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Die Kritiker: «Tatort - Die Wahrheit»

Ivo Batic ist aus dem Tritt, während Franz Leitmayr die SOKO allein leiten muss. Ein durchschnittlicher Krimi – allerdings mit äußerst starker Nebenhandlung.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Udo Wachtveitl als Franz Leitmayr
Miroslav Nemec als Ivo Batic
Ferdinand Hofer als Kalli Hammermann
Lisa Wagner als Christine Lerch
Stefan Betz als Ritschy Semmler
Robert Joseph Bartl als Dr. Matthias Steinbrecher
Luka Omoto als Ayumi Schröder

Hinter der Kamera:
Produktion: X Filme Creative Pool
Drehbuch: Erol Yesilkaya
Regie: Sebastian Marka
Kamera: Willy Dettmeyer
Produzent: Michael Polle
Ben Schröder will einem am Boden liegenden Obdachlosen wieder auf die Beine helfen. Eine Geste der Nächstenliebe – doch für Schröder geht sie tödlich aus. Der Mann sticht mehrmals auf ihn ein und flüchtet vom Tatort, Schröder verstirbt wenig später in der Klinik. Seine Witwe, eine Asiatin (genauer: Japanerin) – warum auch immer Batic und Leitmayr das immer so betonen – ist sehr von dem Attentat mitgenommen und will zunächst in München bleiben, wo sie täglich auf dem Präsidium aufkreuzt und neue Details zu Täter und Tathergang vorträgt, an die sie sich zu erinnern glaubt.

Um diese eher kontraproduktiven Einlassungen zu unterbinden, aber hauptsächlich, um ihr und ihrem Sohn auch eine persönliche Stütze sein zu können, gibt Batic ihr bald seine Telefonnummer und hält privat zu der Familie Kontakt. Batic und Ayumi Schröder (Luka Omoto) finden bald zu einem Rapport und helfen einander in Trauer und Verzagtheit: Batic quälen Schlaflosigkeit und Ohnmachtsanfälle, Angstzustände, Panikattacken und Selbstzweifel – letztere mitunter genährt von der Personalentscheidung des Dienstoberen, Leitmayr allein die Leitung der Sonderkommission zu übertragen. Batic ist aus dem Tritt. Das gefällt in dieser Folge: Wie er versucht, zu sich zu kommen, und mit sich wie mit höheren, abstrakten Werten hadert: Schicksal. Trauer. Und der titelgebenden „Wahrheit“.

Währenddessen spielt Leitmayr mit seiner Sonderkommission eine Runde Rashomon: Viele Zeugen haben viel gesehen, beschreiben aber leider alle völlig unterschiedliche Täter und Vorgänge. Die Münchner Polizei zieht alle Register, – Massen-DNA-Untersuchungen, Profiling, Resignationsanfälle von Leitmayr – kommt aber keinen Schritt weiter. Der Täter schlägt wieder zu, und die Ermittler kommen ihm immer noch nicht auf die Spur. Bald steht die Frage im Raum, ob er überhaupt zu fassen ist – und wie genau man es mit „der Wahrheit“ nehmen muss, um den verstörten Hinterbliebenen einen Weg aus der Verzweiflung aufzuzeigen.

Keine Frage: Dieser «Tatort» will thematisch am großen Rad drehen. Das gelingt ihm immer dann, wenn er den Fokus auf die einnehmenderen Charaktere legt: speziell den gebeutelten Batic und die traumatisierte Ayumi Schröder, mit denen das Drehbuch von Erol Yesilkaya eine schöne, traurige, tiefgreifende und frei von unnötiger Sexualisierung gehaltene Geschichte erzählt. Yesilkaya und Regisseur Sebastian Marka bleiben dicht an diesen Figuren und unterlassen es, Plots, Themen und Dialoge mit diffusen Allgemeinplätzen aufzuladen. „Die Wahrheit“ ist kein verwaschenes philosophisches Traktat, sondern vielmehr eine kleine allegorische Parabel, die etwas zu erzählen hat, was für diese Figuren wichtig und essentiell ist, es aber nicht unbedingt im Großen sein muss.

Der Krimi, die Tätersuche, Leitmayrs nimmermüdes und doch für ihn wie den Zuschauer ermüdendes Ermitteln wirken da eher wie Füllmaterial – für einen Krimi vielleicht notwendiges, für die einnehmende Geschichte um Batic und Ayumi Schröder jedoch entbehrliches. Diese Diskrepanz spiegelt sich auch in der Wahrnehmung der Darstellerleistungen wieder. Während Udo Wachtveitls Performance, wie der Plot, den er spielen muss, nach Münchner Business as Usual aussieht, nehmen einen Miroslav Nemec und Luka Omoto auf eine spannende Reise in die zerrissenen Seelen ihrer Charaktere mit, während Lisa Wagner in einer (narrativ weitgehend nutzlosen) Nebenrolle gefällt.

Die Wahrheit ist – das klingt an dieser Stelle plakativer als es dieser Film erzählt – nicht einfach. Dieser «Tatort» ist es auch nicht: Er gewinnt dadurch, dass er zwar über den Anspruch an einen Was-haben-wir-bis-jetzt-Krimi weit hinausgehen, sich aber nicht an zu hochtrabenden Themen verheben will und etwas zu sagen hat, was am normativ nicht unwichtigen Sonntagabendsendeplatz Gehör zu finden verdient. Doch gleichzeitig bleibt er unter seinen Möglichkeiten, wenn er seinen Diskurs über Wahrheit und seine feinsinnigen Betrachtungen zweier mitgenommener Figuren um einen weit weniger interessanten Krimi-Plot herumtänzeln lässt. Die Wahrheit liegt eben nicht irgendwo dazwischen.

Das Erste zeigt «Tatort – Die Wahrheit» am Sonntag, den 23. Oktober um 20.15 Uhr.
21.10.2016 12:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/88870
Julian Miller

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Die Wahrheit Tatort Tatort – Die Wahrheit

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