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Die Kritiker: «Aufbruch»

Anhand der Biographie einer bildungshungrigen jungen Frau erzählt «Aufbruch» von der Engstirnigkeit der frühen Bundesrepublik. Ein Film, dessen Themen gerade heute Bedeutung haben.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Anna Fischer als Hilla
Margarita Broich als Mutter
Ulrich Noethen als Vater
Barbara Nüsse als Großmutter
Daniel Sträßer als Godehard van Keuken
Heiko Pinkowski als Herr Buche
Markus John als Pastor

Hinter der Kamera:
Produktion: Tag/Traum Filmproduktion
Drehbuch: Volker Einrauch
Regie: Hermine Huntgeburth
Kamera: Sebastian Edschmidt
Produzent: Gerd Haag
Deutschland in den frühen 60er Jahren: Die Bundesrepublik ist so bieder wie ihr Kanzler Adenauer. Freigeister haben es schwer in dieser Zeit. Erst recht, wenn sie aus einem Milieu kommen wie Hilla (Anna Fischer): der Vater ein Prolet, die Mutter eine ignorante Putzfrau. Bildung wird in diesem Haushalt nicht nur argwöhnisch belächelt – Bildung ist der Feind, erst recht bei einem Mädchen. Denn dessen gesellschaftliche Bestimmung ist ausschließlich Familie und Kinderkriegen.

Während sich die AfD-Wähler unter Ihnen gerade fragen, was denn daran so falsch ist, hält Hilla an ihrem Wunsch fest, Abitur zu machen und Literatin zu werden, womit sie bei ihren Eltern nur auf Zorn und Abneigung stößt. Ihre intellektuellen Wünsche negieren schließlich deren Gesellschafts- und Lebensentwurf. Aus diesem Dualismus entwickelt «Aufbruch» eine packende Dynamik und etabliert eine konsequente Grundspannung, die sich immer wieder in einnehmenden, von der gelungenen Besetzung aus Anna Fischer, Margarita Broich und Ulrich Noethen getragenen Szenen entlädt.

Doch dieser Film lässt noch weitere Instanzen auftreten: den Hilla wohlgesonnenen Pastor (Markus John), der sie tatkräftig in ihren geistigen Ambitionen unterstützt, und einige Nebenfiguren an der Peripherie der Figurenorchestrierung, die verschiedene Abstufungen im sozialen Panoptikum der bundesdeutschen 60er Jahre abbilden: am bedeutendsten ihre Freundin Monika (Saskia Rosendahl), ein Freigeist aus einer reichen Familie, die die Klassengrenzen zur (sichtlich) aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Hilla aufbricht, sowie Hillas Love Interest Godehard (Daniel Sträßer), der sie als Sohn wohlhabender Fabrikbesitzer in ein ihr fremdes Milieu führt.

In dieser letzten Konstellation schlägt «Aufbruch» manchmal zu stark den Duktus der Trivialliteratur an, und verliert bei der Darstellung der Arm-Reich-Gegensätze jenen Reichtum an Zwischentönen, der dem Film bei der Inszenierung der Familienkonflikte so hervorragend gelungen ist. Insgesamt jedoch überzeugt er klar als ein feinsinniges Porträt einer jungen Frau in einer Zeit des Umbruchs.

In den sensibel, aber haltungsvoll geschrieben Konflikten entspinnt sich ein Soziogramm der frühen Bundesrepublik, eine Bestandsaufnahme, deren Fehler progressive Strömungen seit den späten 60er Jahren zu korrigieren versucht haben – ein Thema, das dank der Roll-Back-Versuche reaktionärer Kräfte, ob in Form von Marschvereinigungen oder rechtspopulistischen bis –extremen Parteien nun wieder aktuell ist. «Aufbruch» zeigt, was unsere Gesellschaft in den letzten Jahren erreicht hat – und was sie im schlimmsten Falle wieder zu verlieren droht. Nicht nur das macht diesen Film wichtig. Dass er gut erzählt und einnehmend gespielt ist, lässt ihn hoffentlich als den kleinen, aber kraftvollen gesellschaftlichen Diskussionsanstoß fungieren, der er sein kann.

Das Erste zeigt «Aufbruch» am Mittwoch, den 7. Dezember um 20.15 Uhr.
06.12.2016 12:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/89788
Julian Miller

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Aufbruch

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