Das erste «ProSieben Auswärtsspiel» ist über die Bühne gegangen. Warum die Produktion das mutigste Experiment des Jahres ist, weshalb die Sendung in jedem Fall eine Zukunft hat und wo nachgebessert werden muss.
Stell dir vor, ProSieben macht eine Hausparty, stürmt die Bude mit 300 Leuten und bringt auch noch seine besten Buddys mit. Das sind dann die Musiker von The Boss Hoss, natürlich Frank Buschmann, Thore Schölermann, Guido Cantz, Palina, Elton, Teile des Managaments des Kanals und so weiter. So in etwa war das größte Fernsehexperiment in diesem Jahr - das «Auswärtsspiel», das der Sender in den vergangenen Tagen auf den unterschiedlichsten Wegen ganz massiv beworben hatte. Nicht wenige sagen: Das ist der wichtigste Show-Neustart der Münchner in diesem Jahr.
Zugegeben: Ganz neu ist die Idee ja nicht: Die große, bunte Fernsehwelt irgendwo ins Nirgendwo zu verlagern ist keine Erfindung von ProSieben und Produzent Endemol Shine. Ziemlich genau drei Wochen ist es her, dass Pay-TV-Sender Sky die Faszination der großen Glitzerwelt aus dem Fernsehen direkt zu ihren Zuschauern brachte. Mit dem Spiel des Lebens, bei dem eine Amateurmannschaft im Rampenlicht stand. Was Reichersbeuern bei Sky vor 21 Tagen war, wurde das kleine Örtchen Wöllstein am Samstagabend. Dort wohnt Marcus, den ProSieben zum Mittelpunkt seines herrlichen Chaos-Samstagabend-Spaßes machte.
Das Konzept der Show ist simpel erklärt: Statt ein Kandidat in die Sendung, die im Grunde genommen «Schlag den Raab», «Teamwork» und Co. ähnelt, kommt hier die Show ins Haus des Kandidaten. Und das Haus konnte sich im Falle von Marcus durchaus sehen lassen, wie die Twitter-Gemeinde, die die Liveshow fleißig begleitete, aufmerksam und nicht immer neidlos kommentierte. Denn zweifellos: Um eine solche Live-Produktion zu realisieren, bedarf es schon einer etwas größeren Bleibe, freilich mit einem Garten und mehr. ProSieben selbst hatte im Vorfeld der Sendung zugegeben, dass eine derartige Produktion im achten Stock eines Hochhauses schlicht nicht umsetzbar wäre. Ziel: Der Kandidat spielt in jeder Runde um Pfeile und um Sachpreise (verliert der Kandidat, gehen die Sachpreise via Telefonvoting an einen TV-Zuschauer). Ganz am Ende ist ein Ballon mittels der erspielten Pfeile zum Platzen zu bringen. Klappt das, schüttet ProSieben 100.000 Euro an den Kandidaten aus.
Hier ist das Fernsehen - hier ist das Chaos
Der Aufwand, den Sender und Produzent für die über vierstündige Live-Show betrieben, war enorm. Es wurde quasi während die Show lief eine ganze Straßenzeile hergerichtet und fit gemacht für die vielen Spiele. Der erhöhte Aufwand bestand darin, dass sich Vieles im Vorfeld nicht proben ließ. Und genau das ist eigentlich die größte Stärke des Konzepts. Endlich war da mal wieder etwas, das echt war, authentisch und absolut unvorhersehbar. In einer Zeit, in der Live-Fernsehen sowieso auf dem Rückmarsch ist und sich Sender vor unkonventionellen Experimenten scheuen wie der Teufel das Weihwasser, ist genau das unglaublich wohltuend und bedarf einer ordentlichen Portion Mut.
Das soll nicht verschleiern, dass das Chaos weite Teile der Sendung regierte: So geordnet Studioshows inzwischen dank perfektionistischer Vorbereitung (und der Möglichkeit des Schnitts bei Aufzeichnungen) ablaufen, so planlos wirkte das «Auswärtsspiel». Erfrischend anders, aber eben auch ziemlich ungewohnt. Kaum einer hat wohl damit gerechnet, dass bei einer 300-Mann-Produktion, die zu bewältigen war, alles reibungslos und ganz ohne Hektik verläuft. An der ein oder anderen Stelle übertrug sich das heillose Chaos in den ersten zwei Stunden doch ein bisschen zu sehr auf den Zuschauer. Später war eine deutliche Beruhigung festzustellen. Das Gute daran: Auch wenn sich eine Show wie diese - Gott sei Dank - nie im Detail proben ließe, bei einer eventuellen Fortsetzung (und dieses Potential hat das Format fraglos) wären einige Arbeitsabläufe des Teams von Beginn an ganz sicher eingespielter. Eventuell würde bei künftigen Sendungen auch eine wirklich ordnende Hand bei der Moderation helfen? Die könnte auch Allzweckwaffe Frank Buschmann sein, denn immer wenn er die Aktionen kommentierte, kehrte eine gewisse Klarheit in das Format ein. Für die sorgten Elton und Palina am Samstagabend nicht immer. Gefordert sind für eventuell kommende Folgen aber auch Redaktion und Promi-Kandidaten. Das Autospiel etwa hätte, auch trotz aller Spontaneität, besser vorbereitet werden können. Und die Medienprofis des Promi-Teams hätten in diesem Moment nicht zum zusätzlichen Ausarten des Chaos sorgen müssen. Aber so sind unvergessliche Hauspartys eben - sie arten an mancher Stelle aus.
Challenge hier, Challenge da, Challenge everywhere
Ganz abgesehen von dem ungewöhnlichen Setting, dem unter'm Strich erfrischenden Chaos und damit einhergehend dem vielen Augenzwinkern, das daher rührt, dass ProSieben und Produzent Endemol die große Showwelt, die sonst auf riesigen Geländen und in eindrucksvollen Hallen stattfindet, mal eben in eine Wohnsiedlung samt schmuckem Garten verlegt, setzt aber auch das «ProSieben Auswärtsspiel» auf zahlreiche bekannte Utensilien: Eine Show auf eine bestimmte Anzahl an Sport- oder Geschicklichkeitsspiele aufzubauen, ist letztlich keine neue Idee. Beim «Auswärtsspiel» wie auch schon in den vergangenen Wochen und Monaten wird man den Eindruck nicht los, der Münchner Sender versucht seine ursprüngliche DNA nicht ganz zu verlieren.
Etwas mehr als zehn Monate ist der TV-Abschied von Stefan Raab inzwischen her, jenem Mann (oder etwas höherer gegriffen: Mastermind), der die ProSieben-Unterhaltung in den zurückliegenden zehn Jahren mit massig Ideen fütterte. Das Ende von «TV total», immer Quell neuer Samstagabendshows, war ohne eine Frage ein Einschnitt. Neue Ideen funktionieren bei Weitem nicht mehr in dem Maße, wie es noch vor fünf Jahren der Fall war. Entsprechend duellieren sich Promis und Normalos inzwischen in etlichen Varianten, vor unterschiedlichen Studio-Dekos – oder jetzt eben im eigenen Wohnzimmer oder der davor gelegenen Straße.
Soll das «Auswärtsspiel» fortgesetzt werden?
Die Gefahr der Verwässerung, der Überflutung, sie ist inzwischen längst gegeben. So unterhaltsam Frank Buschmann, der die Rolle des unterhaltenden Kommentators vielleicht nicht erfunden, aber mindestens so geprägt hat, dass sie auf immer mit seiner Stimme und seinem Namen verbunden sein wird, auch sein mag, so alltäglich ist das Auftreten in den großen Shows auch geworden. Er ist inzwischen in «Ran an den Mann», natürlich bei «Schlag den Star», bald bei «Robot Wars», aber auch bei «Ninja Warrior Germany» zu hören – und eben beim neuen «Auswärtsspiel», bei dem er jedoch eines der prägenden Elemente war.
Wenn die Endemol-Produktion erste Schwächen ablegt, dann kann sie aber zur eindeutigen Bereicherung der deutschen Samstagabendunterhaltung werden, weil sie mit jeder Ausgabe per se etwas komplett einzigartiges wäre. Wegen der dann immer wechselnden Locations ist von dem Format nie eine Show vergleichbar mit einer anderen. Jeder kleine Ort, jedes Grundstück und jede Familie hat ihre Eigenheiten. Schon allein deshalb wäre es viel zu schade, würde ProSieben die erfrischende Idee schon nach einer Folge fallen lassen - egal wie Kritiken und Quote nach der Sendung ausfallen.
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26.09.2016 12:17 Uhr 1