Die glorreichen 6: Kleinode der heutigen Science-Fiction (Teil V)
Sechs Filme aus diesem Jahrtausend. Sechs Formen der Science-Fiction. Sie alle haben gemeinsam: Es sind starke Werke abseits großer Hollywood-Franchises. Dieses Mal: «The Congress».
Die Story
Filmfacts «The Congress»
Regie und Drehbuch: Ari Folman
Vorlage: 'Der futurologische Kongreß' von Stanisław Lem
Produktion: Diana Elbaum, David Grumbach, Eitan Mansuri, Jeremiah Samuels
Produktionsjahr: 2013
Darsteller: Robin Wright, Paul Giamatti, Harvey Keitel, Jon Hamm, Kodi Smit-McPhee
Musik: Max Richter
Kamera: Michal Englert
Schnitt: Nili Feller
Laufzeit: 123 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Die alternde Schauspielerin Robin Wright hat mit ihrem Ruf zu kämpfen, dass sie wählerisch und unzuverlässig sei. Daher, und aufgrund dessen, dass sie nicht mehr in einem als attraktiv geltenden Alter ist, erhält sie kaum noch Rollenangebote. Da ihr Sohn am Usher-Syndrom leidet, wodurch sich sein Seh- und Hörvergnügen schleichend verschlechtert, willigt sie einem ihr Bauchschmerzen verursachenden Angebot ein: Die Miramount Studios wollen Robin digitalisieren und ihr sämtliche Rechte an ihrem digitalen Ich abkaufen, um diese Kopie aus Einsen und Nullen in Filmen einsetzen zu können. Im Gegenzug muss sie das Schauspielen für 20 Jahre aufgeben und erhält eine enorme Summe, mit der Robin hofft, ihrem Sohn die nötige medizinische Behandlung zukommen können zu lassen. 20 Jahre später reist Robin nach Abrahama City, um auf einem Kongress über die Errungenschaften der Miramount Studios zu sprechen und obendrein ihren Vertrag zu verlängern. Doch aufgrund dessen, wie das Unternehmen seine Technologien einzusetzen plant, kommen Robin erhebliche Zweifel …
Die Themen
Ari Folmans freie Adaption des futuristischen 70er-Jahre-Romans ''Der futurologische Kongreß' aus der Feder des Schriftstellers Stanisław Lem ist eine Matrjoschka an Themen und Gedanken. Eingangs ist die internationale Gemeinschaftsproduktion, die Realfilmsegmente und Zeichentricksektionen umfasst, ein futuristischer Kommentar auf Hollywood. Folman stellt die Frage, wie sehr Schauspieler über ihr eigenes Image und ihre Karriere bestimmen können und ob Vorstöße in der Effekttechnologie wie Motion Capturing Fluch, Segen oder Beides sind. Dies nutzt der israelische Filmemacher als Sprungbrett für weiter greifende Beobachtungen sowie Fragestellungen: Ob durch illegale Drogen oder legale Medikamente, sexuelle Emanzipation oder die immer umfangreicheren Möglichkeiten an Unterhaltungsmedien – immer häufiger haben wir Menschen die Option, immer stärker unserer Realität zu entfliehen. Doch ist vielleicht irgendwann unser imaginäres Ich, etwa unsere mühselig erstellte Online-Persönlichkeit, aufgrund seiner Rolle, die es in unserem Leben spielt, unser neues 'wahres' Ich? Ist Weltflucht etwas pessimistisch stimmendes oder etwas, das uns befreit?
Die 6 glorreichen Aspekte von «The Congress»
«The Congress» eröffnet als spitzzüngige Hollywood-Satire. Schauspieler mögen zwar gelegentlich absolute Hammergagen erhalten, sind jedoch hilflose Opfer eines raffgierigen Systems ohne Feingefühl: Du nimmst dir ein Jahr Pause? Viel Glück dabei, danach die Karriere wieder in Gang zu bringen! Du verweigerst dich gewissen Genres? Schon giltst du als schwierig. Du bist eine Frau über 35? Pass dich den Erwartungen der Produzenten an, oder du wirst kaum noch an Rollen gelangen. Du glaubst, dein Manager sei eine Vertrauensperson? Letztlich ist sie doch nur ein Viehverkäufer, der aus dir Profit schlägt. Folman geht in seiner Dekonstruktion der Schattenseiten Hollywoods wahrlich nicht subtil vor, allerdings findet er stets die richtigen Worte und lässt sein engagiertes Ensemble diese mit pointierter Schärfe vortragen. Ob mal mit sensibler Fassade, wie im Falle eines berührenden Harvey Keitels, oder mit karikaturesker Gemeinheit, wie im Falle von Danny Huston als empathieloser Studioboss.
Diesen Attacken zum Trotz ist «The Congress» keineswegs simpel und verallgemeinernd. Denn als Gegengewicht zu den Seitenhieben darauf, was in der Traumfabrik alles schiefläuft, feiert Folman mit losgelöstem, surrealem Einfallsreichtum die Magie der Unterhaltungsbranche. Der titelgebende Kongress wird als kunterbunte, ständig in Bewegung bleibende Zeichentrickpassage vermittelt, in der nicht nur der Max-Fleischer-Zeichenstil wiederbelebt wird, sondern auch Spurenelemente des Disney-Looks, der Zeichnungen Robert Crumbs, Chuck Jones‘ und des Studio Ghibli sowie Ralph Bakshis vorkommen. In den vor Details überbordenden Sequenzen finden sich außerdem Verneigungen vor diversen popkulturellen Ikonen, und im weiteren Verlauf nutzen Folman und sein Animationsteam das Trickmedium, um immer wildere und poetischere Bilder zu erschaffen.
Somit nimmt Folman eine komplexe Sicht der Dinge ein und überlässt dem Publikum das endgültige Urteil. Auf der einen Seite zeichnet er ein technophobes, pessimistisches Weltbild: Schauspielern wird durch Technologien die Identität geraubt, Großkonzerne bestimmen mit ihren Entwicklungen darüber, wie die Gesellschaft tickt und die millionenschweren Fortschritte in der Unterhaltungstechnik erhalten mehr Beachtung als medizinische Entdeckungen. Andererseits erlauben uns Fantasie, Entertainment und Technik, uns selber neu zu erfinden und unseren Alltag bunter, abwechslungsreicher, aufregender zu gestalten – auch Menschen, die aufgrund verschiedener Konditionen sonst eine grau-graue Welt zu erdulden haben. Wie ist die richtige Balance zu finden und sind neue, immersive Wege der Weltflucht wirklich Grund, panisch zu werden? Folman liefert dank einer immer assoziativer werdenden Narrative auf unterhaltsame, aufregende Weise Diskussionsgrundlagen, verzichtet aber auf ein ultimatives, klärendes Argument.
All dies wird getragen von einer vielseitigen Musikuntermalung, die ebenso treibende wie melancholische oder lässige Formen anzunehmen weiß, sowie von einer umwerfenden Performance Robin Wrights, die einfühlsam agiert und einen nachdenklichen Ton anzustimmen vermag. Dadurch steigt «The Congress» zu einem faszinierenden, nachdenklich stimmenden Projekt mit hypnotischer Wirkung auf.
«The Congress» ist als DVD und Blu-ray erhältlich sowie via Google Play, Videoload und Flimmit zu streamen.
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