Die glorreichen 6: Horror aus deutschen Landen (Teil V)
Schaurig oder brutal. Makaber oder bitterböse. Dunkelromantisch oder fies exzessiv. Aber auf jeden Fall deutsch: Wir reisen querbeet durch die hiesige Horror-Filmwelt. Weiter geht es mit dem filmhistorischen Meilenstein «Das Cabinet des Dr. Caligari».
Die Handlung
Filmfacts «Das Cabinet des Dr. Caligari»
Regie: Robert Wiene
Drehbuch: Hans Janowitz, Carl Mayer
Produktion: Rudolf Meinert, Erich Pommer
Darsteller: Werner Krauss, Conrad Veidt, Friedrich Fehér, Lil Dagover, Hans Twardowski
Musik: Giuseppe Becce
Kamera: Willy Hameister
Erscheinungsjahr: 1920
Laufzeit: 71 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Zwei Männer erzählen sich schaurige Anekdoten. Der Ältere wurde nach eigener Angabe von Geistern aus seinem Haus vertrieben. Der Jüngere entgegnet mit einer weitaus seltsameren Geschichte: In seiner alten Heimatstadt trieb sich der wahnsinnige Dr. Caligari um, der tagsüber einen groß gewachsenen, blassen Mann auf dem Jahrmarkt als Wahrsager vorführte. Nachts jedoch nutzte Dr. Caligari seinen hypnotischen Einfluss auf den Schlafwandler namens Cesare aus, um ihn dazu zu bringen, brutale Morde zu begehen. Als Francis dies in Erfahrung brachte, begab er sich durch seine Ahnung selber in Lebensgefahr …
Was für ein Horror?
«Das Cabinet des Dr. Caligari» ist nicht einfach irgendein Horrorfilm, sondern in den Augen mancher Filmhistoriker sogar der Horrorfilm. In keinem vor diesem Meilenstein von 1920 entstandenen Film zielen es die generelle Bildästhetik, die übernatürliche Handlung und die für ihre Zeit revolutionären Effekte dermaßen darauf ab, dem Publikum eine Gänsehaut einzujagen. Zudem greift «Das Cabinet des Dr. Caligari» einem in späteren Dekaden wiederkehrenden roten Faden im Horrorgenre vorweg: Die vom Ersten Weltkrieg erschütterten Drehbuchautoren Hans Janowitz und Carl Mayer verarbeiteten im Skript auf andersweltliche Weise ihre Abscheu vor Autorität . Selbst wenn Filmhistoriker darüber streiten, wie konkret Janowitz und Mayer die politische Entwicklung hin zum Nationalsozialismus prognostiziert haben, und ob die Rahmenhandlung diesen Aspekt unterwandert, so teilt sich «Das Cabinet des Dr. Caligari» seinen Hang dazu, mörderisch auf den Zeitgeist einzugehen, mit zahllosen auf ihn folgenden Horrorfilmen.
Die 6 glorreichen Aspekte von «Das Cabinet des Dr. Caligari»
Der von zahlreichen Filmhistorikern aufgrund seines Einflusses auf das Medium neben solche Klassiker wie «Citizen Kane» oder «Panzerkreuzer Potemkin» gestellte Stummfilm «Das Cabinet des Dr. Caligari» gilt als Begründer einer ganzen Stilrichtung: Dem Deutschen Expressionismus. Die Kulissen des Films sind bewusst stilisiert. Kunstvolle, skurrile Bauten und Malereien, die mit verwinkelten Linien, scharfen Schattenwürfen und zackigen Kanten ausgestattet sind, die der Bühnenhaftigkeit sonstiger Studiokulissen der frühen Filmära entgegenwirken. Statt beim Versuch, mit geringen Mitteln und noch unerprobter Technologie Realismus zu erzeugen, zu scheitern, entscheidet sich Regisseur Robert Wiene für eine auffällig künstliche Welt, die seinen Regeln gehorcht.
Somit ist «Das Cabinet des Dr. Caligari» ein bahnbrechender Schritt für die Filmkunst: So vehement und effektiv hat bis dahin kein anderer Film eine eigene Fantasiewelt erschaffen, die das Publikum gewissermaßen in den Kopf der Figuren versetzt. Die jegliches perspektivisches Empfinden herausfordernden Kulissen, die zahlreichen Spiralformen, die der Regisseur ins Bild nimmt, sowie die dominierenden, aufeinander zulaufenden Schwarzflächen erzeugen ein Gefühl der steten Bedrohung und Verfolgung. Insofern operiert «Das Cabinet des Dr. Caligari» nach einer nebulösen Traumlogik, wodurch die wenigen Szenen der Geborgenheit so berückend, und die für die Figuren gefährlichsten Momente besonders beengend vermittelt werden – dies hebt den auf der Handlungsebene zugänglich strukturierten Horrorstoff zu einem Gesamtkunstwerk empor.
Dies intensiviert sich dadurch, dass selbst die Zwischentitel in diesem Stummfilm kunstvoll gestaltet sind, wodurch sie als Ergänzung der düster-hypnotischen Erzählung fungieren, statt als funktionales, unvermeidliches Übel. Diese für längere Zeit unberechenbare Geschichte über die Verführungskraft skrupelloser Menschen, die ihrer offensichtlichen Gefährlichkeit zum Trotz ihr Umfeld in ihren Bann ziehen, könnte nicht ohne Werner Krauss‘ manische Performance aufgehen: Der Caligari-Darsteller nutzt sein schauriges Auftreten, um eine expressionistische, getragene Schauspielleistung abzuliefern, die schrill und gerade daher überwältigend ist. Diese Darstellung gewinnt dadurch, dass einige, prägnant gewählte Szenen in Grün-, Blau- und Brauntönen erstrahlen zusätzlich an magnetischer, albtraumhafter Wirkung – womit «Das Cabinet des Dr. Caligari» für aufgeschlossene Filmfreunde auch über die historische Relevanz hinweg überaus sehenswert ist.
«Das Cabinet des Dr. Caligari» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich.
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