Christian Richter erinnert an all die Fernsehmomente, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 322: «Tsjakkaa - Du schaffst es!» - Ein durchgedrehter Motivationscoach und dessen zweifelhafte Methoden.
Liebe Fernsehgemeinde, heute beweisen wir, dass manchmal die richtige Einstellung eine Einstellung nicht verhindern kann.
«Tsjakkaa - Du schaffst es!» wurde am 25. Oktober 1998 bei RTL II geboren und entstand zu einer Zeit, als sich beim Konkurrenten Sat.1 die Spielshow «Glücksspirale» seit rund zwei Jahren größter Beliebtheit erfreute. Darin konfrontierte der allzeit charmante Kai Pflaume seine ahnungslosen Kandidaten mit ihren Ängsten auf spielerische Art. So musste eine Frau, die Angst vor Wasser hatte, Plastik-Enten aus einem Wellenbad retten oder ein Mann rund zwei Dutzend der von ihm gehassten Schnecken auf seinem nackten Oberkörper ertragen. Obwohl nicht alle Mutproben moralisch unproblematisch waren, dominierten stets Vergnügen und höchstens leichte Schadenfreude. Schließlich gab es auch alberne Aktionen, wie das Einbetten einer Mitspielerin, die keine Sahne mochte, in einen menschengroßen Windbeutel, um sie anschließend komplett mit Schlagsahne zu überziehen. Mit oft zwischen vier und fünf Millionen Zuschauern war die Show ein großer Erfolg für die verantwortliche Produktionsfirma Endemol, die verständlicherweise die ertragreiche Idee noch weiter ausreizen wollte.
Dies plante das Unternehmen, auf zwei Wegen zu erreichen. Während der Aspekt der Schadenfreude im Format
«Rache ist süß» erneut von Kai Pflaume zelebriert wurde, sollten die emotionalen Momente der Angstüberwindung in einer gänzlich anderen Form übersteigert werden. Diese Aufgabe erhielt nämlich der holländische Motivationstrainer Emile Ratelband anvertraut, der sich bereits einen zweifelhaften Ruf in seinem Heimatland erarbeitet hatte, welcher nun zunehmend nach Deutschland schwappte.
Von der Pommes-Bude zum Multimillionär
Jener Mental-Coach, der seine eigene Biografie zu einer nahezu sagenhaften Legende mystifizierte, soll als Kind dick, mit Hautekzemen überseht und deswegen ständig isoliert gewesen sein. Davon aber ließ er sich nicht entmutigen und baute nach einigen wirtschaftlichen Misserfolgen letztlich eine lukrative Pommes-Buden-Kette auf. Zwangsläufig muss man bei solchen Schilderungen an den legendären Ausspruch von Barney Stinson in «How I Met Your Mother» denken: „Wenn ich traurig bin, hör ich einfach damit auf. Und bin stattdessen super drauf!” („Whenever I'm sad, I stop being sad and be awesome instead.“)
Auf einer Beratungsreise in die USA lernte er dann den berühmten Motivator Anthony Robbins kennen, also jenen Ausbilder, der in der Komödie «Schwer verliebt» an der Seite von Jack Black und Gwyneth Paltrow sich selbst spielte und die Hauptfigur dazu brachte, Frauen nicht bloß nach ihrem Äußeren, sondern anhand ihrer inneren Werte zu beurteilen. Dieses Zusammentreffen soll Ratelband derart überzeugt haben, dass er fortan begann, Robbins Stil dreist zu kopieren und Manager von Firmen wie Apple, Siemens, IBM, Telekom, Bahlsen, Toshiba, VW, Möwenpick sowie die Spieler der niederländischen Fußballnationalmannschaft zu beraten – für (angeblich) bis zu 50.000 DM Gage pro Tag. Zusammen mit dem Verkaufserlös aus seinem Buch „Der Feuerläufer: So schaffst du, was immer du willst“ mauserte er sich auf diese Weise zum Multimillionär und geriet ins Interesse der Öffentlichkeit.
Betäubende Auftritte
Das allein hätte allerdings nicht für eine eigene Fernsehshow gereicht, hinzu kamen ein übertriebenes Auftreten und ein auffälliges Äußeres. Stets trug er teure Maßanzüge, Designerbrillen, eine Fönfrisur und gern einen lose um den Hals geschwungenen Seidenschal. Folgerichtig schrieb die Neue Zürcher Zeitung, man könne ihn leicht mit einem „Gebrauchtwagenhändler der Mafia“ verwechseln. In diesem feinen Zwirn reiste er von Kunde zu Kunde und setzte in seinen Seminaren den Teilnehmern regelmäßig Vogelspinnen aufs Gesicht oder Schlangen auf die Schultern, um zu beweisen, wie sehr man Ängste einzig mit der richtigen Einstellung überwinden könne. Nicht selten gipfelten die Veranstaltungen darin, dass die Menschen eine Polonaise über zerbrochenes Glas oder glühende Kohlen machten.
Ratelband erreichte diese durchaus beeindruckenden Effekte dadurch, dass er sein Publikum solange mit leeren Floskeln anschrie, bis diese im Delirium und Taumel nahezu zu allem bereit waren. Floskeln wie „Gestern ist Geschichte!“, „Die Besten werden siegen!“, „Jeder ist ein Gewinner!“, „Woran Sie glauben, das bekommen Sie auch!“ oder „Lebe Deine Träume!“. Währenddessen schlug er sich immerzu auf die Brust und wirbelte wild auf der Bühne herum. Der FOCUS nannte ihn deshalb einen „trommelnden Derwisch“ und TV-Satiriker Oliver Kalkofe bezeichnete ihn als „total durchgeknallten Holländer“, der sich „selbst auf die Brust und die Birne hauen [würde], wie King Kong auf dem Fischmarkt.“
Zentraler Baustein war dabei sein legendärer Urschrei „Tschakka!“, den er gern um den Ausruf „Du schaffst es!“ ergänzte. Beides wurde bald so markant, dass der daraus entstehende Ausspruch nicht nur als Titel der neuen Sendereihe diente. Darüber hinaus avancierte er zu einem geflügelten Wort und erhielt sogar einen Eintrag im deutschsprachigen Duden – wenn auch in leicht abgeänderter Schreibweise. Mit ausdrücklichem Verweis auf den exzentrischen Life-Coach wird die Redewendung darin als ein „Fantasiewort“ zur „Selbstmotivation“ definiert. Er selbst behauptet, den Ausruf vom afrikanischen Zulu-Häuptling Tschaka abgeleitet zu haben, der obwohl dieser von seinem Vater verstoßen wurde, dank seines Ehrgeizes dennoch zum Stammesoberhaupt aufstieg.
Bis einer weint!
Im Unterschied zu seinen Seminaren, in denen er gewöhnlich Manager oder Arbeitslose zu mehr beruflichem Erfolg anspornte, verfolgte Ratelband für seinen Fernsehauftritt größere Ziele und wagte den Griff nach dem Heiligen Gral der Motivationsbranche. Wie ein Wanderprediger reiste er durchs Land und versuchte, die Menschheit von ihren Ängsten zu erlösen. Wo aber Sonnyboy Kai Pflaume in seiner «Glücksspirale» meist Gnade walten ließ, zeigte der holländische Lebensberater bei seinen Opfern kein Mitleid und setzte sie den absoluten Extremformen ihrer Phobien aus. Ein Mann mit Panik vor Hunden musste etwa direkt mit einen Kampfhund spielen oder ein anderer Mann mit Höhenangst auf eine Fensterputzgondel an einem Fernsehturm steigen. Zusätzlich zu seinem Gebrüll, witzelte der Animator derweil über seine Kandidaten oder regte sie mit sexistischen Verheißungen an. Den Mann mit Höhenangst fragte er, ob er höher steigen wolle, wenn an der Spitze eine nackte Frau stehen würde. Zum Erstaunen des Gurus verneinte dieser das verlockende Angebot, was ebenso daran gelegen haben könnte, dass tatsächlich dessen Ehefrau oben wartete.
Welche Seriosität und psychologische Sensibilität Emile Ratelband und sein Team aufwiesen, offenbarte schon ihr erster Einsatz, in der die 36jährige Maren im Mittelpunkt ihrer Bemühungen stand. Diese lebte in einem kleinen, brandenburgischen Dorf und litt unter Agoraphobie, weshalb sie seit neun Jahren ihr Haus nicht mehr verlassen hatte. In der Anmoderation hieß es entsprechend verständnisvoll, sie sei die „letzte Ostfrau, die noch nie im Westen war.“ Man hatte sich nun vorgenommen, diese tiefsitzende Störung innerhalb weniger Stunden auszutreiben, indem man die Frau schlicht überrumpelte. Das vorab erklärte Ziel war es schließlich, mit ihr am Ende des Tages durch das Brandenburger Tor in Berlin laufen zu wollen – also mit ihr einen der überfülltesten und unruhigsten Orte Deutschlands zu besuchen. Wahrscheinlich fand zu den Dreharbeiten gerade kein Sommerschlussverkauf oder keine Love Parade statt, sonst hätte Maren wohl daran teilnehmen müssen.
Unter dem Tsjakkaa-Geschrei und dem durch die Anwesenheit der Kameras erzeugten Druck resignierte Maren letztlich und ließ sich aus dem Haus bewegen, woraufhin sie Ratelband in seinen protzigen Bentley verfrachtete, um sie nach einem Zwischenstopp an der örtlichen Dorfkneipe mit Tempo nach Berlin zu karren. Dabei erlitt sie so viele und heftige Panikanfälle, dass der Dreh letztlich abgebrochen werden musste und das Team die spektakulären und werbewirksamen Bilder nicht bekam. Trotzdem verkaufte der Motivator seinen Auftritt als großen Erfolg und drohte an, sein Werk bei einem späteren Besuch beenden zu wollen.
Auch bei den folgenden Einsätzen blieb die Botschaft unverändert: Es bedarf lediglich Willensstärke, um seine Ängste zu überwinden. Dass er mit seinen Schocktherapien den Menschen allerdings nicht helfen konnte, die wahren Ursachen für ihre pathologischen Phobien zu beheben und bewusst das Risiko einging, mit seinen brachialen Methoden nachhaltige Traumata auszulösen, schien ihn in seinem Wahn nicht weiter zu belasten.
Der letzte Schrei
So anstrengend seine Art war, so große Kopfschmerzen dürfte er den Verantwortlichen bei RTL II besorgt haben, denn all die Schreierei brachten dem Kanal kaum Zuschauer ein. Am Sonntagvorabend um 19.15 Uhr schalteten zur Premiere gerade mal eine halbe Million Menschen ein, was einem schwachen Marktanteil von 1,7 Prozent entsprach. In der werberelevanten Zielgruppe sah es mit 0,36 Mio. Zuschauern und 2,9 Prozent nicht viel besser aus. Weil die Zahlen nicht weiter ansteigen wollten, wurde die fertiggestellte Staffel zunächst nach drei Ausgaben für rund zwei Monate unterbrochen. Beim zweiten Anlauf ab Januar 1999 - diesmal am Samstag um 18.15 Uhr - blieben die Werte anfangs zwar noch unverändert, halbierten sich dann jedoch bald, sodass sich der Ausflug des großen Emile Ratelband in die Fernsehwelt nicht zu einem Erfolg entwickelte. Offenbar hatte er es schlicht nicht genug gewollt.
«Tsjakkaa - Du schaffst es!» wurde am 20. März 1999 beerdigt und erreichte ein Alter von 13 Folgen. Die Show hinterließ den Motivationscoach Emile Ratelband, der seine Mission unter dem Mantel des „Ratelband Research Institute“ weiter tapfer fortsetzt und mittlerweile ein Dutzend Bücher geschrieben hat. Das grobe Konzept seiner Sendung übernahm im Jahr 2005 kurzzeitig der Tanzchoreograph, «Popstars»-Juror und
«Supergärtner» Detlef D! Soost, der unter dem Titel «Lebe dein Leben!» im werktäglichen Nachmittagsprogramm von ProSieben ebenfalls wehrlose Menschen aufpeitschte. Laut schreien kann Soost ja auch...
Möge die Show in Frieden ruhen!
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel