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«Black Mirror»: Die Zukunft holt uns ein

Welche Auswirkungen haben Social Media, Smartphones oder Virtual Reality auf unser Leben? Auch die dritte Staffel «Black Mirror» malt ganz schön schwarz – und rückt näher an unsere Realität heran. Über ein beängstigendes Serien-Meisterwerk.

Cast & Crew

  • Idee: Charlie Brooker
  • Darsteller: Bryce Dallas Howard, Hannah John-Kamen, Alex Lawther, Jerome Flynn u.a.
  • Regie: Joe Wright, Dan Trachtenberg u.a.
  • Ausf. Produzenten: Charlie Brooker, Annabel Jones
  • Produktion: House of Tomorrow für Netflix
  • Episoden: 6 in Staffel 3 (Staffel 4 bestellt)
Als TV-Produzent Charlie Brooker vor fünf Jahren die Idee zu «Black Mirror» hatte, schien vieles weit weg: Der Pessimismus, den er unserer digitalen Mediengesellschaft zuschrieb, war noch ferne Dystopie. Die Probleme, die er ansprach – weit weg von den zelebrierten Vorteilen, die das Internet mit sich bringt. Zwei Staffeln von «Black Mirror» gab es 2011 und 2013, damals ein Geheimtipp des britischen Serienkosmos. Jede Folge steht für sich, erzählt eine andere Geschichte mit anderen Charakteren.

Blickt man heute zurück, kommt die düstere Zukunftsvision bereits gefährlich nahe: Die viel beachtete Folge „The Entire History of You“ erzählt von einer Gesellschaft, in der Menschen ihr gesamtes Leben auf Band haben. Das Auge zeichnet alles auf, was es sieht. Schöne Momente erleben wir so immer wieder, aber auch Traumata, negative Begegnungen. Der Druck zur Selbstoptimierung steigt, weil Fehler nicht mehr vergessen werden können. Heute, fünf Jahre nach dieser «Black Mirror»-Folge, gibt es erste Ansätze einer solchen Technologie, die ganzes Leben aufzeichnen kann. Entsprechende Nano-Kameras werden beispielsweise bei Crowdfunding-Diensten wie Kickstarter erfolgreich, das Projekt „Google Glass“ ist nur aufgeschoben statt aufgehoben. Es ändert sich so viel so schnell, dass es durchaus wert ist, die klassischen «Black Mirror»-Episoden zu rekapitulieren. Und sich dabei zu fragen, wie nahe unsere Realität eigentlich schon an diese Fiktion herangerückt ist.

Seit dem Start der Serie vor fünf Jahren ist also viel passiert. Die nun erschienene neue dritte Staffel, diesmal von Netflix produziert, thematisiert das Aktuelle: Eine Folge erzählt von einem Survival-Horror-Spiel, das auf augmentierter Realität basiert (Stichwort Pokemon Go). Dies allerdings ohne Smartphone, ohne Brille, stattdessen mit einem Implantat, das die Gruselgestalten direkt im Gehirn des Spielers erschafft. Bis dieser Spieler fast wahnsinnig wird aufgrund des hyperrealistischen Settings.

Derzeit bastelt Microsoft mit der HoloLens an einer Brille, die entsprechende Spiele ermöglicht. Sony hat kürzlich mit der Playstation VR ein Virtual-Reality-Gerät auf dem Massenmarkt platziert. Diese Technologien stecken noch in den Kinderschuhen, aber sie zeigen das Potenzial und die Richtung an, in die es gehen kann. «Black Mirror» verdeutlicht, dass diese Richtung nicht immer farbenfroh sein muss. Eine weitere Episode zeigt uns eine Gesellschaft, in der das eigene Social-Media-Rating (von 1 bis 5) zur wichtigsten Währung gekommen ist: Je höher das Rating, desto bessere Jobchancen, medizinische Versorgung, desto bessere Freunde. Es entstehen Klassengesellschaften und gleichgeschaltete Menschen, die Angst vor der eigenen Meinung haben. Denn Kritik bringt Downvotes.

Ganz so schlimm ist die Social-Media-Gesellschaft vielleicht nicht, in der wir leben. Schließlich ermöglichen Twitter und Co. auch neue Formen der Aufklärung und des Diskurses. Dennoch funktionieren diese Netzwerke grundsätzlich so, wie «Black Mirror» es uns zeigt: nämlich primär über Aufmerksamkeit und Likes, die es zu erkämpfen gilt. Je mehr davon, desto mächtiger wird der User. Dasselbe gilt für Informationen – eine weitere Währung, die durch das Internet einen neuen Stellenwert erfahren hat. Und die zum Verhängnis werden kann: Sobald sensible Daten an die falschen Hände geraten, macht man sich erpressbar. Einige Menschen geraten daher in die Hände annonymer Hacker, die damit drohen, Informationen zu leaken: Prostituiertenbesuche, Videos von sexuellen Aktivitäten.

Das perverse Spiel um Erpressbarkeit und Macht mit digitalen Daten dürfte auch jetzt schon in unserer Gesellschaft oft genug gespielt worden sein. Und so ist die dritte «Black Mirror»-Staffel noch beängstigender, noch provokanter als die früheren Geschichten. Die neuen Folgen sind zumeist länger als damals, dauern oft eine Stunde. Manche Folge hätte eine kürzere Laufzeit vertragen, generell aber schafft das Format den Spagat zwischen Spannung und Atempause meisterlich. Zumeist werden die zehn bis fünfzehn zusätzlichen Minuten elegant für eine tiefere Charakterisierung der Figuren genutzt. Erzählerisch und dramaturgisch ist «Black Mirror» dadurch noch stärker als in früheren Staffeln; es ist die beste bisher. Viele Folgen haben – wie damals – cineastisches Niveau, audiovisuell und schauspielerisch. Und schließlich schafft «Black Mirror» vor allem eines: inmitten des ganzen Dramas zum Nachdenken anzuregen. Aber vorher wird die Laptop-Kamera zugeklebt.
23.10.2016 12:21 Uhr Kurz-URL: qmde.de/88906
Jan Schlüter

super
schade


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Tags

Black Mirror

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