Und täglich stirbt Bjarne Mädel hier: Der «Tatortreiniger»-Hauptdarsteller spielt in der TV-Tragikomödie «Wer aufgibt, ist tot» einen Spiegelvertreter und Familienvater, der versucht, seinen Todestag umzuschreiben.
Cast & Crew
- Regie: Stephan Wagner
- Darsteller: Bjarne Mädel, Katharina Marie Schubert, Amber Bongard, Friederike Kempter, David C. Bunners, Charlotte Bohning, Viola Pobitschka, Oliver Bröcker, Fritz Roth
- Drehbuch: Christian Jeltsch
- Kamera: Thomas Benesch
- Schnitt: Susanne Ocklitz
- Musik: Ali N. Askin
- Produktionsfirma: carte blanche
Der Spießbürger Paul Lohmann (Bjarne Mädel) lebt mit Scheuklappen in den Tag hinein. Auch in den 9. Oktober. Den Tag, an dem er sterben soll: Bei einem waghalsigen Überholmanöver in einem Tunnel wird sein Auto von einem Lastkraftwagen überrollt. Doch der Taubenzüchter, Ehemann, Vater und strebsame, vom Chef jedoch wenig geachtete Spiegelvertreter sieht nicht ein, ins Licht am Ende dieses Tunnels zu schreiten und somit abzutreten. Stattdessen bekniet er seinen Engel (Friederike Kempter) um eine erneute Chance. Die soll er haben. Und noch eine. Und noch eine. Und noch eine. So lange in der wahren Zeitebene nicht Pauls Tod ausgerufen wird, kann er durch Zeit und Raum zurückreisen und am Lauf der Dinge herumdoktern. Wie er dabei herausfindet, wird er allerdings von weitaus mehr Problemen verfolgt als vom tragischen Umstand, dass er am 9. Oktober gegen 11.43 Uhr in einen wohl tödlichen Unfall verwickelt wird – ganz gleich, wie sehr er seinen Tagesablauf ändert.
Über dem Konzept hinter «Wer aufgibt, ist tot» schwebt überdeutlich Harold Ramis' Meilenstein «Und täglich grüßt das Murmeltier» mit Bill Murray in einer seiner besten Rollen. Dort macht ein arroganter Wetteransager immer und immer wieder denselben Tag durch – und nutzt dies zwischendurch für Schabernack oder Selbstbestrafung, aber auch, um seine Aufnahmeleiterin kennen und lieben zu lernen. Von der Zeitschleife abgesehen übernimmt «Wer aufgibt, ist tot» primär nur eine einzelne Idee aus dem Evergreen von 1993: Wenn der große Schicksalstag (hier der 9. Oktober, bei Ramis und Murray der 2. Februar) beginnt, ertönt stets derselbe Popsong. „I Got You Babe“ beim Spießroutenlauf von Wetterfrosch und Murmeltier, Fools Gardens „Lemon Tree“ bei Bjarne Mädels wenig über sich selbst reflektierenden Spiegelverkäufer.
Von dieser durchaus auch als Querverweis interpretierbaren Parallele abgesehen, entwickelt «Wer aufgibt, ist tot» alsbald eine ganz eigene Identität. Nicht nur, weil Paul Lohmann nicht allein den Tag seines Todes wiederholt durchmacht – sein Engel erlaubt es ihm, auch weiter zurückzureisen, um schon früher die Weichen für einen glimpflicheren Ausgang zu stellen. Zumindest in der Theorie. Denn der von Bjarne Mädel mit herrlicher Trockenheit und einem trottelig-normalbürgerlichem Charme gespielte Lohmann versagt immer und immer wieder – woraus Regisseur Stephan Wagner («Der Fall Jakob von Metzler») nicht nur viel Witz (mal spröde, mal süffisant) zu ziehen versteht.
Wagner formt nach einem
Drehbuch von Christian Jeltsch («Tatort – Der hundertste Affe») aus der vertrackten Trial'n'Error-Story vor allem eine emotionale Geschichte. Anders als der philosophisch-romantische Murmeltiertag ist diese TV-Tragikomödie jedoch eher eine Erzählung über Selbsterkenntnis: Durch das Ankämpfen gegen die akuten Dinge, die ihn auf die Intensivstation gebracht haben, erkennt Lohmann endlich, dass er innerlich schon länger tot war. Als Vater desinteressiert, in seinem Arbeitsleben eingefahren und ignorant gegenüber seinen Eheproblemen.
Dass diese innere wie äußere Reise Lohmanns nicht zu einer Plattitüden-Tour verkommt, ist einerseits den (je nach Stimmung des Protagonisten) pointierten bis einfühlsamen Dialogen zu verdanken, andererseits der emotional zweischneidigen Inszenierung: Wagner hat die skurril-alltäglichen Dinge im Blick, nutzt die abgefahrene Prämisse aber auch für überzeichnete Bilder, sowie Wiederholungen, die durch den Kontext andere Stimmungen verpasst bekommen. Vor allem ist es aber das engagierte Ensemble, das die eingangs als Pappkameraden angelegten Personen in Lohmanns Leben Stück für Stück mit Persönlichkeit und Widerhaken anreichert. Insbesondere die weit reichenden emotionalen Facetten, die Katharina Marie Schubert als desillusionierte Gattin Edith zeigt, hinterlassen Eindruck – aber auch Friederike Kempter gibt eine tolle Performance ab: Ihr Ansatz, aus dem Engel ein streng-galantes Wesen mit subtilem Humor anzulegen, bereichert diese Komödie enorm.
Fazit: Humorvoll, nachdenklich und charmant: «Wer aufgibt, ist tot» mag sich grob an einem großen Filmklassiker orientieren, dennoch ist es ein rares Juwel im Bereich der ARD-Fernsehkomödie.
«Wer aufgibt, ist tot» ist am Freitag, den 18. November 2016, ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
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