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Frauenfreundlicher Ripper: Sat.1 jagt die weibliche Zielgruppe

Mit «Jack the Ripper – Eine Frau jagt einen Mörder» zeigt Sat.1 einen hochwertig produzierten historischen Thriller, der jedoch an inhaltlichen Schwächen leidet und zu harmlos bleibt.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Sonja Gerhardt, Falk Hentschel, Vladimir Burlakov, Sabin Tambrea, Peter Gilbert Cotton, Nicholas Farrel, Funda Vanroy u.v.m.

Hinter der Kamera:
Regie: Sebastian Niemann; Drehbuch: Holger Karsten Schmidt; Kamera: Gerhard Schirlo; Produktion: Pantaleon Films GmbH; Produzenten: Dan Maag, Matthias Schweighöfer, Marco Beckmann; Line Producer: Simon Happ; Koproduktion: Fireworks Entertainment GmbH; Koproduzent: Marian Redmann; Redaktion SAT.1: Yvonne Weber
Am meisten Spaß haben Film und Fernsehen an ungelösten Kriminalfällen. Diese sind es, bei denen naturgemäß besonders intensiv Mythen gebildet und spektakuläre Details hinzugedichtet werden. Eine wahre Freude für alle Autoren, die sich bei der Behandlung der Fälle kreative Freiheiten lassen und sich die Geschichte dramaturgisch ansprechend zurechtlegen können. Deshalb fasziniert auch die historische Person „Jack the Ripper“ die Medien wie kaum ein anderer Serienmörder. Zahlreiche verschiedene Werke, unter anderem aus dem Bereich der Unterhaltungsromane, der Belletristik und der Graphic Novels, arbeiteten die Morde an mindestens fünf Prostituierten im Londoner East End des Jahres 1888 schriftlich und bildlich auf. In Sachen Bewegtbild zählt die Golden Globe-prämierte Miniserie «Jack the Ripper – Das Ungeheuer von London» mit Michael Caine (1988), „Jack the Ripper – Der Dirnenmörder von London“ (1976) oder der Johnny Depp-Film „From Hell“ zu den bekanntesten Produktionen. Mit diesen muss sich nun eine Sat.1-Produktion messen: Zur besten Sendezeit am 29. November 2016 geht beim Münchner Sender «Jack the Ripper – Eine Frau jagt einen Möder» auf Sendung.

Der Unterschied zu anderen Filmen besteht hierbei in der weiblichen Protagonistin. Während in den gängigen Produktionen über den Londoner Killer nämlich meist die ermittelnden Kommissare im Fokus stehen, folgt die Handlung des Sat.1-Eventfilms einer jungen Frau, die dem „Ripper“ aufgrund persönlicher Motive das Handwerk legen will: Die deutsch-stämmige Anna Kosminki (Sonja Gerhardt) will 1888 im Londoner Whitechapel ein neues Lebenskapitel beginnen und ihrer Mutter und dem Bruder in die englische Hauptstadt folgen. Kurz nach der Ankunft folgt sogleich der Schock: Ihre Mutter ist verstorben und ihr Bruder Jakob (Vladimir Burlakov) wurde in eine Irrenanstalt eingewiesen. Ihm werden die „Ripper“-Morde an fünf verstümmelten Prostituierten zur Last gelegt. Für die unkooperativen Polizeibeamten scheint der Fall klar zu sein, schließlich fand man die Leiche der Prostituierten Mary Jane Kelly (Funda Vanroy) in Jakobs Bett. Mit Jakobs Freund David Cohen (Sabin Tambrea) und Inspector Frederick Abberline (Falk Hentschel) findet die junge Frau im Gegensatz zum sturen Chief Inspector Ronald Briggs (Peter Gilbert Cotton) zwei Verbündete für die Jagd nach dem Frauenmörder, schließlich kann ihr sanftmütiger Bruder es nicht gewesen sein. Doch schnell rutscht Anna selbst ins Fadenkreuz des „Rippers“ …

«Jack the Ripper – eine Frau jagt einen Mörder» – ein Titel, der sofort stark an den Fritz Lang-Film «M – Eine Stadt sucht einen Mörder» erinnert. In beiden Filmen geht es um die Aufklärung einer Mordserie. Dass der Sat.1-Film ebenfalls das Potenzial hat, ein über die Landesgrenzen hinaus geschätzter Klassiker zu werden, darf jedoch bezweifelt werden. Dabei überzeugen die visuellen Schauwerte von Minute eins an. Matthias Schweighöfers Pantaleon Films («Vaterfreuden», «Der geilste Tag») steht hinter dem neuen Sat.1-Thriller, während «Hui Buh»-Regisseur Sebastian Niemann den düsteren Stoff für die Dienstags-Primetime des Münchner Senders inszenierte. Ein kinoerfahrenes Gespann, dem man so ein Prestige-Projekt guten Gewissens ans Herz legen und ihm obendrein ein ordentliches Budget zur Verfügung stellen kann. Und keine Frage: Ausstattung und Kulissen wirken hochwertig und kommen den bekannten „Jack the Ripper“-Adaptionen recht nahe, auch die Kamerarbeit von Gerhard Schirlo fällt positiv auf.

«Jack the Ripper – eine Frau jagt einen Mörder» reiht sich nach der «Wanderhuren»-Trilogie, dem «Hebammen»-Doppel oder dem 2015 erschienenen «Mordkommission Berlin 1» in die aufwendigen Sat.1-Fiction-Produktionen der vergangenen Jahre ein. Während die beiden erstgenannten Filme in der Dienstagsprimetime zum Quoten-Hit wurden, hatte man es bei letzterer Produktion jedoch mit einer mittelgroßen Enttäuschung zu tun. Dies hat mit einem Umstand zu tun, der «Jack the Ripper» letztlich nicht zum packenden Thriller mit Grusel-Elementen werden lässt: Der Sendeplatz zur besten Zeit am Dienstag ist traditionell für ein größtenteils weibliches Publikum ausgelegt. Mit unzähligen RomComs, die dort in den vergangenen Jahren ihre Heimat fanden, hat Sat.1 dies selbst etabliert – häufig mit Quotenerfolgen als Resultat. «Mordkommission Berlin 1» bildete ein faszinierendes Panoptikum des Berlins der 1920er Jahre ab, ging neue Wege, hatte diesen Fokus im Vergleich zur «Wanderhure» und der «Hebamme» mit ihren weiblichen Protagonistinnen aber nicht. Mit «Jack the Ripper – eine Frau jagt einen Mörder» besann sich Sat.1 wieder auf die Kernzielgruppe am Dienstagabend – mit inhaltlichen Folgen.

Zwar wurden die wenigen Spannungsmomente und vereinzelten Schocker im Fall durchaus effektiv inszeniert, insgesamt bleibt der Eventfilm jedoch viel zu harmlos, als dass er die Blutrünstigkeit des Londoner Mörders fesselnd auf die heimischen Bildschirme übertragen kann. Zu sehr hält sich Autor Holger Karsten Schmidt an konventionelle und sehr schlichte Erzählmuster sowie die wenig ergiebige Heldinnenreise der Protagonistin, wie sie schon in bereits erwähnten Sat.1-Filmen zum Erfolg führte. An einigen Stellen wirkt der Film sogar regelrecht klischeehaft, beispielsweise beim Besuch des in Thrillern häufig abgebildeten Irrenhauses mit langen Gängen und offenen Zimmern, aus denen heraus die Insassen die Anstaltsbesucher drangsalieren, natürlich auch mit kompromisslosen Ärzten, die die Irren kurzerhand lobotomisieren – eine Praktik, die obendrein erst über 40 Jahre später erstmals an Menschen durchgeführt wurde. Ein Anachronismus, genauso wie die Thematisierung des Medium Films, das im Thriller eine nicht zu unterschätzende Rolle einnimmt.

Zur Jägerin des Aufschlitzers macht man im Film die fiktive Schwester der tatsächlichen historischen Persönlichkeit Jakob Kosminski, der im 19. Jahrhundert zum Verdächtigenkreis im Zuge der „Ripper-Morde“ zählte. Mit Sonja Gerhardt verpflichtete man eine Darstellerin, die von vielen als Shootingstar der deutschen Schauspiellandschaft gehandelt wird. Auch Gerhardt, die zuletzt in «Deutschland 83» und «Ku‘ damm 56» überzeugte, kann der eindimensional angelegten Anna Kosminski jedoch nicht viel abgewinnen. Ihrer Einführung widmet man im 100-Minüter zu wenig Zeit und nimmt lieber Abkürzungen, um Anna als taffe, entschlossene und ungewöhnlich eigenständige Frau einzuführen, sodass die überzogene Dramatik des Bruder-Schwester-Verhältnisses nie wirklich mitreißt.

Unterdessen bleiben die Männerfiguren des Films noch blasser. Ganz im Whodunit-Stil wirkt es, als wolle man möglichst viele Charaktere einführen, um den Rätselspaß zu erhöhen. Schließlich ist klar, dass sich hinter einem letzten Endes der „Ripper“ verbirgt. Keiner der Beteiligten hat jedoch je den Status des für die Zuschauer Hauptverdächtigen inne, an dem Zuschauer sich reiben könnten. Den vielen Charakteren widmet «Jack the Ripper» schlicht zu wenig Zeit, sodass die Zuschauer dem doch sehr überraschenden Finale mit einer sogar recht raffinierten Meta-Ebene wohl eher gleichgültig begegnen. Obendrein verstrickt die Geschichte Anna noch in ein Liebesdreieck, das jedoch zu keinem Zeitpunkt auch nur einen Hauch von Romantik versprüht.

«Jack the Ripper – Eine Frau jagt einen Mörder» will viel sein: Thriller im historischen Gewand, ein Krimi, der einen stark mythisierten Serienkiller in neuem Licht zeigt, ein bisschen Liebesgeschichte, aber auch ein dramatischer Stoff mit einem starken weiblichen Lead. Inhaltlich verrennt sich der Sat.1-Film jedoch, dabei kommt der Film von Beginn an visuell ansprechend mit hohem Production Value einher. Zu sehr orientiert sich der Eventfilm an seiner vorwiegend weiblichen Zielgruppe, wobei die für den Stoff typische Intensität auf der Strecke bleibt - vielleicht genau das, was die meisten Sat.1-Zuschauer um diese Zeit sehen wollen? Ausgemachte Genre-Freunde werden abschalten, trotzdem könnte der Film am Sat.1-Dienstag quotentechnisch auf sich aufmerksam machen.

Sat.1 zeigt «Jack the Ripper - Eine Frau jagt einen Mörder» am Dienstag, dem 29. November 2016 ab 20.15 Uhr.
24.11.2016 15:39 Uhr Kurz-URL: qmde.de/89524
Timo Nöthling

super
schade


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