu Abwehrreaktionen als zu großer Begeisterung seitens des Publikums – und somit nicht selten zu Frust bei den Programmverantwortlichen.
Und auch, dass Relikte wie «Das Traumschiff» weiterhin ganz oben mitschwimmen, sollte zu denken geben. Warum schalteten an Neujahr 2017 über sieben Millionen Menschen die neue Episode ein? Warum erreicht das ZDF damit mehr als anderthalbfachen Senderschnitt ausgerechnet bei den Jüngeren? Warum ergatterten die jahrzehntealten Schwarz-Weiß-Filme mit der geliebten «Miss Marple» zwischen den Feiertagen immer wieder Spitzenwerte bei kabel eins? Warum werden die Kinocharts dominiert von reizenden Animationsfilmen wie «Findet Dorie», «Zoomania» oder «Pets», Remakes von Klassikern wie «Das Dschungelbuch» oder «Ghostbusters», Fortsetzungen beliebter Reihen wie «Star Trek Beyond», «Rogue One» oder «Jason Bourne» oder Superhelden-Filmen wie «Captain America» oder «Doctor Strange»? Wen oder was vermissen die Menschen im Alltag oder was meinen sie in Produktionen dieser Art zu finden?
Gebt uns Halt
Die Menschen – nicht nur in Deutschland – sind auf der Suche. Mehr denn je benötigen sie Fixpunkte, die ihnen in Zeiten der Unsicherheit, Angst und einer mehr als instabilen Zukunft Halt und Sicherheit im täglichen Leben geben. Das kann der regelmäßige Besuch beim Lieblingsitaliener sein, der wiederholte Urlaub an einem bekannten Ort oder auch nur das Ansehen eines alten, geliebten Filmes.
Das kann aber eben auch der Konsum von Wohlfühlfernsehen sein – von Formaten und Figuren, die bereits seit langer Zeit das heimische Wohnzimmer aufsuchen, um uns daran zu erinnern, dass irgendwann einmal alles gut war – und auch wieder werden wird. Captain Burger, Doktor Sander und Beatrice vom «Traumschiff» haben noch jedem Passagier über dessen Lebenskrise hinweg geholfen. Oder eben die so beliebten Superhelden, die jedes Problem dieser Erde und darüber hinaus für uns lösen können. Eintauchen, abschalten, die Realität außen vor lassen und einfach mal treiben lassen. Es tut uns einfach kollektiv gut, zwischendurch auch mal ein Happy-end zu sehen – eben weil die Welt um uns herum im Zeitraffer mit neuen Schreckensmeldungen aufwartet – und aus den Fugen gerät.
An dieser Stelle greift auch eine zweite Sehnsucht: Die Suche nach Identifikationsfiguren. Wer kann uns im Bereich Medien noch mit Integrität und Charakterstärke überzeugen? Welche Person oder Kunstfigur ist so skandalfrei, dass man ihr uneingeschränkt Vertrauen schenken mag – zumindest in einem kleinen Teilbereich des Lebens? Zugestanden, es gibt da durchaus ein paar, auch wenn diese heutzutage eher selten im Bereich der Führungsfiguren unseres Landes, also bei den Politikern, zu suchen sind. Zustände wie in den USA, wo man just zwischen Pest und Cholera entscheiden musste und gefühlt selbst da noch danebenlangte, bleiben uns zwar bisher noch erspart. Als Warnung und Vorwegweiser sollte man die Wahl des Herrn Trump aber in jedem Fall deuten müssen.
Daher sucht man seine Vorbilder eher im Bereich der Unterhaltung. Ein Peter Kloeppel beispielsweise steht für Integrität und Skandalfreiheit, verliest uns jedoch auch Tag für Tag eben jene Schreckensmeldungen, die wir eigentlich kaum mehr zu hören wagen. Doch auch ein Günther Jauch gibt uns ein gutes Gefühl, weil er schon so lange und sympathisch auf seinem Ratestuhl sitzt – wie das Lieblingsrestaurant um die Ecke ein Ort ist, wo wir noch mit unserem Namen begrüßt werden, den wir für unser Gleichgewicht brauchen und ihn somit wieder und wieder aufsuchen. Dass «Wer wird Millionär?» sich seit einer gefühlten TV-Ewigkeit nur dezent neu erfindet, ist dabei durchaus eine große Stärke der Produktion.
Doch auch der Trend zu immer mehr Retro-TV entblößt die Sehnsüchte der Menschen. Nicht umsonst kann ein Sender wie RTLplus mit Formaten von Anno Tobak auch heute noch gute Quoten einfangen, nicht umsonst versuchen TV-Anstalten wie auch die großen Filmstudios sich seit Jahren an Neuauflagen und schlachten bekannte und einst beliebte Marken aus, so gut es eben geht. Hier haben nicht nur die Verantwortlichen Angst vor Neuem, auch die Konsumenten klammern sich gerne an das, was sie kennen und werden durch das Angebotene und ihr Konsumverhalten letztlich entlarvt: Als Jäger nach eben jenen Werten, die immer wieder Zentrum dieser Überlegungen sind. Hier dürfen alle Medienschaffenden gerne auch in Zukunft den Mut besitzen, uns mehr von dem zu geben, wonach es der Volksseele verlangt und sollten erst in zweiter Linie stur nach Quoten und ausgefeilten Projektionen schauen.
Übrigens: Für die so dringend gesuchten Werte trat in Deutschland vor gar nicht allzu langer Zeit auch noch eine andere Gruppe von Menschen im Licht der Öffentlichkeit ein: Die Werbefiguren.
Dafür stehe ich mit meinem Namen
Und wer kennt sie nicht mehr? Den Melitta-Mann, Frau Antje, Onkel Dittmeyer (bei dem es sich sogar um den echten Herrn Dittmeyer handelte), Klementine oder den sympathischen Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer. Sie alle standen über Jahrzehnte für einen Moralkodex, für Vertrauen, den Glauben an ein Produkt und lieferten den Unternehmen mit ihren Gesichtern wertvolle Kundenbindung. Doch nach und nach wurden diese Erfolgskonzepte eingestampft und oft durch austauschbare und wenig einprägsame Modelle ersetzt. Den modernen Marketingstrategen, die Altes selten schätzen und ihr Heil lieber im Umsturz suchen, sei Dank. Geblieben sind in diesem Bereich aktuell noch der (echte) Claus Hipp, der nach wie vor für die Qualität seiner Produkte mit seinem guten Namen eintritt und der nerdige Tech-Nick – eine Figur, die weniger mit Kompetenz, als vielmehr mit der zielgruppenkompatiblen Coolness punkten soll.
Am härtesten traf es im Bereich der verlorenen Werbegesichter die Hamburg-Mannheimer. Jenes einst blühende Unternehmen, das 2010 zur Ergo umfirmierte, punktete von 1972 bis 2010 mit einer Figur, die wie keine zweite in Deutschland für das Verlangen der Bevölkerung nach starken Markengesichtern steht. Mehr noch: Herr Kaiser war einer, dem wir unser Geld anvertrauen konnten. Ein Mann, der durch sein Charisma, seine Freundlichkeit und seinen Elan überzeugte und schlicht immer für uns da war, wenn wir ihn brauchten. So wurde „
Hallo Herr Kaiser“ zum geflügelten Wort weit über die eigentliche Werbung hinaus.
Dass nicht alle Relikte der Vergangenheit gegenwartsfähig sind, ist jedoch unstrittig und sollte nicht unerwähnt bleiben. Pauschal alle über einen Kamm zu scheren funktioniert eben weder in der einen, noch in der anderen Richtung.
Doch warum raubte man uns überhaupt eine bis zum Schluss tadellose und unverbrauchte Figur wie Herrn Kaiser? In den meisten Fällen und auch hier liegen Entscheidungen dieser Art im ewigen Streben findiger Hintermänner nach Verjüngung und Neuausrichtung begründet. So ließ auch die Ergo im Zuge diverser Umstrukturierungen 2010 zu, dass man ihnen ohne Not das Gesicht nahm – anstatt etwas, das fraglos weiterhin funktioniert hätte, als klares Symbol für die Verschmelzung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu benutzen. Als klares Bekenntnis, dass man die Wurzeln nicht vergisst, dass Gutes auch gut bleibt, aber auch dem Neuen ein Zauber inne wohnt.
Als das Unternehmen 2011 von der mehr als pikanten Budapest-Affäre gebeutelt wurde, und weder in der Außendarstellung noch in der Aufarbeitung ein gutes Bild abgab, fehlte eben jenes Firmengesicht. Ein (fiktiver) Sprecher, der sich der Öffentlichkeit hätte präsentieren können, um zu sagen:
Ja, auch bei uns gab und gibt es wie in jeder Familie schwarze Schafe und das tut uns leid. Doch, dass es in Zukunft anders wird, dafür stehe ich mit meinem Namen. Ihr Herr Kaiser.
Man mag es romantische Verklärung nennen, letztlich aber wäre dies ein äußerst cleverer Schachzug gewesen, dieses bekannte und beliebte Gesicht hier einzusetzen, um reinen Tisch zu machen und zu bekräftigen, dass man auch zukünftig an den Werten festzuhalten gedenkt, die letztlich das Vertrauen der Menschen an ein Unternehmen binden müssen. Doch hier versagten die findigen Strategen im Hintergrund gründlich und haben ihre Fehlentscheidung bis heute nicht korrigiert.
Es fehlt schlicht die Weitsicht, zu erkennen, dass
zurück zu den Wurzeln kein Rückschritt sein muss, sondern trotz, oder gerade wegen der notwendigen und fortschreitenden Digitalisierung, ein Gesicht gebraucht wird. Ein Gesicht, das für Werte wie Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Menschlichkeit steht.
Der Mensch, mit all seinen Emotionen, wird immer eine zentrale und entscheidende Rolle spielen. Digitalisierung und Anonymität machen vielen Menschen Angst und verunsichern sie - eine Symbiose zwischen der digitalen Welt und Altvertrautem, das ist es, was in Zukunft den Erfolg bringen und über Marktanteile entscheiden wird. Wer hier den Mut besitzt, auch Retro zu gehen, ohne sich vom vermeintlichen Zeitgeist die Sinne vernebeln zu lassen, hat auch die Chance, den Menschen wieder zu erreichen.
Kaiserzeit, die Zweite
So landen wir an dieser Stelle auch irgendwie wieder auf dem oft als seicht und aus der Zeit gefallen betitelten «Traumschiff». Es ist sicher kein Zufall, dass der letzte Herr Kaiser-Darsteller eben jener Nick Wilder war, der seit 2011 den Schiffsarzt Dr. Sander an Bord des Ozeanriesens spielt und dort ebenfalls in einer Rolle zu sehen ist, die schon durch den dargestellten Beruf tief mit den Werten Vertrauen, Integrität und Wohlbefinden verbunden ist. Als der 2016 verstorbene Wolfgang Rademann vor sieben Jahren einen Nachfolger für den damals bereits 86-jährigen Horst Naumann suchte, überraschte es durchaus, dass er eben nicht dem ewig-elendigen Zeitgeist folgend einen dynamischen Mittdreißiger wählte, sondern die Rolle an den ebenfalls schon 58-jährigen Wilder vergab. Dabei lagen die Argumente klar auf der Hand: Ein Arzt muss in erster Linie durch Charisma und Kompetenz punkten. Rademann hatte immer ein feines Händchen für Besetzung bewiesen und wusste genau, wie die Identifikation der Zuschauer einzufangen war. Er sollte Recht behalten. Und für die Ergo kann man nur hoffen, dass dort irgendwann jemand mit Rademanns Weitsicht das Zepter schwingt und das brachliegende Potential erkennt.
Klar ist: Weder Miss Marple, noch Captain America und auch nicht Herr Kaiser alleine werden diese Welt für uns besser machen können. Doch bieten sie Werte und Stellschrauben, die zumindest im Kleinen unseren Alltag wieder auf viele kleine und festere Fundamente stellen können. Und selbst wenn es uns nur ein Lächeln oder ein wenig mehr Vertrauen in die Welt schenkt, wäre an manchen Tagen schon viel gewonnen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel