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Lars Eidinger: 'Mein Publikum ist ein kleinerer, elitärerer Kreis'

Schauspieler Lars Eidinger spricht mit Quotenmeter.de über das Genre Streitfilme, den Massengeschmack und die «Terror»-Abstimmung.

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Wenn ich auf den Netzwerken poste, dass ich einen Auftritt habe, dann bilde ich mir ein, dass danach mehr Leute kommen. Aber mein Essen fotografieren und die Bilder dann hochladen, oder schreiben, dass ich heute Bauchschmerzen habe oder zum Zahnarzt gehe – so etwas schließe ich völlig aus.
Lars Eidinger
Wie man es macht, man macht’s falsch: Solche Fotos posten, bedeutet, anzugeben. Sowas nicht zu posten, bedeutet, sein Publikum auf Distanz zu halten – und als öffentliche Person hat man ja gefälligst sein Leben mit seinen Fans zu teilen …
Das würde ich wiederum nicht zwingend unterschreiben. Ich würde in den sozialen Netzwerken nie etwas für meine Fans machen – den Begriff „Fan“ finde ich schon grenzwertig. Wenn andere Künstler Posts schreiben, die anfangen mit: „Liebe Fans …“, dann schüttelt es mich schon. Ich sehe das als reine Werbeplattform, bei denen es darum geht, die Viralität zu nutzen. Wenn ich auf den Netzwerken poste, dass ich einen Auftritt habe, dann bilde ich mir ein, dass danach mehr Leute kommen. Aber mein Essen fotografieren und die Bilder dann hochladen, oder schreiben, dass ich heute Bauchschmerzen habe oder zum Zahnarzt gehe – so etwas schließe ich völlig aus. Darum stört mich auch so eine Beschimpfung wie „Angeber“, denn wertfrei betrachtet sind die sozialen Netze doch für nichts anderes da, als etwas anzugeben: Ich teile mit, wenn ich etwas gemacht habe, worauf ich stolz bin, oder etwas machen werde, worauf ich mich freue. Und das hat zum Zweck, mein Image aufzuwerten – wenn ich bei der Berlinale in der Jury sitze und darum Zeit mit Meryl Streep verbringe, dann halte ich diesen Moment fest, teile ihn im Netz und hoffe, dass Leute daher auf mich aufmerksam werden, ich ihr Interesse gewinne und sie danach eine Karte für meine Kinofilme oder Theaterstücke erwerben. Das ist doch ganz unverfänglich von mir.

Erfolgt das bei Ihnen aus eigenem Antrieb oder besteht dahingehend ein Druck seitens Agenturen, Produktionsfirmen, und so weiter ..?
Nein, ich mach das aus ganz freien Stücken. Das kam noch nie vor, dass bei mir in der Agentur über so etwas gesprochen wurde und ich würde mich auch dagegen wehren – von solchen Social-Media-Strategien halte ich nichts.

Wir können uns da vielleicht nicht hineinversetzen, aber viele Zuschauer haben Berührungsängste mit dem deutschen Film – abgesehen von Filmen wie denen, die Schweiger und Schweighöfer machen. Die haben es irgendwie geschafft, diese Mauer der Abneigung zu durchbrechen.
Lars Eidinger
Dass Sie nicht dringlich darum gebeten werden, auf den sozialen Plattformen ein bisschen Werbung zu machen, ist aber auch nicht gerade eine Selbstverständlichkeit, wie ich so höre …
Ja, ich höre auch regelmäßig davon, dass hie und da diese Strategie verfolgt wird. Letztlich belegt das, was ich eben meinte: Die Follower in den Netzwerken sind eine spekulative Masse, die mobilisiert werden soll. Nur, dass ich mehr davon halte, wenn dies freiwillig geschieht. Es gibt ja auch viele Kollegen, die ihre Seiten nicht selber betreiben … Das ist nicht so richtig meine Welt, ich halte mich da eher raus. Und ich hatte zum Glück nie die Situation, dass dies Einfluss auf eine Karriere hatte – mir ist es noch nie vorgekommen, dass ich mich für eine Rolle beworben habe, und es daraufhin hieß: „Sorry, du bist zwar ein toller Schauspieler, doch du hast zu wenig Follower auf Instagram.“

In Ihrer Vita stehen auch vereinzelte Genreproduktionen wie «Hell» – und da wir gerade beim Thema Popularität sind: Deutsches Genrekino erfreut sich nicht gerade der größten Beliebtheit. Wo rührt das Ihrer Einschätzung nach her?
Bei dem Film habe ich tatsächlich einige der Kommentare unter den Trailern gesehen – und da hieß es primär: „Bah, deutscher Film, dann noch in dem Genre!“ Wir können uns da vielleicht nicht hineinversetzen, aber viele Zuschauer haben Berührungsängste mit dem deutschen Film – abgesehen von Filmen wie denen, die Schweiger und Schweighöfer machen. Die haben es irgendwie geschafft, diese Mauer der Abneigung zu durchbrechen – ansonsten werden viele Leute jeden US-Film einem deutschen vorziehen.

Ich kann mit einem Film wie «Alle anderen» keine drei Millionen Menschen ins Kino locken, so viele spricht der einfach nicht an. Das spricht jedoch nicht gegen den Film, gegen das deutsche Kino oder den Markt. Das spricht höchstens gegen die Leute da draußen.
Lars Eidinger
Wie kann man in der Sache dagegen steuern?
Wer sagt denn, dass wir das müssen? Mich stört das nicht. Ich find’s gut, wie es ist. Ich bin am Theater ganz andere Größenordnungen gewohnt – da sitzen im «Richard» 270 Leute am Abend und 500 Leute im größeren Saal bei «Hamlet». Und ich gehe schon damit d’accord, was stören mich da Kinobesucherzahlen, die zwar nicht mit der Hollywood-Ware mithalten können, aber dennoch viel größer sind als beim Theater? Generell finde ich, dass die Quantität beim Publikum eine untergeordnete Bedeutung hat. Ich brauche nicht die große Masse – die interessiert mich nicht. Die Leute, die eine gewisse Zeitung lesen, die hier nicht genannt werden muss, und sie damit zur auflagenstärksten dieses Landes machen – das sind nicht die Menschen, für die ich Kunst mache. Mein Publikum ist ein kleinerer, elitärerer Kreis, und das ist für mich völlig in Ordnung. Ich bin ja kein Missionar, ich möchte die Leute nicht zu besseren Menschen machen. Die Leute dürfen so bleiben, wie sie sind. Und die einen machen halt ihr Ding, und mit den anderen setze ich mich auseinander. So funktioniert das halt.

Ich kann mit einem Film wie «Alle anderen» keine drei Millionen Menschen ins Kino locken, so viele spricht der einfach nicht an. Das spricht jedoch nicht gegen den Film, gegen das deutsche Kino oder den Markt. Das spricht höchstens gegen die Leute da draußen. Wenn ich am Ring in Wien bin, und da ist ein schönes Kaffeehaus, und es ist leer, und das McCafé nebenan platzt aus allen Nähten, was kann ich schon dagegen tun, außer zu erkennen, dass die Leute zu dumm sind, den Kaffee im Kaffeehaus zu probieren, der dasselbe kostet, aber tausendmal besser ist? So funktioniert es auch im Kino oder in der Politik. Wenn die Leute meinen, dem Clown ihr Geld hinzuschmeißen, die AfD zu wählen oder Donald Trump, dann sollen die das machen. Ich kann die nicht missionieren, ich kann sie nicht belehren – aber im Idealfall kriegen die Leute das, was sie wollen, sehen dann, was sie davon haben und mich geht das nicht weiter was an.

Ich bin da fatalistisch aufgestellt, ich habe erkannt, dass die meisten Menschen unverbesserlich dumm sind. Wenn Kunst Gesellschaft verändern könnte, dann hätte ein William Shakespeare oder ein Bertolt Brecht das vollbracht. Stattdessen arbeiten wir uns seit Jahrhunderten an den immer gleichen Konflikten ab.
Lars Eidinger
Teilweise würde ich da zustimmen – jedem das, was er will und wovon er glaubt, dass es ihn glücklich macht. Wenn die Mehrheit schlechten Kaffee kauft, wen juckt’s. Aber: Wenn eine laute, dumme Masse ohne nachzudenken ins Verderben rennt, gibt’s trotzdem Situationen, wo man sie belehren sollte, oder? Wenn etwa die pöbelnde Meute die Regierung stellt, geht’s eben doch uns alle etwas an …
Machen wir uns nichts vor, die regiert eh schon. Das hatten wir mit «Terror – Ihr Urteil» ja schon: Da wurde der Zuschauer befragt, und wie vorab von Journalisten befürchtet wurde, hat sich die dem Grundgesetz widersprechende, verfassungswidrige Entscheidung durchgesetzt – dass es in Ordnung ist, das Flugzeug abzuschießen. Aber mehr als ein derart komplexes Thema transparent zu machen und den Zuschauer an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, kann man doch nicht machen. Ich bin da fatalistisch aufgestellt, ich habe erkannt, dass die meisten Menschen unverbesserlich dumm sind. Wenn Kunst Gesellschaft verändern könnte, dann hätte ein William Shakespeare oder ein Bertolt Brecht das vollbracht. Stattdessen arbeiten wir uns seit Jahrhunderten an den immer gleichen Konflikten ab und ich habe nicht die Hoffnung, dass diese Stoffe in den nächsten hundert Jahren an Relevanz verlieren werden.

Herzlichen Dank für diese spannende Unterhaltung.

«Familienfest» ist am 28. November ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen sowie bereits auf DVD erhältlich.
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27.11.2016 05:34 Uhr Kurz-URL: qmde.de/89615
Sidney Schering

super
schade


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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Quotermain
27.11.2016 08:45 Uhr 1
Ich finde das Interview hat mal gute Einblicke gebracht.

Allerdings ist etwas fragwürdig vom "kleinen _elitären_ Publikum" zu reden, und dann dann "Polizeiruf 110"- und "Tatort" in der Filmografie zu haben.



So sind sie halt die Berliner.

Der gebürtige Berliner Götz George hat ja auch irgendwann die Schimanski-Fans als "schlicht" (=Prolls?) bezeichnet und kleinere elitäre Dinge "nebenbei" produziert.
Nr27
27.11.2016 13:18 Uhr 2
Auch wenn Herr Eidinger das wohl nicht lesen wird ;) : Das war wirklich ein schönes, ehrliches, in die Tiefe gehendes Interview, in dem die Antworten eben tatsächlich merklich nicht nur auf PR-Blabla ausgerichtet sind - eher im Gegenteil. Daran dürften sich, wenn es nach mir geht, ruhig andere Interviewpartner eine Scheibe abschneiden.



P.S.: Ich fand "Hell" übrigens ganz gut (habe ihn allerdings auch nicht im Kino gesehen) - und bei der "Terror"-Abstimmung zählte ich zur klaren Minderheit ... :)
Quotermain
27.11.2016 18:11 Uhr 3




Ja, kein PR, daher wirkt das irgendwie ehrlich.

Etwas arrogant, aber ehrlich.

Daher auch keine Chance, ein neues Publikum zu bekommen.

Er kann z.b. "Hamlet" auswendig, aber wie soll man denn heute neue (junge?) Kundschaft kriegen, für so ollen (tollen) Stoff, wenn man a) manche Gruppen als (Internet)-Pöbel bezeichnet, oder b) irgendwer Elite ist, oder c) andere "nicht"-Elite sind (also, die mit Socialmedia, nur Eintrittsvieh?)?
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