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Des deutschen Kinos Stiefkind: Der Genrefilm

Das deutsche Genrekino hat ein riesiges Imageproblem. Nicht einmal in einem solch erfolgreichen Horrorjahr wie 2016 ziehen nationale Produktionen abseits von RomCom und Weltkriegsdrama. Woran liegt das? Kinoexpertin Antje Wessels versucht sich an einer Analyse.

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Wir wollen an dieser Stelle gar nicht lange in die ewig gleiche Kerbe schlagen, das deutsche Kino könne qualitativ generell nicht mit jenem aus anderen Ländern – insbesondere dem US-amerikanischen – mithalten. Diese Verallgemeinerung tut der Vielfältigkeit nationaler Filmgefilde nämlich absolut Unrecht. Eine Sache lässt sich allerdings nur schwer unter den Teppich kehren: Das Prädikat „made in Germany“ ruft bei vielen Kinogängern den Gedanken an eine Einschränkung qualitativer Vorzüge hervor. Und wenn ein Film dieses Vorurteil dann doch einmal nicht bestätigt, wird unsereins gern dazu verleitet, diese Tatsache damit zu beschreiben, der Film hätte ja „so ganz und gar nicht deutsch“ gewirkt. Reichen der Look, die schauspielerischen Fähigkeiten und die technische Komponente des deutschen Kinos also generell nicht an großbudgetierte Produktionen aus Übersee heran?

Die Sache mit dem Budget


In einem Punkt stimmt es und man kann hier noch nicht einmal irgendwem einen Strick daraus drehen: Produktionskosten wie 120 Millionen US-Dollar für einen «Jason Bourne»-Film aufzubringen, mag einem Konzern wie Universal Pictures und den zugehörigen Produzenten möglich sein, da die anschließende Vermarktung weltweit erfolgt. Hierzulande sind das hingegen absolut utopische Zahlen. Zum Vergleich: Christian Alverts «Tschiller: Off Duty» musste mit einem Budget von gerade einmal 8 Millionen Euro auskommen. Doch obwohl der Kino-«Tatort» aufgrund seiner inhaltlichen Ausführung für ein äußerst gespaltenes Zuschauerfeedback sorgte, waren sich in einem Punkt trotzdem alle einig: Til Schweigers Leinwand-Eskapaden als Ermittler Nick Tschiller waren die Beschränkungen innerhalb der Produktionskosten optisch nicht anzusehen. Stellt man die «Edelstein-Trilogie» zum Vergleich daneben, die auf ein ähnlich niedriges Budget zurückgreifen musste, fällt der qualitative Unterschied sofort ins Auge. In allen Belangen, von den Computereffekten über das Setting bis hin zum Kostümdesign haben die visuellen Qualitäten hier allenfalls den Charme eines Fernsehformats, was im Jahre 2016 eigentlich kaum noch stimmt, da immer mehr Geld für gute TV-Serien ausgegeben wird. Es geht also im Grunde gar nicht darum, wie viel Geld man letztlich zur Verfügung hat, sondern darum, was man damit macht. Hier heißt es: Prioritäten setzen. Sonst sieht man einem lieblos animierten Wasserspeier (Stichwort: «Saphirblau») eben auch sehr genau an, dass das Budget hier bereits aufgebraucht war.

Wenn die Zuschauer etwas nicht wollen, dann wird es zwangsläufig schwerer für Filmemacher, Ideen aus diesem stiefmütterlich behandelten Genresegment bei den Geldgebern durchzudrücken; mittlerweile sind Projekte aus den Bereichen Fantasy, Horror und Thriller zum Risiko geworden, da nicht gesichert ist, dass diese wenigstens ihre Produktionskosten wiedereinspielen und im Idealfall auch noch Gewinn machen. Trotzdem gab es sehr wohl einige von ihnen, die auch während der Zeit, als der Ruf dieser Filmsparten schon längst von den Zuschauern geformt (und von den Kritikern bestätigt) wurde, ihren Weg auf die Leinwand fanden. Der Vampir-Thriller «Wir sind die Nacht» etwa, der ohne jedwede größere Werbekampagne und irgendeinen damaligen Schauspiel-Überpromi gerade einmal etwas mehr als 100.000 Besucher anzog. Baran bo Odars Hacker-Thriller «Who Am I» hatte sogar das Glück, ein Jahr nach «Fack ju Göhte» mit Elyas M’Barek werben zu können und scheiterte trotzdem an der Eine-Million-Marke. Von Simon Verhoevens Facebook-Horror «Unfriend» nahmen zwar immerhin knapp 300.000 Besucher Notiz; darüber hinaus stieß der Film auch bei Kritikern auf wohlwollende Reaktionen, doch ob der vollständig auf Englisch gedrehte Film dazu beitragen kann, das Image des deutschen Genrekinos zu stärken, wenn kaum einer realisiert, dass das hier tatsächlich eine durch und durch deutsche Produktion ist, ist fraglich. Überhaupt zieht es immer mehr nationale Filmemacher in ausländische Gefilde, um sich dort endlich so austoben zu können, wie es hierzulande nicht möglich wäre. Dass «Die Welle»-, und «Wir sind die Nacht»-Regisseur Dennis Gansel als Deutscher die «The Mechanic»-Fortsetzung realisiert hat, dürfte nur eingefleischten Filmliebhabern bekannt sein. Übrigens: Auch US-Blockbuster wie «R.E.D.» (Robert Schwentke) oder «Independence Day» (Roland Emmerich) wurden von Deutschen inszeniert, denen «Krabat»-Regisseur Marco Kreuzpaintner 2018 für sein Fantasydrama «Undying» nach Hollywood folgt.

Eine utopische Zukunftsvision?


Wir halten also fest: Deutsches Genrekino funktioniert immer dann, wenn es auf einer bekannten Romanvorlage basiert. Wenn es das allerdings nicht tut, wird es schwierig, denn in der Vergangenheit kam es zu oft vor, dass die Produktionen in puncto Qualität so weit hinter ihren US-amerikanischen Pendants zurück blieben, dass mit dem „made in Germany“-Siegel nicht mehr geworben werden konnte. Zum Einen, weil man auf Biegen und Brechen versuchte, ausländisches Kino mit wesentlich kleineren, finanziellen Mitteln nachzuahmen, zum Anderen, weil man es darüber versäumte, dem deutschen Genrekino eine eigene Identität zu geben. Im Ansatz erfolgreich kann man heutzutage also nur noch dann sein, wenn man einen Film inszeniert, der alles andere als deutsch aussieht. Wenn wir das positiv betrachten und als Synonym für "hochwertig" ansehen, sei gegen diese Entwicklung an dieser Stelle nichts einzuwenden. Das funktioniert allerdings nur, wenn auch tatsächlich ausreichend finanzielle Mittel investiert werden; die Inszenierung eines Genrefilms darf für die deutschen Studios nicht länger wie ein Experiment gehandhabt werden!

Wie man das hinbekommt? Verleiher und Produzenten müssten in den sauren Apfel beißen und ebenso selbstverständlich wie im Falle diverser deutscher RomComs Geld in die Hand nehmen, viel Marketingaufwand betreiben und hohe Kopienanzahlen zur Verfügung stellen, was sich in den ersten Monaten vielleicht noch nicht einmal rechnen würde. Doch auch ein Genrefilm kann nur gut sein, wenn ihm die besten Entstehungsumstände ermöglicht werden. Von einem guten Film erfährt der Kinogänger nur dann, wenn auch für ihn geworben ist und ein Ticket dafür löst er nur gern, wenn er dafür nicht immer erst in die nächstgrößere Stadt fahren muss, um ihn überhaupt sehen zu können. Und der Filmgourmet will all das auch gar nicht zehnmal im Monat. Lasst Qualität vor Quantität walten und realisiert ein bis zwei Herzensprojekte leidenschaftlicher Genrefilmer im Jahr, die hierfür dann aber auch jede Unterstützung verdient haben, die es gibt. Dann wird das Horror-, Thriller- oder Fantasykino zwar immer noch nicht von allen geliebt. Doch die, die es lieben, greifen dann vielleicht doch ganz gern mal zu einem Vertreter aus deutschen Landen, anstatt sich immer nur bei Good Old Hollywood zu bedienen.
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12.10.2016 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/88643
Antje Wessels

super
schade

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
12.10.2016 11:37 Uhr 1
Jepp, die Inszenierung eines Genrefilms darf nicht als Experiment gehandhabt werden, sehe ich auch so!!



Und, ist mir in letzter Zeit auch sehr oft aufgefallen und mußte sehr oft verwundert die Augen reiben, das immer mehr Deutsche Regie in Hollywood führen!
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