Zur vierten Staffel fährt der Reality-Hit sein bisher schwerstes Geschütz auf, um das von ihm vergütete Personal leiden zu lassen: Die Kanalisation stellt den noch recht moderaten Keller klar in den Schatten. Weniger treffsicher agierten Desiree Nick und Aaron Troschke.
Aus dem Schatten von «Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!» trat
«Promi Big Brother» in seinen vorherigen drei Staffeln ganz sicher noch nicht. Doch da besagter Schatten derart riesig ist, dass man selbst mit weit überdurchschnittlichen Einschaltquoten und einem gehörigen medialen Interesse noch im selbigen stehen kann, rechnet sich das Reality-Format für Sat.1 dennoch - und beschert dem ansonsten meist eher im gefühlten Dauer-Standby-Modus agierenden Privatsender zumindest für zwei Wochen im Jahr eine gewisse Relevanz. Da sich das Format nach einem inhaltlich desolaten Auftakt im Jahr 2013 zuletzt deutlich verbessert hatte, hielten sich die konzeptionellen Veränderungen im Vorjahresvergleich in Grenzen. Ein neues Herzstück hatte man aber in petto: Die als Endlagerung für besonders unbekannte Möchtegern-Promis genutzte Kanalisation.
Und diesbezüglich drehen die Macher dann auch ordentlich an der Daumenschraube gegenüber dem zuvor als Kontrast zum Luxusbereich fungierenden Keller: Es ist dunkel, die Einrichtung fällt äußerst karg aus, der Raum beengt und sogar durch eine Wasserstelle zweigeteilt - wie man sich solch eine Kanalisation eben vorstellt. Und auch das charakteristische Kleingetier, das einem bei dieser Örtlichkeit sofort in den Sinn kommt, ist offenkundig vorhanden. Rumschlagen durften sich hiermit bereits drei Tage vor dem eigentlichen Staffelbeginn zunächst fünf der zwölf Bewohner: Jessica Paszka, Stephen Dürr, Christine Zierl, Frank Stäbler und Edona James. Falls Ihnen keiner dieser Namen etwas sagen sollte: Zweimal Schauspiel, zweimal irgendwas zwischen Model, It-Girl und Trash-TV-Dauerabonnentin - und dann mit Stäbler ein bedauerlicherweise verletzter Weltklasse-Ringer.
Wegfall des Kellers: Der Niedertracht zu wenig?
Dem Medienanalysten stellt sich natürlich die Frage, weshalb man trotz starker Quoten auf das zentrale Element des "Unten"-Bereichs verzichtet. Die simple Antwort hierauf wäre, dass man schlichtweg frischen Wind in das Format bringen und das Publikum nicht erneut mit derselben Kulisse langweilen wollte. Doch wenn man sich ein wenig mehr in die konzeptionellen Feinheiten der Show hineinarbeitet, lässt sich auch eine weitergehende These aufstellen: Der Keller war schlichtweg nicht hart genug. In dem Sinne, dass man im Laufe der vergangenen beiden Jahre zwar durchaus den Eindruck hatte, dass die Promis lieber in den Luxus als in die Tristesse gehen möchten. Doch ein wirkliches Grauen, eine Furcht oder gar Panik war kaum zu erkennen. Von ein paar dauerweinerlichen Vollzeit-Mimosen abgesehen arrangierten sich die deutliche Mehrheit mit ihrem Schicksal.
Für ein Format, das so aufdringlich mit eben jenem Gegensatz zwischen Luxus und Armut, grellem Scheinwerferlicht und Düsterkeit wirbt, war dies eine kleine Enttäuschung: Man beraubte sich einerseits des Konfliktpotenzials einer großen Gruppe von zwölf Promis, ohne dass es zu wirklich ernsthaften Bestrebungen des Prekariats kam, in die häusliche Oberschicht aufzusteigen. Dadurch verloren die Publikums-Abstimmungen und Duelle gehörig an Reiz. Um den Luxus-Bereich also attraktiver und härter umkämpft zu machen, verringert man den Lebensstandard der ohnehin schon unterprivilegierten Gruppe weiter. Sehr frei interpretiert könnte man auch sagen: Die Kanalisation ist das Hartz IV von «Promi Big Brother».
Rascher Einstieg in den Alltag bei wenig Vorgeplänkel
Ansonsten knüpfte die Show dort an, wohin sie sich bereits im vergangenen Jahr bewegte: Die doch eher dröge Einzugsphase der Prominenten kürzt man so weit herunter, dass die Zuschauer nur das Nötigste über die Bewohner erfahren. Statt ellenlanger Einspielfilme dominiert der direkte Talk der zunächst einmal im Luxus lebenden Promis mit Jochen Schropp, bevor sie recht flott ihr neues Domizil zu Gesicht bekommen. So kommt bereits nach gut einer Stunde Sendezeit das «Big Brother»-Feeling auf, das die Fans viel mehr sehen wollen als allzu ausufernde Selbstdarstellungsversuche der Kandidaten. Und zumindest im Luxus-Bereich kennt man ohnehin die Mehrzahl der Teilnehmer: Natascha Ochsenknecht, Ben Tewaag, Joachim Witt und Mario Basler sind durchaus respektable Namen, Prinz Marcus von Anhalt und Cathy Lugner dürfte zumindest der Boulevard-affine Zuschauer kennen und Isa Jank ist im Soap-Bereich recht bekannt.
Da jedoch reine Live-Bilder die Gefahr der rasch aufkommenden Langeweile mit sich bringen, haben die Macher sich mit dem vorzeitigen Einzug der "Unten"-Promis auch ein gutes Stück weit selbst abgesichert: Material aus dem Haus ist somit üppig vorhanden, weshalb auch zunächst einmal die Geschehnisse in der Kanalisation die Show dominieren. Im Laufe der kommenden Tage dürfte sich dies erfahrungsgemäß aber zunehmend angleichen - es sei denn, der Alltag im Luxus fällt allzu harmonisch aus. Dank der insgesamt stimmigen Kandidatenauslese dürfte die Gefahr für Sat.1 allerdings überschaubar sein, allzu viele Nettigkeiten präsentieren zu müssen.
Die Nick zündet noch nicht, Troschke unterläuft Fauxpas
In nicht allzu große Fußstapfen hat Desiree Nick als neues Lästermaul zu treten, beerbt sie doch die im Kontext des Formats nur mäßig beliebte "Mother of Big Brother" Cindy aus Marzahn. Ein qualitativer Quantensprung ist dabei zumindest auf Anhieb allerdings nicht erkennbar: Wie schon bei ihrer Vorgängerin kommen nur wenige der etwas zu gewollt bissig wirkenden Gags an, zu steif fällt die Darbietung aus, zu schwach auch oftmals schlichtweg die Pointen. Aaron Troschke versucht sich derweil als Web-Flüsterer - und macht sich gleich mal zum Gespött der Netzgemeinde, indem er auf einen Fake-Account von Marcel Reif hereinfällt. Welch Glück, dass an diesem Abend nicht auch noch Harald Schmidt twitterte. Solide performt hingegen Jochen Schropp, der sich in seine Rolle als überwiegend, aber eben nicht ausschließlich sachlicher und objektiver Moderator längst hineingefunden hat - und sich darin auch wohlzufühlen scheint.
Wer die Sendung wirklich bis zum Ende verfolgen wollte, musste allerdings erneut gutes Sitzfleisch mitbringen: Beinahe dreieinhalb Stunden gönnte man sich, bis um kurz nach 23:40 Uhr der Auftakt endlich beendet war. Da die Fans aber reichlich Stoff aus dem Haus zu sehen bekamen und die eher ungeliebten Studio-Begleiterscheinungen auf ein recht moderates Level gesenkt wurden, ließ sich die Zeit ganz gut und weitgehend unterhaltsam an. Wenn die Kanalisation jetzt noch hält, was sie verspricht und sich die Promis nicht überraschend als kollektive Mauerblümchen herausstellen, darf man sich auf die dritte gelungene Staffel in Folge freuen. Eklatante Fehler jedenfalls hat man an Tag eins nicht gemacht.
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03.09.2016 01:03 Uhr 1